Interview mit Dr. Ingo Froböse "Breitensport ist kein Massenmord"

Bonn · Der Kreuzbandriss, die Scheinbeinfraktur, die Schulterluxation – mehr als zwei Millionen Menschen verletzen sich jährlich. Dabei steht Sport in erster Linie doch für Gesundheit.

 Sportexperte Professor Dr. Ingo Froböse.

Sportexperte Professor Dr. Ingo Froböse.

Foto: Monika Sandel

Sport steht in erster Linie für Gesundheit. Auf der anderen Seite gibt es in Deutschland jährlich rund zwei Millionen Verletzungen, die medizinisch behandelt werden müssen. Daher provokant gefragt, ist Sport Mord?

Ingo Froböse: Nein, das würde ich nicht sagen und vor allen Dingen ist Breitensport kein Massenmord. Sport hat eine intensive Dimension und viele Funktionen, die sich positiv auswirken. Natürlich fallen wo gehobelt wird Späne. Als solches muss man das auch betrachten. Und die meisten Verletzungen sind ja auch wirklich Bagatelle-Verletzungen. Von den genannten zwei Millionen sind sicherlich 90 Prozent, die nur eine kurzfristige Behandlung benötigen. Sport ist das wichtigste Medium, um Menschen gesund zu halten.

Das scheint ein Teil der Bevölkerung zu wissen. Mehr als zehn Millionen Menschen treiben in Deutschland mehrmals wöchentlich Sport. Eine hohe Zahl. Wenn man sich aber die Entwicklung der vergangenen Jahre anschaut, ist die Tendenz stark fallend. Woran liegt das?

Froböse: Leider ist das wirklich so, dass immer weniger Menschen Sport treiben - vor allem regelmäßig und gezielt Sport treiben. Für die Menschen gibt es natürlich eine ganze Reihe an Alternativen. Wenn man sich mal die Altersgruppen anschaut, dann sind diejenigen, die intensiver Sport treiben die Menschen ab 50 Jahren oder die Kinder und Jugendlichen vielleicht bis 25. In der großen Spanne dazwischen nimmt es ab. Das liegt an anderen Schwerpunkten wie der Familie oder einem Haus. Die Wertigkeit des Sports für den Erhalt der Gesundheit ist bei den meisten Menschen einfach nicht präsent.

Dabei wäre mehr Sport wahrscheinlich für die untrainierten Menschen in Bezug auf Sportverletzungen eher wichtig.

Froböse: Ich glaube, dass untrainierte Menschen natürlich deutlich gefährdeter sind. Weil Trainierte Menschen viel bessere Kompensationsstrategien und ein viel besseres Körperbewusstsein haben. Da sie die besseren Voraussetzungen haben, sind sie im Training auch besser geschützt. Sie haben ein Schutzschild. Die untrainierten Menschen sollten vorsichtig und sehr sensibel anfangen.

Und dennoch, auch ein trainierter Profi-Sportler kann sich verletzen, fällt lange aus, muss mitunter das Karriere-Ende hinnehmen. Lohnt sich der Aufwand des Tranings überhaupt?

Froböse: Für die Sportler lohnt es sich immer. Sie denken aber auch nicht über die Verletzung nach. Viele nehmen das Risiko in Kauf, weil es ja zur sportlichen Aktivität dazu gehört. Aber es glaubt ja auch keiner, dass sie sich ausgerechnet verletzen. Und ich glaube, dass viele Sportler eben neben der ganzen Körperlichkeit auch viele mentale, soziale Komponenten erspüren oder erlernen und das lohnt sich wirklich. Alle die Sport getrieben haben, die ich kenne, würden sagen, ich mache es wieder.

Gibt es denn Möglichkeiten Verletzungen aktiv vorzubeugen?

Froböse: Natürlich ist die Prävention das absolute Must-have. Man muss wirklich präventiv reingehen, Ausgleichstraining betreiben, Muskulatur als Schutzschild aufbauen. Also natürlich heißt es, viel Dehnung, viel Aufwärmung. So unvorbereitet wie viele beispielsweise auf die Skipiste gehen, das halte ich für gefährlich. Wenn man vorbereitet in die Situaiton geht, passiert meistens nichts

Apropos Vorbereitung: In Sachen Aufwärmen scheiden sich die Geister. Es gibt Experten, die behaupten man müsse sich vor dem Training aufwärmen, andere schwören auf das Dehnen während oder nach dem Training. Was ist richtig?

Froböse: Es kommt immer darauf an, was auf die Aufwärmphase folgt. Wenn ich joggen gehe, da brauche ich mich nicht großartig aufwärmen. Da schließe ich das Dehnen beziehungsweise das Flexibelwerden einfach an. Wenn ich allerdings ein Sprint- oder Schnelligkeitstraining mache, dann brauche ich schon 30 Minuten der Aufwärmung. Da muss die Muskulatur, aber auch die Durchblutung und die Nervenleitgeschwindigkeit vorbereitet werden. Wenn ich die Fußballer am Wochenende sehe, dann heißt es auch hier Vorbereitung. Plötzliche große Bewegungen oder schnelle Sprints setzen voraus, dass man sich nicht nur dehnt sondern auch Sprints oder Richtungswechsel macht. Dafür braucht jeder, auch jeder Freizeitfußballer, sicherlich 20 Minuten.

Bleiben wir auf dem Fußballplatz. Gerade im Freizeitbereich sieht man oft die Kicker, die einfach aufs Tor bolzen, andere machen sich lange warm. Und doch reißt eine Muskelfaser bei den Aufgewärmten. Gibt es Sportler, die besonders anfällig sind?

Froböse: Nehmen wir mal Marco Reus beispielsweise: Da muss man leider sagen, dass er genetisch nicht so gute Voraussetzungen mitbringt. Er wird immer ein Spargeltarzan bleiben. Und wenn man ein Spargeltarzan ist, hat man meistens doch schlechtere muskuläre Rahmenbedingungen um beispielsweise Gelenke ausreichend zu stabilisieren oder zu schützen. Also es gibt schon Sportler, wie auch Robben, die echt schlechte Materialzustände mitbringen.

Spielen denn nur physische Komponenten bei Verletzungen ein Rolle oder ist die Psyche auch ein wichtiger Faktor?

Froböse: Psychische Belastungen, Druck oder Stress führen natürlich zu veränderten muskulären Anspannungssituationen, aber auch zu veränderten hormonellen Reaktionen im Körper. Das gilt gerade auch, wenn Sportler verletzt waren. Zum Beispiel nach einem Achillessehnen- oder Kreuzbandriss. Wenn man dann wieder in das Training geht, hat man Angst, dann traut man der Struktur noch nicht. Man macht also ein Bewegungsmuster, das eher einer Schutzstruktur dient, die der sportlichen Bewegung gegenüber aber kontraproduktiv ist. Das bedeutet also, gerade ängstliche Sportler leiden öfter unter Verletzungen weil sie die Normalität die Flüssigkeit ihrer Bewegung bei weitem nicht ausüben.

Bleiben wir bei dem Beispiel Kreuzbandriss. Die Rückkehr in den Sport ist meist ein langer Prozess, der mitunter von Rückschlägen geprägt ist. Wie motiviert sich der Rekonvaleszent trotzdem dran zu bleiben?

Froböse: Das ist eine wichtige Frage. Denn wenn man sich über die sportliche Aktivität definiert und dann für eine ganz schön lange Zeit ausfällt, das ist schwierig. Da muss man dran bleiben. Und natürlich kann man nur dranbleiben, wenn man die Hoffnung hegt, wieder den alten Zustand herzustellen. Und da müssen Trainer, Betreuer und die Mannschaft unbedingt helfen, indem sie eine frühzeitige Integration gewährleisten. Es darf keine Isolation entstehen. Die Sportler müssen ganz schnell das Gefühl bekommen, gebraucht zu werden, die Alte Leistung wiederherzustellen.

Aber selbst wenn alles glatt läuft: Woher weiß der Sportler, dass er wirklich fit ist und auch wieder den Zweikampf suchen kann?

Froböse: Ob jemand wirklich wieder fit für den Wettkampf ist, ist eine der schwierigsten Fragen der Sportwissenschaft überhaupt. Denn wir haben keine wirklich vernünftigen Messparameter, die das dokumentieren und verlässlich sagen können. Man schaut sehr stark auf die Belastbarkeit von Strukturen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich in der 90. Minute eines Fußballspiels immer noch genauso belastbar, genauso funktionstüchtig bin. Und dementsprechend arbeitet die Wissenschaft in Kombination beispielsweise mit der Verwaltungsberufgenossenschaft, die die Profisportler verischert, an einem System der Messbarkeit, der Transparenz und damit der Sicherheit bestimmte Entscheidungen zu treffen, was die Belastbarkeit betrifft. Im Moment sind wir da sehr unsicher unterwegs. Im Moment setzt man auf die Erfahrung des Arztes oder Therapeuten und das ist mir persönlich ein bisschen zu wenig.

Verletzungen sind die eine Sache - es gibt aber auch andere gesundheitliche Risiken. Im März ist ein Fußballer aufgrund eines kardialen Ereignisses in Bonn auf dem Fußballplatz ums Leben gekommen.

Froböse: Wir wissen, dass es kardiale Ereignisse im Sport gibt. Zum Glück sind das relativ wenig. Wir wissen aber auch, dass bei Untraininerten das Risiko 50 Mal höher ist, als bei trainierten Sportlern. Das heißt, je häufiger ich trainiere, umso höher sinkt die Problematik an diesem Risiko zu erkarnken. Untrainierte haben das Problem und Menschen, die vielleicht bestimmte Dinge in ihrem Körper wie einen Infekt nicht bewusst beachten. Gerade Sportler müssen darauf achten, wie es ihrem Körper geht. Und auch mal fünf Gerade sein lassen. Denn wenn man mal zwei, drei Traningseinheiten auslässt, ist das nicht schlimm für die Leistungsfähigkeit. Daher mein Tipp: Keine Angst vor einem kardialen Risiko, Vorsicht vor allem bei Untraininerten, niemals überfordern und Infekte sehr sehr intensiv beachten.

Halten Sie denn eine Voruntersuchung bei Sportlern grundsätzlich für angebracht?

Froböse: Ich denke ja. Ab dem 35. Lebensjahr sollte sowieso jeder der Sport beginnt, sich untersuchen lassen. Ich würde mir wünschen, dass wir eine Sporttauglichkeitsuntersuchung haben sollten. Leider ist das nicht so realistisch, weil es nicht einfach zu finanzieren ist. Man soll es sich vielleicht selbst wert sein, die Untersuchung selbst in die Hand zu nehmen. Das macht man mit dem Auto ja auch. Da geht man auch alle zwei Jahre zum Tüv. Und das sollte man doch für sich selbst auch tun.

Würden Sie denn bei genannten Risiken von bestimmten Sportarten grundsätzlich abraten?

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