Wo sind die guten Tage hin? Start der Kabarett-Tage im Kreaforum

SWISTTAL-MORENHOVEN · Besser hätten die Kabarett-Tage im Kreaforum kaum starten können: Mit zwei lohnenden Abenden mit Profil, die dabei doch unterschiedlicher kaum hätten sein können. Das Ensemble Arche Nova II aus Mainz und der Österreicher Stefan Waghubinger überzeugen rundum.

 Jetzt hätten die guten Tage kommen können: Kabarettist Stefan Waghubinger erklärt seinen Zuschauern in Morenhoven, weshalb sie wohl auch weiter auf sich warten lassen werden. FOTO: MATTHIAS KEHREIN

Jetzt hätten die guten Tage kommen können: Kabarettist Stefan Waghubinger erklärt seinen Zuschauern in Morenhoven, weshalb sie wohl auch weiter auf sich warten lassen werden. FOTO: MATTHIAS KEHREIN

Foto: Matthias Kehrein

„Mainz ist die Rache, sprach der Herr!“ So jedenfalls überlieferte es seinerzeit der Kabarettist Matthias Beltz. Gepasst hätte dieses auf die Reformation gemünzte Zitat aber ohne Weiteres auch zu dessen Kollegen Hanns Dieter Hüsch. Mit einer Hommage an den literarischen Kabarettisten, der sich in den 60er Jahren von eben diesem Mainz aus anschickte, zu einem der pointiertesten seiner Zunft zu zählen, wurden jetzt die Morenhovener Kabarett-Tage eröffnet. Um am Abend darauf mit dem heuer in Stuttgart lebenden Österreicher Stefan Waghubinger darüber zu sinnieren, ob sich das Leben vom elterlichen Dachboden betrachtet anders anschaut. Die Quintessenz: Zwei lohnende Abende mit Profil, die dabei doch unterschiedlicher kaum hätten sein können.

Nun ist die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt nicht nur der Sitz einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt mit sechs freundlich-gewitzten Kittelträgern in ihrer unverzichtbaren Funktion als Werbetrennern, sondern auch die Kapitale des deutschsprachigen Kabaretts. Dafür steht das 1966 eröffnete Unterhaus mit dem seither gern auch als Kabarett-Oscar gehandelten Deutschen Kleinkunstpreis. Hüsch gewann ihn gleich zweimal: 1972 und 1982. Und dafür steht auch das 1961 begründete Deutsche Kabarettarchiv im Proviant-Magazin. Über die dort gehüteten Schätze wacht – selbstredend – eine in einen Glaskubus gefasste Büste Hüschs.

Von dort aus ist nun auch die nach seinem erstem, 1956 gegründeten Ensemble benannte „Arche Nova (II)“ nach Morenhoven gekommen. Für einen ebenso komplexen wie kompakten Abend, der im ersten Teil Hüschs Leben Revue passieren lässt und im zweiten eine Szenerie entwirft, die zeigt, was ihn ausmachte und was er wohl sagen würde, führte er noch heute seine klar vernehmbare Stimme.

30-jähriges Bestehen

Doch würde sie im Strom der per Facebook und Twitter transportierten und oft nicht nur technisch begrenzten Ansichten über Gott und die Welt überhaupt gehört werden? Wo ihn die, denen er schon damals zu kritisch, zu unkonventionell und vor allem zu unbequem war, als Kabarettonkel und „Kitschgemüt mit Goldbrokat“ als allzu betulich, gestrig oder als Pharisäer abqualifiziert haben.

Viel Feind, viel Ehr. Und der Dramaturg, Regisseur und Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, Holk Freytag – der ebenso wie Hüsch im niederrheinischen Moers aufgewachsen ist – trifft den Tonfall, der Hüsch über die Jahre beides eingetragen hat, beeindruckend authentisch. Gemeinsam mit dem Leiter des Kabarettarchivs, Jürgen Kessler, der dessen Schüler und von 1969 bis 2002 tatsächlich sein Agent war, und unterstützt von Irmgard Haub (Gesang) Nicole Meisenzahl (Schauspiel) und Markus Schönberg (Klavier) gelingt der Zeitsprung, um den Meister in die Gegenwart zu führen und die Zuschauer – wenn sie denn mögen – die Welt gut zwei Stunden lang mit seinen Augen sehen zu lassen.

„Ihr habt es weit gebracht.“ Könnte die Bilanz dieser Tage noch doppeldeutiger, noch sarkastischer klingen? So ist dieser Abend eine in weit mehr als nur einer Hinsicht reife Leistung auch gern als Geburtstagsgeschenk zum 30-jährigen Bestehen der Kabarett-Tage zu betrachten. So gesehen hat an dem Eröffnungswochenende mit Stefan Waghubinger noch ein weiterer, leicht verspäteter Gratulant seine Visitenkarte abgegeben. Die Wartezeit auf den Freund, der den gerade frisch Getrennten mitsamt seinem Mobiliar in die neue Wohnung transportieren soll, verkürzt dieser mit scheinbar naiven, mitunter ein wenig melancholischen Betrachtungen, die in die Tiefe weisen, ohne einem diese Sicht der Dinge gleichsam aufdrängen zu wollen.

Angebot und Nachfrage

Andere zu belehren, wie sie's besser anfangen sollten? Das ist seine Passion nicht. Sollte sie es denn sein? Weil seine Frau sich jetzt als Muse eines zu Recht unbekannten Malers versteht, dessen gerahmte, einfarbigen Quadrate in einer nahe gelegenen Sparkassenfiliale ausgestellt sind? „Wenn er sich für Weiß entscheiden würde, könnte er bei uns die Garage ausmalen.“ Sagt Waghubinger und lächelt zu vermeintlich indifferenten Schulterzucken.

„Jetzt hätten die guten Tage kommen können.“ Der Programmtitel trifft den leichthin resignierten und über das eigene Scheitern ein wenig verwunderten Grundton des Abends präzise auf den Punkt. Wenn man sich an und ab insgeheim fragt, wie dumm eine Frau eigentlich sein kann, ausgerechnet so jemanden sitzen zu lassen, so kommt das der Stimmung nur zupass.

Statt wie früher daheim isst Waghubinger nun also bevorzugt in der Imbissstube seines Freundes Rudi, der zur Schwammerlsuppe auch gratis eine sokratische Weisheit serviert: „Du findest da immer ein Haar, wenn du danach suchst ... weil ja auch eins drin ist.“ Apropos: Wie war das noch gleich mit der Evolution? Angebot und Nachfrage. Oder doch Zufall und Notwendigkeit? Bei den meisten sei das schnell entschieden: Absolut nötig war die Existenz des Malers, der nun sein Nachfolger werden soll, mitnichten. Aber wenn's die guten Tage halt nicht sein sollen, dann werden's vielleicht stattdessen andere . . .

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