Interview mit Rheinbachs Bürgermeister Stefan Raetz "Unmut nicht an Flüchtlingen auslassen"

Rheinbach · Der Ansturm an Flüchtlingen stellte die Rathäuser im vergangenen Jahr überall in der Region vor einen Berg an Aufgaben. So ganz nebenbei drängten sich in Rheinbach auch die Themen Windkraft, Gesamtschule oder die Zukunft des Monte-Mare-Bads auf die Tagesordnungen der Kommunalpolitik. Über die brennenden Themen des vergangenen Jahres und was uns 2016 beschäftigt, darüber sprach der 56-jährige CDU-Politiker mit Mario Quadt.

 Blick zurück auf 2015 und nach vorn aufs neue Jahr: Rheinbachs Bürgermeister Stefan Raetz.

Blick zurück auf 2015 und nach vorn aufs neue Jahr: Rheinbachs Bürgermeister Stefan Raetz.

Foto: Axel Vogel

Im vergangenen Jahr überstrahlte das Thema Flüchtlinge das politische Geschehen deutschlandweit. Wie bewerten Sie die Situation. Schaffen wir das?
Stefan Raetz: Es war ein spannendes Jahr - das Thema Flüchtlinge hat alles überlagert. Man hat gemerkt, wie schnell und effektiv eine Verwaltung auf eine neue Herausforderung reagieren und schnell die richtigen Entscheidungen treffen kann. Die Kommunen haben es verdient, die wahren Helden 2015 zu sein, weil wir es gepackt haben. Nicht: "Wir schaffen das", sondern "Die Kommunen schaffen das". Wir sind anfangs natürlich überrannt worden, aber haben alles mobilisiert, was wir konnten. Wir haben untergebracht, wo wir konnten, und wir haben einen unglaublich agilen und hilfsbereiten Flüchtlingshelferkreis - in allen Bereichen, in denen wir Flüchtlinge unterbringen. Es haben sich überall sofort Helferkreise gebildet, das ist sehr ermutigend.

Sie haben im vergangenen Jahr als Sprecher der Bürgermeister im Rhein-Sieg-Kreis oft Kritik am Ungleichgewicht der Verteilung von Flüchtlingen auf Bundes- und auf EU-Ebene geübt. Wie ist Ihr Eindruck heute?
Raetz: In meinen Augen versagt die EU. Die Verteilung in Europa ist überhaupt nicht gerecht. Da machen sich einige zu Lasten ihrer europäischen Partner einen sehr schlanken Fuß. Man sollte aber diesen Unmut, den man hat, nicht an den Flüchtlingen auslassen. Wir alle würden so handeln, Krieg und Zerstörung den Rücken zu kehren und zu flüchten.

Brauchen die Kommunen eine - wie seitens der CSU vehement geforderte - Obergrenze, die die Verteilung der Schutzsuchenden für die einzelnen Städte und Gemeinden reglementiert?
Raetz: Bei 25 Menschen, die uns wöchentlich in Rheinbach zugewiesen werden, ist das, was wir an Kapazitäten haben, schnell aufgebraucht. Die Mehrzweckhallen sind belegt, bei den Turnhallen haben wir zu recht gesagt, dass wir sie nicht belegen wollen. Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalten kann. Ich habe Innenminister Ralf Jäger angeschrieben und ihn gefragt, was meine Pflichtaufgabe ist: Schulsport und Integration in Vereinen sicher zu stellen oder Flüchtlinge unterzubringen? Ich bin auf die Antwort gespannt. Eine Obergrenze geht ohne eine Änderung unseres Asylrechtes gar nicht. Es müsste eine europäisch einheitliche Lösung geben, bei der gesagt wird, wie viel jedes Land aufnimmt. Außerdem muss Deutschland ein Einwanderungsgesetz bekommen, in dem geregelt ist, dass der, der zu uns kommen möchte, den Antrag in seinem Heimatland zu stellen hat. Ich rede am Montag mit allen Landtags- und Bundestagsabgeordneten des Rhein-Sieg-Kreises über das Thema.

Nach der Mammutaufgabe Unterbringung kommt nun die Mammutaufgabe Integration auf uns zu. Wie kann eine Kommune diese Kraftanstrengung angehen, deren Erfolg letztlich nur schwer messbar ist?
Raetz: Unser Jugendamt hat eine große Aufgabe bekommen: die unbegleiteten Minderjährigen. Da hat mein Jugendamt mit Vormundschaften und Betreuung eine Menge zu tun. Was die Integration angeht: Wir bringen zur Zeit nur unter - noch nicht mal dauerhaft. Die feste Unterbringung wird ja noch kommen. Das heißt: Wir müssen bauen, aber das muss mit der geordneten Stadtplanung einhergehen und dezentral laufen. Derzeit leisten ehrlicherweise nur das Ehrenamt und die Schule Integrationsarbeit.

Welchen Beitrag können und müssen Kommunen leisten, um den Neuankömmlingen neben der Unterkunft eine Perspektive zu geben?
Raetz: Viele Flüchtlinge fragen, wann sie anfangen können zu arbeiten. Da müssen wir sagen: Du musst meistens warten, bis dein Asylantrag entschieden ist. Das dauert zwei, wenn nicht drei Jahre. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss deutlich schneller Anträge bearbeiten, damit Flüchtlinge schneller eine Perspektive haben. Da wiederhole ich das Angebot, aus jeder Kommune einen Mitarbeiter zu entsenden, um Anträge abzuarbeiten. Es ist ein Unding, dass es in anderen Ländern eine Sache von wenigen Tagen ist und es bei uns bis zu drei Jahre dauert.

Wie sicher sind Sie, dass das Thema Flüchtlinge nicht doch massiv auf die Finanzplanung der Stadt Rheinbach durchschlägt?
Raetz: Ich weiß, dass wir 2016 auf jeden Fall ein Rekorddefizit ausweisen werden, vor allem wegen der Flüchtlingsaufnahme. Das hat etwas damit zu tun, dass wir investieren - etwa in Wohnungen, Container und Umbauten sowie an der Art und Weise, wie das Land Geld an die Kommunen weitergibt. Das ganze Jahr wird auf der Basis des Stichtags 1. Januar 2016 bezahlt. Aber alles, was ich 2016 an Flüchtlingen dazu bekomme, wird mir erst in 2017 ausgeglichen - hoffentlich. Ich habe aber 2016 Aufwendungen. Das heißt, Steuern erhöhen zu müssen. Und das kann nicht sein - nicht deswegen.

Viele Vereine und deren Mitglieder trifft der temporäre Wegfall von Mehrzweckhallen hart. Sehen Sie dörfliche Strukturen in Gefahr?
Raetz: Ja, das sehe ich, wenn wir das über längere Zeit machen. Hilberath ist ein gutes Beispiel: Die haben nur eine Halle. Man zahlt also einen Jahresbeitrag für den Verein und fragt sich: Warum soll ich zahlen, wenn ich die Halle nicht nutzen kann. Deswegen darf das nur übergangsweise sein. Nur: Ich kann die übergangsweise Nutzung zeitlich nicht festlegen. Für alle, die dafür sorgen, dass in einem Dorf was los ist, ist das traurig. Aber: In Hilberath wird ein Zelt aufgestellt, auch für Karneval. Die Leute wissen sich zu helfen.

Die Flüchtlingskrise fördert auch die Erkenntnis zu Tage, dass preiswerter Wohnraum ein Mangel ist.
Raetz: Wir brauchen was für breite Bevölkerungsschichten. Wenn wir nicht durchmischen, produzieren wir uns heute die Probleme fürs nächste Jahrzehnt.

[Zur Person]Anderes Thema: Seit mehr als einem Jahr gibt's die Gesamtschule in Rheinbach. Sie ist beliebt - weit über die Grenzen der Stadt hinaus.
Raetz: Die Gesamtschule wird super angenommen. Der Druck, mehr Kinder aufzunehmen, nimmt zu - auch durch Flüchtlinge. Aber wir haben nur gewisse Kapazitäten, und der Druck aus Nachbargemeinden hat nicht nachgelassen. Anhand der Anmeldungen aus Swisttal und Meckenheim merken wir, wie beliebt unsere Gesamtschule ist. Die ersten Umbauten der Gesamtschule werden 2017 losgehen.

Wird man noch mal über die Aufstockung der Gesamtschul-Zügigkeit sprechen müssen?
Raetz: Wir haben klar gesagt, dass wir die Zügigkeit nicht weiter erhöhen wollen. Das ist wirklich schwer teuer: Ein weiterer Zug kostet uns Millionen - und ich tue es eigentlich für Nachbarkommunen.

Das Euskirchener Palmenbad hat vor wenigen Wochen eröffnet und mutet stattlich an. Sehen Sie das Rheinbacher Monte Mare im Angesicht dieser Konkurrenz gut aufgestellt?
Raetz: Klar, Monte Mare wird darauf reagieren und hat darauf schon reagiert. Wir haben in diesem Jahr den besten Sommer gehabt, was die Nutzung des Freibads angeht. Es war von der Preisgestaltung attraktiv, hat sich aber gerechnet. Die Saunalandschaft, die wir haben, ist nach wie vor voll konkurrenzfähig und hat einen sehr sehr guten Ruf. Und das Tauchzentrum ist ein Alleinstellungsmerkmal. Wir werden uns noch stärker auf Familien konzentrieren, denn das Euskirchener Bad ist kein Familienbad. Noch sehen wir die Konkurrenz ganz entspannt.

Das Thema Windkraft ist in Rheinbach deutlich geräuschloser besprochen worden als in Meckenheim. Rechnen Sie noch mit Widerstand, und stehen schon Investoren bereit?
Raetz: Wir haben der Windenergie den nötigen Raum gegeben. Wir sind jetzt mal gespannt, wie die Investoren, die es gibt, mit den Grundstückseigentümern und mit uns als Städten klarkommen. Klar ist, dass die Investoren die Höhenbegrenzungen einhalten und eine Baugenehmigung bekommen müssen. Hier werden dann noch mal alle Auswirkungen überprüft. Wir sind aber so gut wie gar nicht Eigentümer der Flächen. Darum liegt die Realisierung an den Eigentümern. Indes: Wenn wir die Planung nicht gemacht hätten, wäre die Windkraft grundsätzlich überall erlaubt gewesen.

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