Wer trägt Schuld an der Katastrophe von Brühl?

Am Freitag beginnt die juristische Aufarbeitung des Zugunglücks vom 6. Februar 2000, bei dem neun Menschen starben - Vier Männer sitzen in Köln auf der Anklagebank

Bonn. Die meisten Passagiere freuten sich auf den Skiurlaub. Für neun Fahrgäste war es eine Fahrt in den Tod. 149 wurden verletzt, 25 von ihnen schwer. Viele Überlebende in dem mit 300 Menschen besetzten Zug leiden noch heute unter Schlafstörungen und den Erinnerungen an das furchtbare Geschehen.

6. Februar 2000, 15 Minuten nach Mitternacht. Bahnhof Brühl. Der Nachtexpress D-203 Amsterdam/Basel rast mit 122 Kilometern in der Stunde über eine Weiche und entgleist. Mit ohrenbetäubendem Krachen bohrt sich die tonnenschwere E-Lok der Baureihe 101 in das Wohnzimmer eines Hauses neben dem Bahnhof von Brühl. Vier Waggons zieht die Lok mit die Böschung hinunter. Ein Wagen schlägt gegen den stählernen Pfeiler des Bahnsteigdaches und knickt ein. Drei Schlafwagen bleiben neben dem Gleis stehen. Ein Bild des Grauens.

Am Freitag beginnt vor der Ersten Großen Strafkammer des Kölner Landgerichts unter Vorsitz von Richter Heinz Kaiser die juristische Aufarbeitung der Katastrophe von Brühl. Dabei werden die Schrecken des Unglücks erneut in Erinnerung kommen, aber in nüchterner Rechtssprache. Paragraphen 222 und 229 Strafgesetzbuch. Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung. Höchststrafe beim 222 fünf Jahre Haft, beim 229 drei.

Auf der Anklagebank werden vier Männer sitzen. Hauptangeklagter ist der 29-jährige Lokführer Sascha B., ferner müssen sich ein 56 Jahre alter Betriebsinspektor, ein 47-jähriger Bauingenieur und ein 35-jähriger Beamter vor Gericht verantworten. Alle sind Mitarbeiter der Bundesbahn. Die unmittelbare Ursache des Unglücks ist klar. Der Zug war viel zu schnell. Erlaubt war an dieser Stelle nur Tempo 40. Aber warum fuhr der Mann auf der Lok so schnell? Das muss an 15 geplanten Verhandlungstagen bis August das Gericht klären.

Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage in erster Linie auf die Untersuchungen des Eisenbahn-Bundesamtes in Bonn. Die Aufsichtsbehörde hat zahlreiche Mängel bei der Baustelle vor dem Bahnhof festgestellt und außerdem "Ungereimtheiten" bei der Ausbildung und der Streckenkunde des Lokführers registriert. Es heißt aber auch, dass Sascha B. als normal ausgebildeter Lokomotivführer von der Privatgesellschaft Kölner Hafenbahn zur Bundesbahn kam. Im Verkehrsausschuss des Bundestages war allerdings von einer "Schnellausbildung" die Rede. Sascha B. soll nach der Katastrophe mehrere Monate in psychiatrischer Behandlung gewesen sein.

In der Unglücksnacht hatte die Baustelle rund zwei Kilometer vor dem Bahnhof eine Umleitung erfordert. Vor der Stelle war der Nachtexpress auf das sonst für die nach Norden fahrenden Züge vorgesehene Gleis geleitet worden. Dieses Gleis hätte auf gerader Strecke durch den Bahnhof unweit des Brühler Schlosses geführt. Weil am Bahnhofsausgang aber kein Signal für die südliche Fahrtrichtung steht, sollte der Zug unmittelbar vor dem Bahnhof noch einmal auf ein drittes Gleis abbiegen.

An dieser Stelle geschah es. Der Zug war viel zu schnell. Nach Ermittlungen des Bundesamtes hatte der Zugführer vor der Baustelle korrekt auf 40 Stundenkilometer abgebremst. Unmittelbar nach der Baustelle aber hatte er wieder beschleunigt, obwohl Signale das Tempolimit anzeigten. Die Anklagebehörde geht davon aus, dass eine fehlerhafte so genannte Langsamfahranweisung der Grund gewesen sein könnte. Einer der mitangeklagten Bahnbeamten soll darin versehentlich für den Baustellenbereich Tempo 120 freigegeben haben.

Aber auch in diesem Fall hätte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft das Unglück vermieden werden können. Sie wirft dem Betriebsinspektor und dem Bauingenieur vor, keine automatischen Kontrolleinrichtungen installiert zu haben. Diese hätten D-203 bei einem Fahrfehler von außen zwangsweise abgebremst. Außer dieser technischen Sicherheitsmaßnahme hätten laut Staatsanwaltschaft weitere Geschwindigkeitssignale auf dem Baustellenabschnitt installiert werden können. Dennoch sei die Signal-Situation für Sascha B. eindeutig gewesen. Vor dem Express aus Amsterdam hatten in der Nacht des 6. Februar 2000 zehn andere Züge die Unglücksstelle problemlos passiert.

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