Abschied von Lukas Podolski Oscarverdächtig

Dortmund · Beim 1:0 gegen England hielten sich die positiven Ansätze der deutschen Elf in Grenzen. Es passierte nicht viel – außer dem Wahnsinnstreffer von Lukas Podolski bei dessen Abschied. Am Sonntag tritt die Mannschaft in der WM-Qualifikation in Aserbaidschan an.

 Ein typischer Poldi: Mit nach oben gereckten Daumen und Köln-Fahne verabschiedet sich der Sympathieträger von seinen Fans in Dortmund.

Ein typischer Poldi: Mit nach oben gereckten Daumen und Köln-Fahne verabschiedet sich der Sympathieträger von seinen Fans in Dortmund.

Foto: dpa

Es ist nicht davon auszugehen, dass Joachim Löw vor lauter Panik in diesen Tagen seine Podolski-Kurzwahltaste im Staccato bedient. Obwohl die beiden immer gut miteinander konnten, jetzt ist Schluss. Erst einmal. Doch Lukas Podolski, dieser Schelm, hatte in einem Interview in der Nacht nach seinem Abschiedsspiel bereits durchblicken lassen, seine Nationalmannschaftstreter wieder vom Nagel nehmen zu können. Im Notfall. „Der Bundestrainer hat ja meine Nummer“, sagte der Kölner grinsend, danach gefragt, ob das jetzt wirklich seine finale Entscheidung gewesen sei, das mit dem Abschied.

Das war natürlich nicht ganz ernst gemeint. Und einen ernst zu nehmenden Notfall gibt es auch nicht, weshalb Löw unbedingt gleich einen Notruf absetzen müsste. Doch an einem Abend, der der Podolski-Verehrung gewidmet war, fehlte bei aller Begeisterung und Verehrung für den Protagonisten das Wesentliche im Test gegen England: ein gutes Spiel, zumindest aber eines, das in die richtige Richtung vor dem WM-Qualifikationsspiel am Sonntag in Aserbaidschan (18 Uhr/RTL) weisen würde. Ihren Kompass aber hatten die Deutschen an diesem Abend nicht zur Hand. Lediglich Podolski nordete den Ball mit seinem prächtigen Kracher richtig ein (69.). Das reichte.

Man hätte über diese Partie auch, wie es neulich ein Journalist tat, titeln können: „Ein Spiel hätte dem Tor gutgetan.“ Zumindest bezogen auf die Deutschen trifft das zu. Doch Podolski rettete den Abend, seinen Abend; und nachdem er alle Ovationen hinter sich gebracht hatte, ihn die Kollegen in die Luft geschmissen und beinahe fallen gelassen hatten, er die kölschen Töne, die in Dauerschleife durchs auch lange nach dem Spiel noch gut gefüllte Dortmunder Stadion dröhnten, verdaut hatte, holte er tief Luft. Er schwärmte, eingehüllt in eine Köln-Fahne: „Wie im Film“ sei ihm das Ganze vorgekommen. Es war bereits nach Mitternacht, und er wiederholte: „Wie im Film.“

Sein Kollege Thomas Müller scheint offenbar ebenfalls ein Faible für weiche Kinosessel und Popcorn zu haben. Pilchereske Herz-Schmerz-Abschiedsdramen scheinen aber nicht zu seinen bevorzugten Streifen zu gehören. Natürlich, sagte der Münchner, hätte er das Drehbuch nicht besser schreiben können, wäre er selbst Filmregisseur, schränkte dann aber ein: „Mir persönlich wäre es zu kitschig gewesen.“

Tatsache ist, dass das Spiel der deutschen Elf in diesem Goldrand-Filmchen unter Normalnull-Niveau dahinplätscherte – bis Podolski der Einschlafgefahr entschieden entgegentrat. Sein strammes Kunstwerk, das den Deutschen den Sieg gegen über weite Stecken bessere Engländer bescherte, führte zu seinem 49. Länderspieltreffer – nur Miroslav Klose (71), Gerd Müller (68) und Joachim Streich (59 für die DDR) trafen häufiger. Es war der perfekte Schlussakt nach 130 Länderspielen. Einer, den kaum ein anderer mit solcher Urkraft zu initiieren vermag wie Podolski. Der hielt sich auch gar nicht lange mit vornehmer Zurückhaltung auf, sagte in seiner forschen Art: „Ich hoffe, dass die ARD es zur Wahl zum Tor des Monats stellt. Das ist, glaube ich, mein zwölftes.“

In all dieser adrenalingeschwängerten Abschiedsstimmung wollte auch Joachim Löw die passenden Worte nicht verpassen. Besondere Spieler, hob er zu später Stunde an, hätten auch einen besonderen Abschied. „So war es.“

„Incredible“ – unglaublich – nannte Englands Trainer Gareth Southgate den Treffer des künftigen Japan-Legionärs, warf dann aber den Fokus auf seine Mannschaft. Es sei nie schön zu verlieren, aber „ich bin trotzdem mit der Leistung meines Teams heute sehr zufrieden. Es hat uns einfach nur das Glück im Abschluss gefehlt“. Tatsächlich präsentierten sich die Engländer, die bei der EM im Sommer noch so kläglich an Island gescheitert waren, als homogene, bewegliche, spielstarke Einheit. In der Offensive um Raketenmann Jamie Vardy stets gefährlich, hatte die offensive Dreierabwehrkette nie wirklich Probleme gegen die jungen deutschen Stürmer um den glücklosen Leipziger Debütanten Timo Werner (siehe Artikel unten), die ihre wohl größte Qualität nicht richtig ausspielen konnten: das Tempo. Dafür waren die Räume zu eng, die Laufwege nicht abgestimmt.

„Wir standen immer mit dem Rücken zum Tor“, bemängelte Löw, „so kamen die Bälle nicht in den Lauf.“ Lukas Podolski dagegen bevorzugt ohnehin einen anderen Blickwinkel – immer Richtung Tor. Den Ball am Fuß, einfach mal draufhauen – und treffen. So einen könnte Joachim Löw ruhig mal anrufen.

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