27. Morenhovener Kabarett-Tage Am liebsten scharf gewürzt

SWISTTAL-MORENHOVEN · Er würde so gern mal auf den Putz hauen - so richtig revoltieren - , wenn er bloß wüsste, bei welcher Behörde man den dazu gehörigen Antrag einreichen muss. Man soll ihm auch nicht unterstellen, er sei zu phlegmatisch für Gefühlsausbrüche.

 Zu Gast im Kreaforum Morenhoven: Jens Neutag (l.) und Uli Masuth.

Zu Gast im Kreaforum Morenhoven: Jens Neutag (l.) und Uli Masuth.

Foto: Wolfgang Henry

Wenn die Benzinpreise zu hoch sind oder die Bahn Verspätung hat, geht er schon mal aus sich raus. Um anschließend - den Gesetzen der Trägheit folgend - in seinen Urzustand zurück zu pendeln: sich lautstark über Merkels Raute zu mokieren und am Wahltag doch wieder sein Kreuz dort zu machen, wo er es seit 2005 immer gemacht hat. Kurzum: Die Rede ist vom Deutschen, genauer gesagt vom "Deutschland-Syndrom". So heißt das sechste Soloprogramm von Kabarettist Jens Neutag, der am Wochenende zu Gast im ausverkauften Morenhovener Kreaforum war.

Für das Publikum beileibe kein Unbekannter. Dass Neutag es schön scharf mag, wissen die Stammgäste der "Schlachtplatte" längst. Aber man sollte sich dieses Solo geben, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie tief er das Lot tatsächlich hängt, oder - anders ausgedrückt - wie differenziert seine Diagnose ist. Schließlich stammt der Begriff Syndrom ja aus Medizin und Psychologie und meint das gleichzeitige Vorliegen mehrere Symptome. Zum Beispiel, das einheitliche Veröden unserer Innenstädte zu beklagen und zum Einkaufen ins Outletcenter nach Roermond zu fahren. "Eventshopping": wenn man fehlende Parkplätze und den völlig überteuerten Imbiss unbedingt so bezeichnen möchte. Weitere beliebte Freizeitaktivitäten: Laubblasen und Palisadenzäune Hochziehen, damit einem niemand ins Wohnzimmer glotzt. Und das nur, um dort nach getaner Arbeit auf dem Sofa per Smartphone freimütig kundzutun, was die NSA schon immer wissen wollte (oder auch nicht).

Zunächst einmal ist das alles recht unterhaltsam, Neutags ätzende Schärfe sickert erst allmählich durch. So soll es sein - auch das unterscheidet Kabarett von Comedy. Ist diesem Volk denn noch zu helfen? Er meint schon: Einfach mal gegen den Strom schwimmen, seine eigene Revolte anzetteln. Und sei es nur, indem man den Mülleimer einen Tag früher herausstellt als die anderen.

Sind das nicht gute Nachrichten? Mehr davon hatte Uli Masuth im Gepäck, der die Morenhovener Bühne einen Abend später übernahm. Groß gewachsen, charmant, mit subtilem Humor: jemand, dem man gerne zuhört. Wäre ja auch zu schade gewesen, einen wie ihn hinter lauter Pfeifen auf der Empore zu verstecken. Heute beschreibt sich der frühere Organist auf seiner selbst so betitelten "Heimseite" als Komponist, Kabarettist und Wahl-Weimarer. Sitzt am- Klavier, schlägt eine Taste an und gibt so ganz nebenbei gepflegte Boshaftigkeiten von sich: über bislang völlig bedeutungslose Zeitgenossen, die sich dank NSA nun auch mal wahrgenommen fühlen dürfen. Und die Südeuropäer, die im Urlaubslanb so pittoreske Armut verkörpern. Über das Mitgefühl für prominente Steuerhinterzieher, die dem Staat vorenthalten, was andere an Sozialleistungen einbüßen.

Das erinnert nur vordergründig an Hagen Rether, den Mann mit dem schwarzen Zopf und der rot-weißen Armbinde. Masuth kommt doch viel freundlicher daher, so recht verbindlich. Aber das täuscht. Und das macht Spaß, wenn man's denn schön scharf gewürzt mag, siehe vorn ...

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