Interview mit Swen Christian Wachtbergs Beigeordneter setzt sich für bezahlbaren Wohnraum ein

WACHTBERG · Hinter dem Schreibtisch von Swen Christian hängt ein Bild von der Insel Juist, aufgenommen am Tag seiner Abfahrt in Richtung Rheinland. Der GA sprach mit ihm über die ersten Monate als Beigeordneter der Gemeinde Wachtberg.

Wie haben Sie den Start in Wachtberg erlebt?

Swen Christian: Ich habe mich sofort willkommen gefühlt, sowohl hier im Rathaus als auch in Fritzdorf, wo ich seit Januar wohne.

Es gab im ersten halben Jahr einige wichtige Themen, unter anderem die schwierigen Haushaltsberatungen. Wie haben Sie sich eingearbeitet, um schnell sattelfest zu werden?

Christian: Der Haushaltsplan war da schon eine gute Hilfe, weil alles abgebildet ist, was die Gemeinde an Aufgaben hat. Die Geschäfte der Verwaltung, so war von Anfang an mein Eindruck, laufen gut. Wir haben aber auch Projekte, gerade im Bereich Gemeindeentwicklung und Infrastruktur, die erheblich über das alltägliche Geschäft hinausgehen.

Ein wichtiges Feld ist der Hochwasserschutz. Geht es da voran?

Christian: Bei der Wiederherstellung der Brücken in Pech nach dem letzten Starkregen hat es Verzögerungen gegeben, weil die Bauarbeiten auf ein unerwartetes Hindernis gestoßen sind. Vorsorgende Maßnahmen wie Retentionsflächen setzen die Gemeindewerke mit großem Engagement um. Es gibt aber Grenzen, nämlich wenn Schutzmaßnahmen teurer werden als die zu schützenden Sachgüter. Zum Beispiel würde man keinen Deich bauen, der Millionen kostet, um eine baufällige Scheune zu schützen. Zudem schaffen Sie unter Umständen ein falsches Sicherheitsgefühl. Eine 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht und wird es auch nie geben.

Jetzt ist im Moment wieder so eine kritische Lage: knochentrockener Boden und Gewitter von Westen. Können Sie noch ruhig schlafen?

Christian: Ich versuche zu schlafen, damit ich fit bin. Aber wenn punktuell ganz massive Unwetter vorausgesagt werden, dann besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Hochwasserlage, wie wir sie auch schon hatten.

Sie haben sich als Geograf mit Ursachen und Risiken für Hochwasser beschäftigt und schauen nicht nur als Verwaltungsmann drauf. Hilft das, in der Gemeinde das Thema anzugehen?

Christian: Ich bin sehr froh, dass ich mein Wissen hier nutzen kann. Ich wäre natürlich noch froher, wenn solche Situationen gar nicht mehr auftreten, aber wir müssen verstärkt damit rechnen. Mir hilft die geografische Ausbildung, weil ich versuche, das große Ganze zu erkennen. Wenn ich auf den Flächennutzungsplan schaue, sind da schon Bereiche markiert, wo in den nächsten Jahren Siedlungsentwicklung ansteht. Topographisch sehe ich da an einigen Stellen Probleme. Wir haben aber einen politischen Auftrag und müssen schauen, inwieweit wir die Flächen guten Gewissens entwickeln können.

Mit Blick auf die Gemeindefinanzen wäre es doch sinnvoll, neue Wohngebiete auszuweisen und gut verdienende Neubürger nach Wachtberg zu holen, oder?

Christian: Nach meinem Empfinden ist vor allem Bedarf, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, zum Beispiel für ältere Menschen oder Studentinnen und Studenten, die in den Fraunhofer-Instituten in den Beruf starten. Denen können Sie keine Eigentumswohnung mit 90 Quadratmetern anbieten.

Die Gemeinde hat weder Grundstücke noch die Struktur, um selbst Wohnungsbau zu betreiben.

Christina: Ich sehe die Projektträger in der Pflicht. Wir sagen ihnen auch klar, was die Vorstellungen der Gemeinde sind. Es mangelt aber nicht nur an bezahlbaren Wohnungen. Wir haben auch einen massiven Bedarf an Pflegeplätzen. Laut Pflegeplan des Rhein-Sieg-Kreises gibt es in Wachtberg 145 Plätze. Wir haben aber heute schon einen Bedarf von rund 500 Personen, die eigentlich einen Pflegeplatz benötigen. Diese Zahl wird sich bis 2040 fast verdreifachen.

Ein weiteres Thema ist die Haushaltslage. Die Gemeinde lebt auf Kosten der Substanz.

Christian: Wir schieben seit vielen Jahren ein Defizit von drei Millionen Euro pro Jahr vor uns her. Das Vermögen der Gemeinde, das dem gegenüber steht, ist ein rein rechnerischer Wert. Wir haben hier keinen Tresor stehen, in dem 50 Millionen Euro liegen.

. . . und Sie könnten ja auch schlecht Straßen und Bürgersteige verkaufen.

Christian: Genau. Seit 2010 sind die Einnahmen nicht an die wachsenden Aufgaben angepasst worden. Natürlich ist die Verwaltung immer angehalten zu sparen, aber es gibt Pflichtaufgaben, die wir nicht einfach einstellen können.

Die schrittweise Erhöhung der Grundsteuer B war ja ein Kompromiss. Haben Sie den Eindruck, dass die Politik gesprächsbereit ist?

Christian: Ich habe insgesamt einen sehr guten Eindruck vom Wachtberger Rat, dazu zähle ich auch die Ausschüsse. Wenn es drauf ankommt, dann wird eine Lösung gefunden. Das finde ich wirklich vorbildlich. Hier wird miteinander gesprochen, manchmal auch ein bisschen hitziger, aber insgesamt herrscht ein sehr konstruktives Klima.

Was sind aus Ihrer Sicht wichtige Zukunftsprojekte?

Christian: Wie haben großer Herausforderungen, Stichwort Digitalisierung und Datenschutz. Außerdem können wir fast keinen Bleistift mehr anschaffen, ohne eine Vergabe zu machen. Es ist richtig, dass die Kommune dem wirtschaftlichsten Anbieter den Auftrag gibt, aber das treibt auch soweit Blüten, dass sie regelrecht gehemmt sind. Außerdem wird die rechtssichere Arbeit immer komplexer und die Angriffslustigkeit der Beteiligten steigt deutlich an.

Wie äußert sich das?

Christian: Die Bevölkerung hat manchmal wenig Vertrauen in die Verwaltung und ich stelle mit Sorge fest, dass immer mehr der Respekt untereinander verloren geht. Ich will dafür nicht die sozialen Medien verantwortlich machen, aber ich sehe einen Zusammenhang. Vielleicht erinnern Sie sich an die Auseinandersetzung über die Buslinie 855 in Villiprott. Da stand in Ihrem Artikel drin, ich hätte auf den Tisch geschlagen. Das war auch so, weil einzelne Beiträge dermaßen respektlos waren. Da wurden in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen ausgelacht, weil sie äußerten froh zu sein, jetzt eine Busanbindung zu haben. Da gehen auch mit mir die Emotionen durch. Wir haben den Auftrag, das Wohl der Allgemeinheit zu schützen und voranzubringen, und da bleiben Einzelinteressen manchmal auf der Strecke. Das sind aber oftmals sehr laute Einzelinteressen.

Wie gehen Sie damit um?

Christian: Leute, die laut werden, hole ich mir hier an den Tisch oder spreche sie nach einer Bürgerversammlung persönlich an. Ich will verstehen, was sie umtreibt. Die Verwaltung muss Vertrauen schaffen und ein Anker sein in schweren Zeiten. Da sehe ich auch die Politik ganz klar in der Pflicht, sich sachlich einzubringen. Insgesamt ist Wachtberg auf einem guten Weg, aber etwas mehr Anerkennung für die Arbeit der Verwaltung würde ich mir wünschen. Hier leisten Menschen auf so vielen Ebenen jeden Tag ihr Bestes zum Wohle der Gemeinde. Außerdem sind wir im Rathaus ja nicht nur Verwaltungsbeschäftigte, sondern alle auch Bürgerinnen und Bürger.

Es gibt trotzdem immer wieder Kritik, zum Beispiel wegen der langwierigen Brückenbauarbeiten in Pech.

Christian: Ich fahre in solchen Fällen immer raus, damit ich mitreden kann. Ich war mehrfach an den Brücken in Pech, sowohl an der Pecher Hauptstraße als auch am Grünen Weg. Ich verstehe beide Seiten, sowohl die bauausführenden Firmen als auch die Bürger. Woran wir arbeiten müssen: Wir müssen noch wesentlich informativer werden und im Detail sagen, wo es gerade hapert. Ich hätte als Bürger in Pech auch Bedenken, was die Durchfahrt für Rettungsfahrzeuge angeht. Also kam mir die Idee, unten in der Alten Hecke die Leitplanke zur Pecher Landstraße wegzumachen. Dann hätte man zumindest eine Noteinfahrt.

Die Leitplanken sind aber noch da.

Christian: Ich habe die Behörden eingeschaltet, die zuständig sind. Straßen NRW hatte große Bedenken wegen der Unfallgefahr auf der Landstraße. Der gesunde Menschenverstand sagt zwar, dass es doch möglich sein muss, da Schilder mit Geschwindigkeitsbegrenzung und einen Fahrbahnteiler hinzustellen. Diese Idee ist aber leider zurückgewiesen worden.

Gab es noch mehr Frustmomente im ersten halben Jahr?

Christian: Ja, zum Beispiel bei „Wifi4EU“, dem Förderprogramm für freies Wlan für Städte und Gemeinden. Da habe ich um Mitternacht zu Hause am Rechner bereit gesessen, um die Bewerbung abzuschicken, denn es galt: Wer zuerst kommt mahlt zuerst. Es kam auch eine Eingangsbestätigung, dann aber passierte nichts, denn die EU hatte die Zeitstempel der absendenden Rechner aufgezeichnet. Wegen der verschiedene Zeitzonen waren die Osteuropäer vorne. Ich hatte schon drei Standorte für Wlan ausgeguckt – Köllenhof, Henseler Hof und hier oben am Bernareggio Platz – und Angebote vorliegen. Ein kleiner Fehler und schon geht nichts mehr, das erleben wir hier immer wieder.

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