Streitthema 50+1 Hellmann: Investor muss "Wurzeln eines Clubs akzeptieren"

Frankfurt/Main · Am Donnerstag treffen sich die Vereine der 1. und 2. Bundesliga, um über die Zukunft der 50+1-Regel zu diskutieren. Eintracht Frankfurts Vorstand Axel Hellmann hat als erster Vertreter konkrete Vorschläge zu einer Neugestaltung der Regel gemacht.

 Sorgt sich im die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Fußball-Bundesliga: Eintracht-Vorstand Axel Hellmann.

Sorgt sich im die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Fußball-Bundesliga: Eintracht-Vorstand Axel Hellmann.

Foto: Arne Dedert

Die 50+1-Regel ist eines der größten Streitthemen des deutschen Fußballs. Soll der Einfluss von Investoren auf die Vereine der 1. und 2. Bundesliga weiter begrenzt bleiben, weil "50+1" ihnen eine Stimmenmehrheit in der Kapitalgesellschaft eines Clubs untersagt?

Oder soll diese Regel in Zukunft wegfallen oder zumindest reformiert werden, wie es einige Vereine es fordern? Axel Hellmann ist Vorstandsmitglied von Eintracht Frankfurt und war der erste Vertreter des deutschen Profifußballs, der konkrete Ideen für eine Neugestaltung der 50+1-Regel vorgelegt hat. Vor der Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball Liga am Donnerstag sprach er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur über seine Vorschläge, die Gefahren eines Investoren-Einstiegs und über die Entfremdung des Fußballs von seinen Fans.

Herr Hellmann, Sie sind dafür, den Einstieg von Investoren einerseits leichter zu machen, andererseits aber auch an klare Bedingungen knüpfen soll. Was genau schlagen Sie vor?

Axel Hellmann: Die Integrität des Wettbewerbs und die Leistungsfähigkeit der Bundesliga stehen allem voran. Die Bundesliga muss sich im internationalen Wettbewerb behaupten. Jede andere Sicht wäre eine Verkennung von Realitäten im internationalen Medien- und Sponsorenmarkt. Investoren können hier je nach Charakter des Clubs einen positiven Beitrag leisten. Dies muss sich allerdings in einem klar abgesteckten Rahmen und auf der Grundlage unumstößlicher Bedingungen bewegen. Der Investor muss die Wurzeln, die Tradition und Kultur des Clubs akzeptieren und darf nicht den Anspruch haben, die Identität des Clubs zu verändern. Und das wiederum muss durch einen umfassenden Katalog von Punkten abgesichert werden, zum Beispiel den Namen, den Standort oder die Farben des Vereins. Dazu gehören auch fankulturelle Themen wie der Erhalt der Stehplätze. All diese Bedingungen müssen unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligung des Investors sein. Und alle entscheidenden Fragen müssen weiter der Mitbestimmung des Vereins und seiner Mitglieder unterliegen.

Glauben Sie, dass auch eine Mehrheit der Erst- und Zweitliga-Vereine für eine solche Reform der 50+1-Regel ist?

Hellmann: Ich denke, dass die Mehrheit der Vereine nicht zufrieden ist mit der jetzigen Situation. Ich gibt sicherlich einige, die an 50+1 festhalten wollen, weil natürlich ungewiss ist, was darauf folgt. Aber das darf uns doch nicht davon abhalten, in einer unbefriedigenden Lage nach konstruktiven Lösungen zu suchen. Wenn es uns gelingt, die Schutzinteressen der 50+1-Regel mit den Zielsetzungen für die Entwicklung der Liga zusammenzuführen, dann glaube ich schon, dass ein solches Grundlagenstatut mehrheitsfähig sein könnte. Ich glaube aber auch, dass dieser Prozess Zeit in Anspruch nehmen wird und intensiv diskutiert werden muss.

Die Diskussion wird den Vereinen allein von ihren Anhängern aufgezwungen. Es gibt aktuell Fan-Demonstrationen für den Erhalt der 50+1-Regel und gegen die Einführung von Montagabendspielen. Hinter allem steckt das Gefühl, dass es im Fußball nur noch um das große Geld geht. Glauben Sie, dass es einen Punkt gibt, ab dem sich die Menschen vom Massenprodukt Profifußball abwenden könnten?

Hellmann: Die Menschen wünschen sich auf dem Platz einen fairen Wettbewerb, der abgesichert wird durch einen Schiedsrichter, der über die Regeln wacht. Die Menschen wünschen sich aber auch außerhalb des Platzes einen fairen Wettbewerb nach klaren Regeln. Ich glaube: Sie werden die Leidenschaft für diesen Sport verlieren, wenn das Ergebnis vorher feststeht. Es ist zweifelsfrei nicht gut, dass dieselbe Mannschaft über Jahre immer deutscher Meister wird. Wenn das die nächsten zehn Jahre so weitergeht, wird man sich schon fragen: Mit welcher Motivation spielen wir noch eine deutsche Meisterschaft aus? Und wie können wir das dem Kunden und dem Fan überhaupt noch vermitteln? Dies gilt aber auch, wenn in einen laufenden Wettbewerb mit externen Finanzmitteln eingegriffen wird, wenn zum Beispiel ein Club im Abstiegskampf Transfers tätigt, die er sich nur aufgrund massiver externer Kapitalzufuhr leisten kann. Wenn es uns nicht gelingt, bestimmte Punkte abzusichern, die in Deutschland im Fußball einen kulturellen Wert haben, dann sehe ich schon die Gefahr, dass die Leute irgendwann sagen: Das ist ja nur noch Entertainment.

Was meinen Sie konkret? Dass es in Deutschland Ausnahmen von der 50+1-Regel wie etwa 1899 Hoffenheim und den VfL Wolfsburg gibt? Oder dass der Hamburger SV rund 100 Millionen Euro Schulden hat, dank eines Investors aber trotzdem über Jahre Millionen-Transfers tätigt?

Hellmann: Beide Phänomene haben keine gute Auswirkung auf den fairen Wettbewerb der Bundesliga. Wenn alle ausnahmslos unter der 50+1-Regel spielen würden, dann wären auch die Voraussetzungen für alle gleich. Das sind sie aber nicht, weil die 50+1-Regel in ihrer momentanen Ausgestaltung ein stumpfes Schwert ist. Es gehört auch ein zweiter Aspekt dazu, das Financial Fairplay. Ich kann diejenigen verstehen, die fragen: Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen dem unerlaubten Einsatz leistungssteigernder Mittel auf dem Platz und dem Einsatz leistungssteigernden Mitteln außerhalb des Platzes? Beides ist unfair und greift in die Integrität des Wettbewerbs ein.

Das bedeutet doch aber, dass das für viele so abschreckende Modell in England eigentlich das fairere oder zumindest transparentere ist. Dort darf ein Unternehmer aus Thailand den einen Club übernehmen und einer aus den USA den nächsten. Alles ist möglich, alles regelt der Markt. In Deutschland gibt es Regeln und trotzdem solche Beispiele, wie Sie die gerade geschildert haben.

Hellmann: Oberflächlich betrachtet mag das zutreffen. Das freie Spiel der Kräfte eröffnet allen Clubs die Chance der Kapitalisierung und damit theoretisch auch die Chance, im Wettbewerb voll mitzumischen. In der Praxis und im Detail betrachtet sind die Auswirkungen aber verheerend. Es wird eine Spirale in Gang gesetzt, die eine Explosion der Gehälter auslöst. Die Gehaltssprünge können dann aus den originären Eigenerlösen der Clubs nicht mehr geleistet werden. Das erfordert in der Folge weiteres externes Kapital, damit man weiter mitmischen kann und das wiederum schafft Überschuldungen der Clubs und am Ende vollkommene Abhängigkeiten von den jeweiligen Investoren. Für diese Spirale gibt es international zahlreiche Beispiele - vor allem in der Premier League, aber auch in der Bundesliga.

Meinen Sie damit wieder den HSV?

Hellmann: Am Beispiel des HSV kann man doch erkennen, dass handelnde Personen, die aus dieser Spirale heraus wollten, die auf den Weg der wirtschaftlichen Vernunft zurückkehren und im Winter kein weiteres externes Kapital für Neuverpflichtungen aufnehmen wollten, vom sportlichen Misserfolg einfach aus dem System katapultiert wurden. Ich persönlich glaube nicht an Systeme, die auf permanente Unterdeckung, Schulden und Abhängigkeiten aufgebaut sind. Sie führen entweder zum wirtschaftlichen Kollaps, in den sportlichen Niedergang oder müssen über eine entsprechende Preispolitik vom Fan ausgebadet werden. Das sind keine Entwicklungen, die ich in der Bundesliga für erstrebenswert halte. Wir brauchen ein ausgewogenes System.

Gibt es denn ein konkretes Interesse von Investoren, bei Eintracht Frankfurt einzusteigen?

Hellmann: Wir sind da zurückhaltend, weil wir zur Jahrtausendwende schon unsere Erfahrungen mit Octagon gemacht haben. Damals gab es bei uns einen anglo-amerikanischen Kapitalgeber, der mit einem Anteil von 49,9 Prozent von London aus den Verein regiert hat. Sein Ziel war, eine neue Eintracht zu schaffen. Das Ergebnis war für uns verheerend. Es endete in sportlicher Inkompetenz, mit einer Fast-Insolvenz, mit einer Entfremdung der Basis und mit einer Identitätskrise, die uns zehn Jahre zurückgeworfen hat. Am Ende waren wir dem Amateurlager näher als der Bundesliga. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass Investoren nicht per se die Heilsbringer sind und dass die 50+1-Regel einen Verein nicht vor dem faktischen Einfluss von Geldgebern schützen kann. Eine solche Abhängigkeit muss vermieden werden - egal, ob der Investor ein oder 99 Prozent der Anteile besitzt. Wir würden uns nur mit Investoren beschäftigen, die zur Tradition und zur DNA dieses Clubs passen. Alles andere würde hier nicht funktionieren.

Das heißt: Es stehen Interessenten vor der Tür, aber die lassen Sie zumindest noch nicht herein?

Hellmann: Es steht gegenwärtig niemand vor der Tür, mit dem wir verhandeln. Es gibt aktuell auch kein konkretes Modell, wie man einen Investor an Eintracht Frankfurt beteiligen könnte. Es gibt allerdings Interessenten aus den USA, aus China und aus Abu Dhabi. Da geht es in der Regel um Mehrheitsbeteiligungen, die für uns natürlich nicht in Frage kommen. Es gibt aber auch Interessenten, die sich eine Minderheitsbeteiligung vorstellen können. Und dafür ist die Zeit noch nicht reif. Das Thema wollen wir sehr behutsam angehen. Wir planen als Zwischenschritt eine interne Kapitalmaßnahme in der Größenordnung von 15 Millionen Euro, die demnächst vor dem Abschluss steht und ausschließlich von lebenslangen und angesehenen Mitgliedern finanziert wird. Das ist im Fußball nicht exorbitant viel. Es ist aber für uns wichtig, um die hohen Belastungen aus der Nutzung des Stadions bis zum Ende der Verträge im Jahr 2020 zu kompensieren.

Eintracht Frankfurt ist international so stark engagiert wie kaum ein zweiter Verein in der Bundesliga. Sie haben einen amerikanischen Sponsor, kooperieren mit einer chinesischen Universität und wollen eine Fußball-Akademie in Abu Dhabi aufbauen. Was genau ist Ziel und Zweck dieser Internationalisierung?

Hellmann: Das allererste Ziel ist: Wir unterstützen als Club die internationalen Initiativen der DFL. Die Deutsche Fußball Liga verwertet die Medienrechte im Ausland. Aber die Werthaltigkeit dieser Medienrechte hängt an der Attraktivität der Bundesliga und der Bekanntheit der Clubs. Die Wege, dieses Interesse zu wecken, sind natürlich vielfältig. Es gibt die großen Namen wie Bayern München oder Borussia Dortmund, die allein durch ihre Spieler oder die Präsenz in der Champions League eine Aufmerksamkeit erreichen. Für uns ist das etwas schwieriger, weil wir nicht im internationalen Geschäft vertreten sind. Deshalb müssen wir als Club eine höhere Präsenz im Ausland schaffen. Unser Ziel ist, das über sogenannte Graswurzel-Maßnahmen zu schaffen, also: Fußball-Akademien, Fußball-Projekte, Fußball-Schulen. Damit sind wir sowohl in Abu Dhabi als auch in China schon relativ weit. In den USA bauen wir das im Moment auf, in Japan wollen wir das in naher Zukunft aufbauen.

Und wie viel hat die Eintracht durch die Internationalisierung bislang schon konkret verdient?

Hellmann: Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten: Was sind ihre Sponsoring-Ziele im internationalen Bereich? Dann hätte ich gesagt: Fünf oder sechs Millionen Euro sind ein gutes Ergebnis. Jetzt haben wir durch unseren amerikanischen Hauptsponsor Indeed und unseren Vertrag mit Nike noch einmal eine ganz neue Sichtbarkeit, so dass wir im Moment sagen können: Wir erlösen mit allen unseren internationalen Aktivitäten einen niedrigen zweistelligen Millionen-Betrag. Damit sind wir sehr zufrieden, weil es eine enorme Schwungkraft erreicht hat. Und es gibt immer noch ein enormes Wachstumspotenzial. Unser Vorteil ist auch, dass Frankfurt eine internationale Stadt ist, die weltweit sehr bekannt und sehr vernetzt ist.

Wo liegen für Sie die Grenzen dieser Strategie? Gibt es Länder oder Partner, die für Eintracht Frankfurt aus politischen oder moralischen Gründen nicht infrage kommen?

Hellmann: Politische Themen spielen natürlich in die Internationalisierung hinein. Deutschland ist eine Export-Nation. Unser Wohlstand gründet auf guten internationalen Beziehungen. Das muss auch unsere Grundlage für den Fußball sein. Wir haben in Deutschland vergleichsweise hohe demokratische und rechtsstaatliche Standards. Die haben sich aber auch erst über einen langen Entwicklungsprozess herausgebildet. Sollen wir also nur Beziehungen zu Ländern unterhalten, die auf dem gleichen Standard sind? In denen amtierende Präsidenten oder Repräsentanten unseren Moralvorstellungen entsprechen? In denen die Willensbildung nach unseren Maßstäben funktioniert? Ich bin der Überzeugung, dass der Fußball eine große brückenbildende Kraft hat, die Menschen verbindet und damit viel mehr bewirken kann als das klassische politische Handlungsmuster tun können. Unser Internationalisierungs-Konzept setzt bei Kindern und Jugendlichen an, nicht bei den jeweiligen politischen Systemen.

Mit dem Argument des Brückenbaus könnten sie aber genauso gut AfD-Mitglieder bei Eintracht Frankfurt willkommen heißen und ihnen zeigen: Schaut euch den Wert an, den Integration und Vielfalt haben.

Hellmann: Bei Eintracht Frankfurt sind alle willkommen, die sich mit den Werten unserer Satzung identifizieren. Es ist aber weder unser Aufgabe noch Zielsetzung, Menschen in den Verein zu holen, die von der Sinnhaftigkeit dieser Werte noch überzeugt werden müssen. Ich halte es für wichtig, dass wir die hohen rechtsstaatlichen Standards im eigenen Land mit größter Kraft und nach besonders hohen Maßstäben verteidigen. Im internationalen Austausch sollten wir uns jedes Land, jeden Zielmarkt im Einzelfall anschauen.

ZUR PERSON: Axel Hellmann ist 46 Jahre alt und seit 2012 hauptamtliches Vorstandsmitglied der Eintracht Frankfurt Fußball AG. Der Jurist war zuvor Partner einer Wirtschaftskanzlei in Frankfurt sowie Präsidiumsmitglied des Gesamtvereins Eintracht Frankfurt.

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