Zeitgeschichte 95-Jährige Alfterin schützte Juden vor den Nazis

Alfter · Margarete Jüngling aus Alfter feiert ihren 95. Geburtstag. In der Nazizeit kümmerte sie sich um ihre jüdischen Nachbarn.

 Die Jubilarin: Margarete Jüngling in ihrem Haus, in dem sie auch aufwuchs.

Die Jubilarin: Margarete Jüngling in ihrem Haus, in dem sie auch aufwuchs.

Foto: Bettina Thränhardt

Ihren Humor hat sie sich auch durch schwierige Zeiten hindurch bewahrt. „Ich bin froh, dass ich noch alle Tassen im Schrank habe“, sagt Margarete Jüngling, die an diesem Samstag 95 Jahre alt wird. Und auch wenn sie Unterstützung eines Pflegedienstes, von Nachbarn und Freunden bekommt, kann sie bis heute in ihrem ehemaligen Elternhaus in Alfter leben. „Der Tisch, an dem Sie sitzen, ist hundert Jahre alt, der Stuhl auch“, sagt sie im Gespräch mit dem General-Anzeiger. Ihren Geburtstag begeht sie im kleinen Kreis.

Oft besucht sie ein 75-jähriger Freund aus Bonn, der bei dem Gespräch dabei ist, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Am Telefon begrüßt Margarete Jüngling ihn mit einem „Morgen, Zuckermann!“ Nach ihren Eigenschaften gefragt, sagt der „Zuckermann“: „Sie ist ehrlich, aufrichtig und hilfsbereit. Wenn sie etwas für andere tun kann, dann tut sie das.“

Und das war schon immer so. Im Jahr 1938 war Jüngling 16 Jahre alt und hieß Margarete Wahlen. Übers Eck wohnten jüdische Nachbarn, die Sanders. Jüngling erinnert sich noch, dass sie dort in der Metzgerei einkaufte. „Die Nachbarn waren nett zu uns. Ich sagte als Kind Onkel und Tante zu ihnen.“

Als die SA in der Reichspogromnacht die inzwischen aufgegebene Metzgerei der Sanders zerstörte und die Einmachgläser von den Schränken schlug, flüchtete die Familie zu den Nachbarn. „Den Sohn, Walter Sander, hatten sie zusammengeschlagen. Der lag bei mir oben unterm Bett und hat geblutet“, erinnert sich Jüngling. „Mutter und Kinder haben alle bei uns am Tisch gesessen. Damals habe ich zu den Jungen gesagt: „Geht nach England.“

Den Kindern Gerda und Walter gelang die Ausreise auf die Insel, die Mutter Rosalie und ihre älteste Tochter Else blieben zunächst in Alfter. Sie wollten später ausreisen. „Beide hatten schon die Passage gebucht, sind aber nie in Hamburg angekommen“, berichtet Jüngling. „Einer der Nachkommen aus England, Leslie Artman, hat mir später gesagt, dass sie höchstwahrscheinlich in Auschwitz umgekommen sind.“

Stolpersteine für die Mitbürger

Im Oktober 2008 wurden in der Holzgasse Stolpersteine für Rosalie und Else Sander verlegt (der General-Anzeiger berichtete). Zu diesem Anlass war Artman in Alfter und traf auch Margarete Jüngling, die ihm zwei alte Briefe seiner Mutter Gerda gab. Artman sagte damals: „Das bedeutet mir sehr viel.“

Bis zur versuchten Ausreise der Sanders kaufte Margarete für die Nachbarn ein. „Die Geschäfte haben ihnen ja nichts mehr verkauft“, erklärt sie heute. Jüngling selbst arbeitete nach ihrem Schulabschluss in der Landwirtschaft der Eltern mit. Mit ihrem Mann, der Pflasterer ist, bekommt sie einen Sohn, Otto, der mit Ende 50 verstirbt. Jünglings Mann ist 1993 mit über 70 Jahren verstorben. Sie hat zwei Enkel, die aber in Norddeutschland leben.

Viel Zeit für Hobbys blieb der patenten Jubilarin nie. Sechs Jahre lang hat sie ihre Mutter gepflegt und sich später auch um den an Krebs erkrankten Vater gekümmert. Spaß gemacht hat ihr aber immer der Karneval: „Die fünfte Jahreszeit war für mich immer am schönsten.“ Auf Sitzungen und beim Umzug war sie dabei.

Auch ihre Heimat Alfter bedeutet ihr viel: „Hier bin ich geboren, hier kenn ich alles“, sagt sie. Nicht zuletzt sei der Zusammenhalt groß, betont Jüngling. Und ihr Bonner Freund ergänzt: „Sie ist rundum sehr beliebt in Alfter.“

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