Roland Bude aus Swisttal Verurteilt zu 25 Jahren im Straflager Workuta

SWISTTAL · Nach dem Weltkrieg geriet der Buschhovener Roland Bude aus politischen Gründen in die Hölle von Stalins Gulag. Bei eisigen Temperaturen musste er in der Kohlegrube arbeiten. Überlebt hat er der Liebe wegen.

 Der Buschhovener Roland Bude überlebte Workuta, hier ein Aufnahme von ihm 1954 in Schacht 40 des Lagerkomplexes.

Der Buschhovener Roland Bude überlebte Workuta, hier ein Aufnahme von ihm 1954 in Schacht 40 des Lagerkomplexes.

Foto: Axel Vogel

Roland Bude wird in wenigen Wochen, am 22. März, 91 Jahre. Anlass genug für den Buschhovener, ein bewegtes Leben Revue passieren zu lassen. Ein Leben, das ihn in jungen Jahren zwangsweise in eine der unwirtlichsten Regionen der Welt führte und das oft an einem seidenen Faden hing.

Dabei hatte Bude als 19-jähriger Infanterist gerade die Schrecken des Zweiten Weltkriegs überstanden. In der Sowjetischen Besatzungszone begann er als Student in Rostock gerade Fuß zu fassen, als sein Schicksal eine unerwartete Wende nahm: Der junge Mann geriet aufgrund seines kritischen politischen Engagements ins Visier der DDR-Staatssicherheit (Stasi). Und es kam noch schlimmer. 1950 wurde er wegen „Spionage und antisowjetischer Hetze“ zu zweimal 25 Jahren Besserungslagerhaft verurteilt, was zu 25 Jahren zusammengefasst wurde. Man verschleppte ihn in eines der wohl härtesten Straflager in Stalins Gulag-System: nach Workuta, wo Tausende Gefangene, auch politische und Kriegsgefangene aus Deutschland, umkamen.

Die sowjetische Besatzungszone 1950: Bude engagierte sich in der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ), weil er „beim Wiederaufbau ganz Deutschlands helfen wollte“. Da er die SED wegen „ihrer Methoden“ kritisch sah, geriet er ins Visier der Stasi. Bude wurde wegen seiner politischen Kontakte zu Kommilitonen, die nach Westberlin geflüchtet waren, denunziert und verhaftete: Man wollte ihn fortan als Spitzel einsetzen, und er sollte in die SED eintreten. Der junge Student weigerte sich, worauf ihn DDR-Organe verfassungswidrig sowjetischen Behörden überstellten. Ein Militärtribunal der Garnison in Schwerin verurteilte ihn am 31. Oktober 1950 zu 25 Jahren in einem „Besserungsarbeitslager“, wie es offiziell hieß.

Wohin er mit rund zwei Dutzend anderen politischen Häftlingen aus Deutschland verschleppt werden würde, erfuhr er erst Anfang 1951, während eines wochenlangen Transportes per Bahn Richtung Osten: „Im Durchgangsgefängnis in Moskau sagte uns ein russischer Mithäftling zum ersten Mal, dass es nach Workuta geht.“ Der Mithäftling bereitete ihn auf Schlimmes vor: „Mein lieber Freund, Workuta ist nicht Taschkent! Dort wird man nicht behandelt wie ein englischer Lord, sondern wie ein sowjetischer Arbeiter.“ Was ihm bevorstand, ahnte Bude bereits: „Ich wusste, dass Workuta 160 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt.“

Der eisige Wind

Anfang Februar 1951 konnte er sich bei seiner Ankunft selbst ein Bild in dem Lagergebiet machen: Das hatte nach seinen Erinnerungen mit seinen rund 25 bis 30 Kohlegruben eine Ausdehnung von 40 mal 25 Kilometern. Bude kam in das besonders gefürchtete Lager 10 von Schacht 40, wo allein bis zu 3500 Inhaftierte arbeiten mussten. Was er erst nach seiner Haft erfuhr: Inhaftierte, die dort schufteten, hatten den Vermerk „Auf ewig“ bekommen.

1951 empfing ein Schneesturm die Neuankömmlinge mit minus 58 Grad – das hatten Insassen gemessen. „Deshalb konnten wir zunächst nicht arbeiten“, so Bude. Nichts Ungewöhnliches, wie er bald lernen musste: „Es gab kaum einen Monat ohne Schneesturm.“ Den „eisigen Wind“ wird er fortan „als besonders schlimm“ in Erinnerung behalten.

Für ihn begann der bedrückende Lernprozess, wie man den Lageralltag überleben konnte. Dieser bestand aus drei Schichten Arbeit pro Tag; und zwar aus Über- und Untertageschichten in den Kohlegruben sowie besonders mühevollen Bauarbeiten. Die schwere Arbeit war nicht das Schlimmste. Gefürchtet waren Übergriffe durch Kriminelle, die ebenfalls in Workuta inhaftiert waren „und oft mit dem Wachpersonal unter einer Decke steckten“, so Bude.

Glücklicherweise halfen Deutschstämmige aus der Mandschurei, die Stalin 1945 deportieren ließ, beim Eingewöhnen: Sie zeigten den Neuankömmlingen, „wie man sich nachts mit einem glühend heiß gemachten Eisen gegen die brutalen Übergriffe der Kriminellen verteidigen konnte“. Auch beim Gang zur Latrine außerhalb war in den Erinnerungen von Roland Bude immer Vorsicht geboten: „Uns gingen die Augen über, wo wir hingeraten waren.“

Der Tod Stalins als Hoffnungsschimmer

Dank seines hilfsbereiten und unauffälligen Verhaltens brachte er es in Schacht 40 zum „Brigadier“. Was ihn beliebt machte: „Da viele Mitgefangene Analphabeten waren, half ich ihnen beim Schreiben und Lesen ihrer Briefe.“

Der Tod Stalins am 5. März 1953 ließ die Häftlinge auf eine Verbesserung ihrer Situation hoffen. Bude: „Die Verhältnisse mussten sich ändern, weil die Produktivität schlecht war.“ Aus der „Prawda“ erfuhren sie dann vom Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953, und im Herbst wurden sogar verurteilte Aufständler in Workuta eingeliefert. „Die haben uns dann die Hintergründe berichtet“, erinnert er sich. Als aufsässige Ukrainer aus dem Lager Karaganda unter falschen Versprechungen nach Workuta gebracht wurden, begann dort im Sommer 1953 eine Rebellion. Die Ukrainer fingen an, gegen das Lagerregime aufzubegehren, was schnell Nachahmer fand.

Bude: „Mein bester Mann wollte eines Tages nicht mehr zur Arbeit gehen, was glatte Arbeitsverweigerung war.“ Normalerweise wäre das streng bestraft worden, der Betreffende in „Unterwäsche im Kältekarzer“ gelandet. Aber zu Budes Erstaunen passierte nichts. „Das sprach sich herum“, erklärte er: „Wir lagen nur noch in der Sonne bei herrlichem Wetter.“ Ab dem 20. Juli 1953 und den ganzen August hindurch sei nicht mehr produziert worden.

Derweil hatten rebellierende Ukrainer und Polen einen Generalstreik in Schacht 7 begonnen, der dann nach Aussage Budes auch auf die Schächte 14, 16 und 29 übergriff. Am 1. August eskalierte das Ganze: „Die Wachen stürmten mit Maschinenpistolen die Wohnzone von Schacht 29“,weiß Bude zu berichten: „Es gab zwischen 150 und 250 Tote und Schwerverletzte.“ Im Herbst habe man dann die Arbeit wieder aufgenommen, und das so intensiv, „dass wir die Verluste aus dem Sommer wieder aufgeholt haben“.

Bis 1955 war Roland Bunde noch Häftling in Stalins Gulag, bevor er und die meisten deutschen politischen Häftlinge und Kriegsgefangenen begnadigt wurden. Wie er das alles überstand? „Ich bin ein kämpferischer Katholik und war zudem beseelt von der Liebe zu meiner Familie.“

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