Gespräch am Wochenende Thomas Becker über Räuberbanden im Rheinland

Swisttal · Thomas Becker, Leiter des Bonner Uni-Archivs, über Räuberbanden im Rheinland und die sozialen Hintergründe, Täter und Opfer.

 Thomas Becker leitet das Archiv der Bonner Universität.

Thomas Becker leitet das Archiv der Bonner Universität.

Foto: Fuss

Welche Räuberbanden trieben sich um 1800 im Bonner Raum herum?

Thomas Becker: Mir sind keine dauerhaft bestehenden lokalen Banden bekannt. Es handelte sich um spontane Zusammenschlüsse.

Wie setzten sich diese Banden zusammen?

Becker: Berüchtigt war die Große Niederländische Bande. Der jüdische Krämer Jakob Moses hatte sie 1780 in der Provinz Limburg gegründet. Sie hatte keine feste Struktur, war ein Netzwerk aus fahrendem Volk. Dazu gehörten Leute ohne festen Wohnsitz wie Musikanten, Schausteller, Sinti und Roma, Handwerker, Kesselflicker, Scherenschleifer, Studenten, marodierende Söldner und desertierte Soldaten. Sie bildeten die unterste Stufe der Gesellschaft mit geringem oder ohne Einkommen.

Wie war diese Schicht entstanden?

Becker: Mitte des 18. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung in Deutschland enorm. Es gab aber nicht genügend Arbeit und Nahrung für alle. Die armen Leute in den Städten erhielten Unterstützung, die Nichtsesshaften aber nicht. So waren sie aufs Betteln angewiesen. Und manche schlossen sich eben einer Räuberbande an.

Wie funktionierte das Netzwerk?

Becker: Die Niederländische Bande bestand aus einigen Tausend Leuten. Für einzelne Raubzüge wurden aber nur maximal 20 Männer benötigt. Abgelegene Gasthöfe dienten dazu, Mittäter anzuwerben, Raubzüge zu planen und die Beute zu verkaufen. Man nannte diese Häuser „Kochemer Bayes“. Der Ausdruck stammt aus der Räubersprache Rotwelsch und bedeutet etwa „sicheres Haus“. Die Mitglieder der Kochemer Gesellschaft nannten sich „Jauner“. Das ist jiddisch für Falschspieler, Betrüger oder Dieb. Germanisiert wandelte sich das Wort später zu „Gauner“.

Gab es den edlen Räuber, wie der Mythos um Robin Hood nahelegt?

Becker: Das ist alles Quatsch. In der Literatur wird vieles verklärt. Die Räuber waren Verbrecher, die in erster Linie an die Beute, an ihren eigenen Vorteil dachten.

Dennoch gab es im Rheinland bekannte Figuren wie etwa den Fetzer.

Becker: Ja. Er hieß bürgerlich Matthias Weber, war mutig und im Kampf ein Draufgänger. Seine Angriffe galten einzelnen Gehöften, aber auch Gebäuden mitten in einer Stadt oder einem Dorf.

Woher kam sein Künstlername?

Becker: Bei seinen Angriffen ging er recht rabiat vor. Um Türen aus den Angeln zu heben, nutzte er einen kräftigen Stock mit einem Eisenhaken. Das war sozusagen sein Markenzeichen.

Gingen die Räuber gezielt vor?

Becker: Ja. Es wurde durch Betteln oder Verkäufe an der Haustür„ausbaldowert“, wo ein Haus eines Reichen sein könnte. So bekam man Einblicke ins Haus und konnte abschätzen, ob es dort etwas zu holen gab. Diese „Baldover“ (Auskundschafter) hinterließen Geheimzeichen, die Zinken. Sie sagten etwas über den Hausherrn aus, ob er reich war, geizig oder bewaffnet. Es wurden auch Reisende wie Kaufleute, Pilger oder Studenten überfallen oder jüdische Viehhändler auf dem Rückweg vom Markt. Da wussten die Räuber, dass diese Männer den Verkaufserlös dabei hatten.

Worauf hatten es die Räuber abgesehen?

Becker: Auf Geld und Schmuck natürlich, aber auch auf Alltagsgegenstände wie Kochtöpfe und Waffen.

Mussten die Überfallenen um ihr Leben fürchten?

Becker: In der Regel nicht. Wohl aber verbreiteten die Räuber Angst und Schrecken. Die Überfallenen wurden auch schon mal geschlagen, wenn sie Verstecke von Geld und Wertsachen nicht direkt verrieten. Denn die Räuber wollten ja schnell wieder weg. Auch hatten sie Angst vor Gegenwehr. Es kam vor, dass sie selbst Prügel mit Dreschflegeln von den Bauern bezogen, wenn ein Überfall bemerkt worden war und die Nachbarn dem Überfallenen zur Hilfe eilten.

Wo hatten die Räuber ihren Unterschlupf?

Becker: Es gab keinen festen Unterschlupf, keine Räuberhöhle. Das ist alles Legende. Die Räuber flüchteten zu Fuß oder selten zu Pferd und gingen auseinander. Nachdem sie ihre Beute nach einem vorher festgelegten Schlüssel geteilt hatten, mischten sie sich wieder unters Volk. So konnte die Ordnungsmacht kaum reagieren.

Wie lief denn eine Fahndung nach den Räubern ab?

Becker: Über ausgehängte Täterbeschreibungen oder -zeichnungen. Es gab Mitte des 18. Jahrhunderts keine Polizei, sondern nur militärische Einheiten. Die Soldaten verfügten über Säbel, Lanzen und Musketen für eine Schlacht. Diese Waffen waren aber für den Kampf gegen Räuber ungeeignet. Die Bürger bewachten ihre Städte und Dörfer selbst mithilfe bewaffneter Bauern oder Schützen. Erst Kurfürst Clemens August bildete ab etwa 1750 kleine Kavallerieeinheiten, die an großen Straßen stationiert waren und die schnell eine Verfolgung aufnehmen und die Räuber auch mit kurzläufigen Karabinern aus dem Pferdesattel bekämpfen konnten. Alarm wurde über die Kirchenglocken gegeben.

1794 kamen dann die Franzosen.

Becker: Sie brachten eine gut strukturierte Gendarmerie ins Linksrheinische. Die Polizisten ritten Streife, was den Fahndungsdruck auf die Räuber erhöhte. Dadurch wichen die Banden aus dem Franzosengebiet über den Rhein aus. So ging der Fetzer mit seiner Krefelder Bande nach Neuwied, wo er sich mit der Bande des Schinderhannes austauschte.

Wann endete die Blütezeit der Räuberbanden?

Becker: Um das Jahr 1810. Die Franzosen hatten Verträge mit den rechtsrheinischen Fürstentümern geschlossen, was den Fahndungsdruck weiter erhöhte. Bereits 1803 waren der Schinderhannes und der Fetzer enthauptet worden. Das waren große öffentliche Ereignisse, die entsprechend abschreckten. Es kam hinzu, dass Napoleon für seine Feldzüge jede Menge Soldaten rekrutierte, was den Banden den personellen Nachschub nahm.

Welche Strafen drohten gefassten Räubern?

Becker: Generell die Todesstrafe. Anfangs durch Hängen, unter den Franzosen das Enthaupten mit der Guillotine.

Wie erklären Sie sich den Mythos um Figuren wie den Fetzer und den Schinderhannes?

Becker: Ihnen wurde Erfolg bei Frauen nachgesagt. Der Fetzer soll mal aus beträchtlicher Höhe aus dem Neusser Gefängnisturm gesprungen und geflüchtet sein. Außerdem schlug den Räuberhauptmännern Bewunderung entgegen, weil sie sich mit den ungeliebten Franzosen und den Reichen anlegten. Und zum Mythos trugen auch Filme wie „Das Wirtshaus im Spessart“ und „Der Schinderhannes“ mit Curd Jürgens und Maria Schell sowie das Kinderbuch „Der Räuber Hotzenplotz“ bei.

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