NS-Geschichte Zugfahrt von Rheinbach nach Minsk in den Tod

Rheinbach · Eine Ausstellung im Stadtarchiv dokumentiert Schicksale von Rheinbacher Juden, die in Malyj Trostenez starben. In der weißrussischen Ortschaft bei Minsk starben 27 der 36 aus Rheinbach deportierten Juden. Das Stadtarchiv hat ihre recherchiert.

Mit Koffern in der Hand und Rucksäcken auf dem Rücken verlassen sie ihre Heimatstadt Rheinbach. Niemand, der am dortigen Bahnhof auf den Zug wartet, weiß, wohin im Februar 1942 die Reise gehen soll. Es wird eine Bahnfahrt in den Tod. Im heute weißrussischen Malyj Trostenez bei Minsk sterben 27 der 36 aus Rheinbach deportierten Juden. Ihrem Schicksal und dem von insgesamt 1200 Menschen aus der Region hat der Verein NS-Dokumentationszentrum Bonn eine eindrucksvolle Ausstellung gewidmet, die bis Freitag, 15. Februar, im Foyer des Rheinbacher Rathauses zu bestaunen ist.

Zu den Juden, die am 10. und am 17. Februar 1942 verhaftet und zunächst in das zum Sammellager der Gestapo umfunktionierte Kloster zur Ewigen Anbetung in Endenich transportiert werden, gehören Kinder, junge Ehepaare und ältere Mitbürger: Günther Marx aus der Langgasse ist zehn Jahre alt, als er mit seinen Eltern und zwei Schwestern abgeholt wird. Hugo und Ilse Schwarz, die an der Kriegerstraße wohnten, hatten 1939 in Rheinbach geheiratet. Drei Jahre später werden beide erschossen oder vergast, anschließend verbrannt und ihre Asche in einem Massengrab verscharrt. Auch das kinderlose Ehepaar Benedikt und Johanna Schweitzer aus Wormersdorf, beide über 60 Jahre alt, findet in Malyj Trostenez den Tod.

Stete Mahnung für die heutige Zeit

Die Ausstellung mit erschütternden Familiengeschichten aus Bonn und der Region ist um Schicksale aus Rheinbach ergänzt, die Stadtarchivar Dietmar Pertz und der Geschichtskenner Peter Mohr zusammengetragen haben. Obgleich 77 Jahre seit der Verhaftung, Deportation und Ermordung der Nachbarn jüdischen Glaubens vergangen sind, seien die Ereignisse noch immer eine stete Mahnung für die heutige Zeit, sagt Rheinbachs Bürgermeister Stefan Raetz während der Eröffnung der Schau.

„Manche haben damals viel Schuld auf sich geladen“, erklärt Raetz und zählt dazu nicht nur die Nazi-Schergen, die Verhaftungen, die Transportüberwachung oder die Tötungen vorgenommen hatten. „Es gibt auch die, die schweigend weggesehen haben und diejenigen, die gar nicht erst hinsehen wollten“, so Raetz. Darum seien die bedrückenden Schicksale der Familien auch heute noch als Aufruf zu verstehen, solchen Ungerechtigkeiten nicht schweigend zuzusehen. „Mischt euch ein, entgegnet den Ewiggestrigen. Haltet nicht still“, ruft Raetz aus.

Außerdem dankt Raetz allen, die es möglich gemacht hatten, Stolpersteine in der Glasstadt zu verlegen. Hintergrund: Über Jahre hatte sich im Rat keine Mehrheit für diese Erinnerungsaktion des Künstlers Gunter Demnig gefunden. Erst im dritten Anlauf und nach vielen Diskussionen mit Hausbesitzern, an deren Grund die zehn mal zehn Zentimeter großen Messingschilder in den Bürgersteig eingelassen werden, gab der Rat grünes Licht. Mittlerweile hat Demnig alle 36 Gedenksteine in Rheinbach verlegt. „Das hat der Stadt gut getan“, findet Raetz.

Briefe zeugen vom Überlebenswillen der Opfer

Astrid Mehmel, Leiterin des NS- Dokumentationszentrums Bonn, erinnert daran, dass der Vernichtungsort Malyj Trostenez – anders etwa als das Lager Auschwitz – noch immer vielen Menschen nicht bekannt ist. „Das hat damit zu tun, dass Auschwitz das Symbol des Bösen und zum Inbegriff des Holocaust wurde“, erklärt Mehmel. Die Ausstellung möge, etwa anhand der letzten Briefe der Ermordeten zeigen, wie lebensfroh diese Mitbürger jüdischen Glaubens waren, bevor ihnen das Leben genommen wurde. Erst in den 1960er Jahren ist Malyj Trostenez ins Bewusstsein der deutschen Gesellschaft gelangt. Dann steht Georg Albert Wilhelm Heuser in Koblenz vor Gericht. Der hatte bis 1958 Karriere bei der Polizei in Rheinland-Pfalz gemacht und es bis zum Leiter des Landeskriminalamtes gebracht. Ein Gericht spricht ihn 1962 schuldig, als SS-Obersturmführer an der planmäßigen Ermordung von 11 103 Menschen in Malyj Trostenez beteiligt gewesen zu sein.

Wie intensiv viele der deportierten Juden in Rheinbach integriert waren, macht Stadtarchivar Dietmar Pertz an einigen Beispielen deutlich. Die Familie von Hermann Josef Geisel etwa war seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in Rheinbach ansässig. Er selbst sei in vielen Vereinen aktiv gewesen und habe „stolz sein Eisernes Kreuz getragen, das er sich als Soldat im Ersten Weltkrieg verdienst hatte“, sagt Pertz und fügt hinzu: „Wir müssen alle wachsam sein in Bezug auf rassistische und totalitäre Tendenzen in der heutigen Zeit. Wachsam sein und Flagge zeigen gegen Intoleranz und angebliche biologische Überlegenheit.“

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