Blick ins Radom Wachtberger Radar findet den kleinsten Weltraumschrott

Wachtberg · Das im kleinen Örtchen Werthhoven gelegene Radom ("Berkumer Kugel") sieht man von Weitem. Es ist weit über die Grenzen Wachtbergs hinaus bekannt. Doch was tut sich hinter der weißen Hülle? Der GA durfte einen ausgiebigen Blick ins Innere werfen.

Was Radar so alles kann: Die Funkwellen spüren herumirrende Trümmerteile im Weltraum auf, messen den Koffeingehalt von Kaffeebohnen oder machen in Briefen geschmuggelte Drogen sichtbar. Es finden sich immer mehr Anwendungsgebiete, dabei wird die Technik immer filigraner und leistungsfähiger. So ist die vielfältige Forschungsarbeit des Fraunhofer-Instituts für Hochfrequenzphysik und Radartechnik (FHR) in Werthhoven weltweit gefragt – zuletzt bei der Verfolgung des Absturzes der Raumstation Tiangong-1 über dem Südpazifik. In den vergangenen Wochen und über Ostern verfolgte die 34-Meter-Parabolantenne in der weißen Kugel hinter Berkum die Flugbahn des chinesischen Labors im All, zu dem schon seit zwei Jahren kein Funkkontakt mehr bestand.

Im Innern sind gut die Waben aus Aluminiumverstrebungen des sogenannten Radoms zu sehen. Kaum zu glauben, dass eine Längsseite bis zu vier Meter lang ist, wie es FHR-Sprecherin Hanne Bendel versichert. Denn in dem riesigen Raum verschwimmen für den Betrachter die Dimensionen. Um das Aluskelett mit einem Durchmesser von 47,5 Metern ist ein Stoff gespannt, der sich wie eine Lastwagenplane anfühlt. Er dient nur einem Zweck: Die Antenne vor Wind und Wetter zu schützen. „Sie kann sich also immer bewegen“, sagt Bendel. Und zwar schnell, was die 240 Tonnen schwere Anlage so einzigartig macht.

Funkwellen spüren verlorene Werkzeugtasche im All auf

Das Weltraumbeobachtungsradar TIRA (Tracking and Imaging Radar) mit 34 Metern Durchmesser benötigt nur 15 Sekunden, um sich einmal horizontal im Kreis zu drehen. Die Schüssel lässt sich vertikal um 90 Grad kippen. So verlieren die Forscher keinen Satelliten aus dem Blick. Auch deshalb nicht, weil sich die von 1965 bis 1970 erbaute und 2010 erneuerte Anlage ganz genau justieren lässt. Die Ausrichtgenauigkeit beim Messen beträgt auf eine Entfernung von 1000 Metern gerade mal drei Millimeter – macht drei Meter auf 1000 Kilometer.

Bei Radar breiten sich Funkwellen mit Lichtgeschwindigkeit aus, also rund 300 000 Kilometer pro Sekunde. Das ist ungefähr die Distanz von der Erde zum Mond. TIRA sendet Radarwellen aus, die wie der Lichtkegel einer Taschenlampe ins All leuchten – in der Regel erdnah 3000 Kilometer weit, wobei bis zu 36 000 Kilometer möglich sind.

Gerät nun ein Satellit, ein winziges Trümmerteil oder die 2008 von US-Astronautin Heidemarie Stefanyshyn-Piper verlorene Werkzeugtasche im All in den Strahl, erzeugt dies ein Echo, das die Antenne aufnimmt. So lassen sich diese Gegenstände abbilden und vermessen. Ein rechtzeitiges Ausweichmanöver rettet am Ende vielleicht einen Satelliten vor der Zerstörung durch Weltraumschrott. Ein ein Zentimeter großes Teilchen kann laut Bendel da schon zum Verhängnis werden. Das Fraunhofer FHR arbeitet manchmal auch mit den Kollegen vom Max-Plank-Institut in Effelsberg zusammen, wo das Teleskop mit 100 Metern Durchmesser zwar größer ist, aber Wellen nur empfangen kann.

Bei der Beobachtung von Tiangong-1 waren die Forscher im Prinzip machtlos. „Es ging vor allem darum herauszufinden, wo die Raumstation runterkommt“, sagt Bendel. Ihre Flugbahn beim Eintritt in die Atmosphäre hätte man nicht beeinflussen können. Aber selbst über bewohntem Gebiet wäre es wohl nicht zu größeren Zerstörungen gekommen.

256 elektronisch gesteuerte Sender blicken in den Himmel

Die kontinuierlichen Messungen in Wachtberg sind in der heißen Phase direkt ans Deutsche Weltraumlagezentrum in Uedem am Niederrhein gegangen. Bendel erinnert an den Umweltbeobachtungssatelliten Envisat der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), der im Frühjahr 2012 plötzlich und unerwartet verschwand. „Man wusste ungefähr, wo er sich befand“, sagt Bendel, und TIRA fand ihn auch. Bei der Analyse stellte sich heraus, dass der Satellit unbeschädigt war, aber keine Kommunikation mehr mit ihm möglich war. Immerhin hielt er zehn Jahre durch, doppelt so lange wie ursprünglich veranschlagt.

Neuestes Projekt ist das experimentelle Weltraumüberwachungsradar GESTRA zur Katalogisierung von Weltraumschrott, das das Institut im Auftrag des Raumfahrtmanagements der DLR derzeit für das Deutsche Weltraumlagezentrum baut. Nach dem Testbetrieb Ende des Jahres soll es voraussichtlich in Koblenz eingesetzt werden. Das Besondere hier ist, dass GESTRA, auf zwei Container verteilt, mobil ist und ein anderes, viel kleineres Antennenkonzept vorweist. In den Himmel blicken dabei rund um die Uhr 256 elektronisch gesteuerte Miniantennen, die in einem Netzwerk zusammenspielen und ihre Blickrichtung im Bruchteil einer Sekunde verändern können, so Projektleiter Helmut Wilden.

Rund 300 Mitarbeiter arbeiten rund um das an einen Golfball erinnernde TIRA in Werthhoven an Fragestellungen im Bereich Weltraumbeobachtung oder an Anwendungen auf der Erde. Weitere 52 im Gewerbepark Villip widmen sich im Geschäftsfeld Produktion speziell dem industriellen Sektor. Dort steht beispielsweise ein Fließband, auf dem Produkte mit Radar durchleuchtet und auf ihrer Fehlerfreiheit überprüft werden können – alles von den FHR-Mitarbeitern entwickelt und als Prototyp gebaut. So ist nie mehr durch Zufall zu wenig Kakao in der Schokolade oder Kräuterrahm in der Packung mit der Aufschrift „Frischkäse gegrillte Paprika“. Mit Radar lässt sich das alles unterscheiden.

Gekrümmte Platinen machenMobiltelefone noch kompakter

Die Methode hat viele Vorteile gegenüber anderen Messsystemen, wie es Geschäftsfeldsprecher und Abteilungsleiter Dirk Nüßler erklärt: Das seien die für die Massenproduktion geeignete hohe Geschwindigkeit und Empfindlichkeit. Auch Dunkelheit, Nebel und Staub störten nicht, und „es ist kein Strahlenschutz notwendig“. Letztlich sei die Technik auch noch preiswert. Sie spürt Fremdkörper wie ein Stück Staniol in Schokolade auf und sortiert die Tafeln vor der Lieferung in den Supermarkt aus.

In den FHR-Laboren steht High-Tech zur eigenen Chipentwicklung und Platinenfertigung. In speziellen abgeschirmten Kammern können die Elektroingenieure die Mikroelektronik testen – auch bei Extremtemperaturen. Derzeit arbeiten sie daran, dass Platinen nicht mehr nur plan, sondern zum Beispiel gekrümmt sein können. Das ist für Radarsysteme mit Kameras oder Hersteller von Mobiltelefonen interessant, die ihre Geräte noch kompakter bauen wollen. In Verbindung mit modernster 3D-Druck-Technologie können Radarsysteme so in Zukunft auch Einsatzorte erreichen, wo keine heute verfügbare Technologie Platz finden würde. Und das entwickelt in Wachtberg.

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