Rhein-Sieg-Kreis So müssen sich die Innenstädte für die Zukunft rüsten

Rhein-Sieg-Kreis · Die Städte in der Region wollen in ihren Zentren wieder mehr Wohnraum schaffen. "Monostrukturen sind Gift für eine lebendige Innenstadt", sagt Professor Benedikt Stahl von der Alanus Hochschule in Alfter.

Funktionale, gut erreichbare Einkaufsmöglichkeit, ein Ort zum Flanieren und Verweilen oder vielleicht auch irgendetwas dazwischen. Wie müssen sich Innenstädte entwickeln, um für die Zukunft gerüstet zu sein? „Die Städte sind für die Lebenden da“, bringt es Professor Klaus Borchard, Architekt, Stadtplaner und Professor für Städtebau sowie langjähriger Rektor der Bonner Universität, auf den Punkt. „Monostrukturen sind Gift für eine lebendige Innenstadt“, sagt Professor Benedikt Stahl, Dekan des Fachbereichs Architektur und Stadtraum an der Alanus Hochschule in Alfter.

Die Stadtentwicklung der vergangenen Jahrzehnte hat nicht gerade dafür gesorgt, dass die Innenstädte zu lebendigen Orten wurden. Auch wenn es einige positive Beispiele gibt. „Die Schaffung von großen Einkaufszentren und Gewerbegebieten vor den Toren der Städte haben die Landschaft zersiedelt und versiegelt“, sagt Stahl. Die Folge: Es bildeten sich „Zwischenstädte“, so dass in manchen Gebieten kaum mehr nachvollziehbar ist, wo eine Stadt beginnt und wo sie aufhört. „Rein funktionale“ Quartiere, so der Experte für Stadtraum, führten dazu, dass ganze Stadtteile am Abend oder an den Wochenenden zu menschenleerem Ödland werden.

Gerade die Nutzungsvielfalt sei es ja, erklärte Borchard, was die Innenstädte belebe. Weil es in vielen Innenstädten kaum noch Gastronomie, Kulturstätten und vor allem noch Wohnen gebe, sei es vielerorten nach Ladenschluss einfach tot. „Ziel der Stadtplanung muss sein, durch eine Durchmischung vieler Funktionen zu mehr Stadt- und damit Lebensqualität beizutragen“, sagt Stahl. Es gibt gute Beispiele: die Quartiersentwicklung Speicherstraße/Hafen in Dortmund, wo durch Nutzung vorhandener und Ergänzung neuer Gebäude ein neuer Stadtteil entsteht, wo Arbeiten, Kultur, Gastronomie und Bildung verbunden werden sollen.

Wohnen, Leben und Arbeiten stärker verzahnen

Wohnen, Leben und Arbeiten müssen auch mit Blick auf die Klimaproblematik viel stärker miteinander verzahnt werden, sind sich Stadtplaner einig. Für Bonn mit dem Rhein-Sieg-Kreis bedeutet das, Pendlerverkehre stärker einzudämmen. Heute fahren rund 100.000 Menschen aus dem Kreis zum Arbeiten nach Bonn. „Die Kommunen im Rhein-Sieg-Kreis und Bonn müssen nachdenken, wie sie dieser Entwicklung mit klugen Verkehrs- und Ansiedlungskonzepten gegensteuern. „Einen Supermarkt als flache Kiste irgendwohin zu stellen, ist Unsinn. Das wird es in Zukunft nicht geben, ohne gleichzeitig auch über Wohnnutzung nachzudenken“, so Stahl.

Aber lassen sich die Einzelinteressen von 20 Kommunen überhaupt unter einen vernünftigen Weg bringen? Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp hatte vor fünf Jahren als FDP-Landtagsabgeordneter und Bonner Ratsherr eine Fusion der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg-Kreises angeregt.

Genau aus diesem Grund: Dadurch könnten Baugebiete, Verkehrsprojekte, aber auch Schulentwicklungen viel besser und effektiver geplant werden. Unterstützung erhielt er unter anderem von Klaus Borchard. Kommunen stünden heute mehr denn je im nationalen und internationalen Wettbewerb, so der emeritierte Professor. Da werde es immer wichtiger, mit einer Stimme für seine Region zu werben.

Stahl hält davon nur bedingt etwas: „Das kann für vieles gut sein, aber es gibt Bereiche, die besser dezentral erledigt werden.“ Vor allem, was Bürgerdienste betrifft. „Aber für übergeordnete Aufgaben wie Verkehrskonzepte sind zentrale Organisationen geeigneter.“ Für die Entwicklung von Quartieren indes nicht. „Eine zukunftsfähige Stadtentwicklung schafft Voraussetzungen für neue Quartiere, wo Menschen sich einbringen“, sagt Stahl. Solche Konzepte sehen etwa vor, dass Leute, die mit einer Werkstatt oder Dienstleistung in solche Stadtteile ziehen, sich verpflichten, pro Quadratmeter Gewerbe- oder Bürofläche eine Stunde jährlich für die Allgemeinheit zu arbeiten.

Gemeinwohlorientierung fördern

Um solche „Gemeinwohlorientierung in der Immobilien- und Quartiersentwicklung“ zu fördern, hat sich unter dem Dach der Montag Stiftung das „Netzwerk Immovielien“ gegründet. „Die Menschen müssen in Entwicklungsprozessen viel stärker einbezogen werden“, ist Stahl überzeugt. „Und nicht nur als Alibi, sondern mit ernst gemeinten Absichten.“

Ein weiteres großes Thema der Zukunft: Bauen im Bestand. Stahl zufolge wird man gerade in urbanen Strukturen nicht umhinkommen, vorhandene Bausubstanzen besser zu nutzen. Seine Studenten hätten zum Beispiel ein Konzept fürs Bonner Stadthaus erarbeitet. Danach sind dezentrale Aufgaben in den Stadtbezirken und einzelnen Quartieren besser aufgehoben, waren sich die Studierenden einig. Dafür wurden zentrale Aufgabenbereiche stärker konzentriert, einzelne Türme des Gebäudes zu Wohnraum umgebaut und Platz für Einzelhandel, Kultur und Gastronomie geschaffen. „Solche und ähnliche Konzepte brauchen die Städte für eine lebendige und lebenswerte Zukunft“, so Stahl.

Sankt Augustin: Ende der 1960er, Anfang der 70er Jahre hatten die Sankt Augustiner die Idee, gemeinsam mit Siegburg eine Verwaltungs- und Dienstleistungsachse zwischen Siegburg und den Steyler Missionaren zu entwickeln. Das Kreishaus und das Amtsgericht sollten am Rand der Siegburger Stadtgrenze errichtet werden. Es kam anders, und die Augustiner entschieden sich, ein überörtliches Gesamtzentrum zu entwickeln, erinnert sich der frühere Augustiner Stadtdirektor Walter Quasten. So entstand das Zentrum mit Finanzamt, Konrad-Adenauer-Stiftung, Sparkasse, Hotel und Rathaus.

„Uns war aber stets wichtig, dass die einzelnen Ortsteile ihre Eigenständigkeit behielten“, sagte der 80-Jährige. Dass selbst der enorme Ausbau von Huma mit rund 49.000 Quadratmetern Fläche einem gewachsenen Ortszentrum wie Hangelar nicht geschadet hat, wertet Quasten als Zeichen für die gewachsene Struktur des Ortes, wobei die Angebote von Hangelar auch von den Menschen aus den Bonner Ortsteilen Vilich-Müldorf, Bechlinghoven und Holzlar genutzt werden. Wichtig für die Entwicklung Augustins ist die gute Anbindung an die Stadtbahn.

Bornheim

Als Stadt mit 14 Orten, die teils weit auseinander liegen, tut sich Bornheim mit einem richtigen Stadtzentrum schwer. Am ehesten kommen hierfür Königstraße und Peter-Fryns-Platz in Betracht. Um deren Gestaltung – zwischen Einkaufserlebnis und Aufenthaltsqualität, ausreichend Parkplätzen und Raum zum Flanieren – hatte es eine fast 30-jährige Debatte gegeben. Nach hitzigen politischen Diskussionen, Klagen, Gerichtsverfahren und Demonstrationen ist ein rund 200 Meter langer Abschnitt der Königstraße mittlerweise eine Einbahnstraße, mit breiten Bürgersteigen zum Bummeln. Auf dem angrenzenden Peter-Fryns-Platz sind viele Parkplätze weggefallen.

Mitte 2016 wurden die Bauarbeiten abgeschlossen. Vor allem die anliegenden Händler hatten gegen die Umgestaltung protestierten. Ihr Argument: Die Königstraße sei kein Ort zum Bummeln, sondern für den (täglichen) Einkauf. Eine veränderte Verkehrsführung ziehe daher Kunden und somit Kaufkraft ab – vor allem in das Ende 2018 vollendete Einkaufszentrum in Nachbarortsteil Roisdorf.

Alfter

Besagtes Einkaufszentrum beschäftigt auch Gewerbetreibende in Alfter-Ort. Zwar verfügt die Gemeinde Alfter über keine Innenstadt. Eine Art Zentrumsdebatte gibt es aber auch dort. Diese dreht sich seit vielen Jahren um den Herrenwingert in Alfter-Ort. Dieser wird aktuell von Parkplätzen dominiert. Das soll sich aber ändern. Nach einem städtebaulichen Wettbewerb und mit Fördergeldern des Landes soll der Herrenwingert ein Ort sowohl zum Einkaufen als auch zum Verweilen sein – mit einem größeren, attraktiveren Gebäude für den örtlichen Supermarkt, Platz für einen aus Kaufkraftaspekten wichtigen Drogeriemarkt, einer neuen Mehrzweckhalle, weiterem Wohnraum und viel Grün, wo jetzt noch Parkplätze sind.

So ganz ohne Stellflächen für Autos soll es dann aber auch nicht sein. Allerdings soll der notwendige Parkraum überwiegend durch eine Tiefgarage sowie mit einigen oberirdischen geschaffen werden. Die Umgestaltung dürfte sich über Jahre hinziehen.

Bad Honnef

Was viele befürchtet hatten, 2016 wurde es Realität: Nach gut 47 Jahren wurde in der Fußgängerzone die Filiale des Lebensmittelmarktes Kaiser's geschlossen. Damit fiel ein weiterer Frequenzbringer in der unmittelbaren Innenstadt weg, nachdem einige Jahre zuvor auch die DM-Filiale auf die „grüne Wiese“ in den Honnefer Süden verlegt worden war. Der indes ist kontinuierlich gewachsen, bietet im Gegensatz zur Innenstadt viele (freie) Parkplätze. Hoffnungen, dass ein Nachfolger in der Lebensmittelgrundversorgung für die City gefunden werden könnte, haben sich bislang zerschlagen.

Zwar ist das Gebäude mittlerweile verkauft und eine Baugenehmigung für den Umbau erteilt; die Umsetzung aber lässt ebenso auf sich warten wie die Angabe, welche Art von Ladenlokal entstehen wird. Zusätzlich steht in der nach wie vor durch qualitative, inhabergeführte Geschäfte geprägten City ein Generationswechsel an, werden weitere Ladenlokale demnächst schon aus Altergründen neu zur Vermietung anstehen. Für Belebung sorgen soll auch die Online-Plattform „Kiezkaufhaus“, wird aber von vielen Geschäftsleuten noch argwöhnisch beäugt.

Meckenheim

Eine optische Aufwertung der besonderen Art hat der Meckenheimer Einkaufsboulevard, die Hauptstraße in der Altstadt, in den vergangenen Jahren erfahren. In 15 Monaten Bauzeit möbelt die Stadt die Flaniermeile auf. „Die Straße wirkt dadurch wertiger und offener“, sagt Willi Wittges-Stoelben, Chef des Meckenheimer Verbundes.

An der Hauptstraße in der Altstadt seien zudem viele Stolperfallen wie hohe Bordsteinkanten verschwunden sowie unpraktische Poller, die bei manchem Parkplatzsuchenden Erinnerungen im Lack verursachten. Und: „Hier gibt es viele gewachsene, inhabergeführte Geschäfte, die sich am Kunden orientieren. Das findet man nirgendwo im Internet so persönlich wie hier“, findet Wittges-Stoelben. Er hofft, dass durch die neue Optik auch der ein oder andere Leerstand beendet werden kann.

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