GA-Podiumsdiskussion Züge in die Freiheit

AHRWEILER · Auf eine Reise ins Jahr 1989 wurden die Gäste der GA-Podiumsdiskussion "Züge in die Freiheit" anlässlich der ersten Ahrweiler Freiheitswochen mitgenommen.

 Politik-Redakteur Kai Pfundt im Gespräch mit Rainer Zeimentz.

Politik-Redakteur Kai Pfundt im Gespräch mit Rainer Zeimentz.

Foto: Martin Gausmann

Nur wenige hundert Meter vom Ahrweiler Bahnhof entfernt, wo vor 27 Jahren die ersten DDR-Flüchtlige ankamen, nahm neben Moderator und Politik-Redakteur Kai Pfundt ein Mann Platz, der deutsche Geschichte, das Ende der DDR und die friedliche Revolution hautnah miterlebt hatte und am Samstagmorgen für Gänsehautmomente sorgte: Jens Hase (46) aus Günzburg. Er war einer der mehr als 4000 Flüchtlinge in der Prager Botschaft, die am 30. September 1989 nach dem historischen Satz des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher seine Fahrt in die Freiheit antreten konnte.

An die Zugfahrt durch die DDR kann er sich noch gut erinnern: "Die Bahnhöfe waren gespenstisch leer, wir hielten manchmal auf freier Strecke an und waren uns sicher, dass die DDR-Regierung ihr Versprechen brechen wird. Angst konnten wir wirklich riechen." Schon eine Woche später hatte der 19-Jährige in Bayern einen Job, wurde wie ein Held gefeiert, bekam gleich eine Betriebswohnung. "Die Stimmung kippte, man wurde zum blöden Ossi, als der Soli kam."

"Ist das Kleinmütigkeit, kippt Engagement und Mitgefühl, wenn's ans eigene Portemonnaie geht?", wollte Pfundt von seinen beiden weiteren Gästen, Ramian Fathi (25) aus Köln und Rainer Zeimentz (53), Vorstand der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz und im Führungsstab Flüchtlingshilfe des Landes, wissen. Denn beleuchtet werden sollte in der Runde auch die Situation derer, die sich heute mit der gleichen Hoffnung wie die einstigen DDR-Bürger auf den Weg in die Freiheit machten. "Die Freiheit des Wohlstands war bislang, nicht hinzugucken in die Länder, die nur 1500 Kilometer von uns entfernt sind. Wir erleben eine Polarisierung zwischen Hilfe und Ablehnung, ein Einbrechen in die Realität der Wohlstandswelt. Die Flüchtlinge, zum Teil in desolatem Gesundheitszustand, werden zum Spielball der Politik, sie haben keine Freiheiten mehr", so Zeimentz.

GA-Podiumsdiskussion "Züge in die Freiheit"
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"Wir müssen akzeptieren, dass wir nun Rheinland-Pfälzer haben, die kein Wort Deutsch sprechen. Ihnen muss ein klares und schnelles Integrationsangebot gemacht werden: erst Sprache lernen, dann einen Beruf. Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt, muss zurück." In den Fähigkeiten junger Zuwanderer sieht Zeimentz eine ausbaufähige Ressource fürs Land: "Es ist eine Chance, die sich der Wirtschaft bei der ländlichen Struktur unseres Landes bietet. Es kann aber auch grottenschief gehen. Für diese Einschätzung ist es noch zu früh. Viele Flüchtlinge sind ja noch nicht mal in den Kommunen angekommen."

Der in Köln geborene Fathi, dessen Eltern aus dem Iran flohen, hat sich längst mit den Werten identifiziert, ist in der Gesellschaft angekommen. "Wegen meines Aussehens häufiger von der Polizei kontrolliert worden zu sein, das hab ich weggesteckt", sagt der junge Mann, der sich auch in der Ahrweiler Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) um Flüchtlinge kümmert. Ihm macht Sorge, dass es nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln regelrechte Jagden auf Ausländer gab: "Die rechte Gefahr wird unterschätzt." Mit 16 Jahren reiste er zum letzten Mal in den Iran: "Man muss erst die Erfahrung mit Unfreiheit machen, um sie schätzen zu lernen. Leider ist Politik in deutschen Familien kein Alltagsthema. Meine Generation definiert Freiheit für sich zu wenig."

In einer Studie, in der es ums Einbinden von Spontanhelfern in die Katastrophenhilfe geht, hat Fathi herausgefunden, dass die Menschen von Nächstenliebe und Werten angetrieben werden. "Würde man ihnen Geld geben, würden sie aufhören. Die Mehrheit sind nicht die, die Molotow-Cocktails werfen, sondern die, die Menschen helfen wollen. Vielleicht sind wir in zehn Jahren stolz auf das, was wir geschafft haben. Integration ist keine Einbahnstraße und Migranten gute Brückenbauer, weil sie den Riesenvorteil haben, das deutsche System zu kennen."

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