Interview mit Richard David Precht "Über Zukunftsprobleme denkt keiner nach"

Rheinbach · Radikale Veränderungen stehen bevor: Der Philosoph, Buchautor und Fernsehmoderator Richard David Precht benennt diese Umtriebe - die digitale Revolution.

 Richard David Precht ist am 24. September in Rheinbach zu Gast.

Richard David Precht ist am 24. September in Rheinbach zu Gast.

Foto: dpa

Auf Einladung der VHS Meckenheim, Rheinbach, Swisttal mit Wachtberg erklärt der Autor vielgelesener, populärwissenschaftlicher Bücher am Donnerstag, 24. September, 19 Uhr, in der Rheinbacher Stadthalle die radikale Veränderung des Digitalen auf unser Arbeitsleben und die Gesellschaft als solche. Mit dem 50-Jährigen, der in Köln und Luxemburg lebt, sprach Mario Quadt.

Wie digital sind Sie aufgestellt? Whatsappen, parshippen oder twittern Sie, was das Zeug hält?
Richard David Precht: Alles drei nicht. Ich kann E-Mails verschicken und SMS - das war es. Ich kann Ihnen verraten, dass ich erst seit drei Monaten ein Smartphone besitze. Ich bin kein technikaffiner Mensch. Das fing schon in meiner Jugendzeit an - bei der Stereoanlage und beim Fotoapparat.

Was macht diese radikale Veränderung, die permanente Option der ständigen Erreichbarkeit und Verfügbarkeit, mit uns als Menschen?
Precht: Lassen Sie mich einen Gedanken vorwegschicken: Diese digitalen Veränderungen wirken sich vor allem gravierend auf unsere ökonomischen Verhältnisse aus. Diese Auswirkungen werden größer sein, als wir sie uns derzeit vorstellen können. Vielleicht erscheint die Bedrohung nicht so real, denn es fließt kein Blut, es wird keiner aufgeschlitzt. Dennoch hat die Veränderung eine unheimliche Zerstörungs- und Neugestaltungskraft. Stellen Sie sich vor, Sie fragen die Leute, worauf sie eher verzichten könnten: ihr Smartphone oder ihr Wahlrecht? Und was geschähe mit einem 15-Jährigen, wenn Sie ihm einen Monat lang das Smartphone wegnehmen würden?

Das würde bedeuten, er könne nicht mehr mit seinen Altersgenossen im Café sitzen, um gemeinsam geistesabwesend seine jeweiligen "sozialen Kontakte" zu pflegen, anstatt gemeinsam in Konversation zu geraten. Wie wirkt sich so etwas auf den sozialen Kitt unserer Gesellschaft aus?
Precht: Man kann mit Recht von einer Industrie 4.0 sprechen. Wir erleben die vierte große technische Umwälzung unserer Zeit. Die erste war die Dampfmaschine, gefolgt von der Einführung des Fließbandes. Anschließend kam die Computerisierung/Automatisierung und jetzt die gesamte Datenvernetzung. Die Veränderungen in unserer Gesellschaft werden ähnlich gravierend sein wie von 1830 zu 1870. Bevor die industrielle Revolution über uns hereinbrach, bestand unsere Bevölkerung zu drei Viertel aus Bauern. Und nur wenige Jahrzehnte später haben wir die lichtlosen Berliner Hinterhöfe, in denen die Arbeiterschaft leben musste. Danach folgten Jahrzehnte der sozialen Unruhen, Wirren und Kriege, bis am Ende unsere heutige Wohlstandsgesellschaft entstand.

Was denken Sie, wird die digitale Revolution für Auswirkungen auf unser Arbeitsleben haben?
Precht: Es wird deutlich weniger Arbeit geben. Das kann man für alle Berufe durchdeklinieren: Anstatt zum Arzt zu gehen, werden die Leute ihre Apple-Uhr fragen, ob sie krank sind. Um eine Reise zu unternehmen, geht schon jetzt kaum noch einer ins Reisebüro, sondern bucht alles selbst. Der gesamte Dienstleistungssektor, der sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat, wird anders aussehen, etwa drei Viertel der Arbeitsplätze werden verschwinden. Das Handwerk wird zum Teil erhalten bleiben. Ansonsten gibt es hoch qualifizierte Arbeitsplätze - davon aber nur recht wenige.

Auf der jüngst begonnenen IAA ist zu sehen, dass die Industrie große Hoffnung auf das selbstfahrende Auto setzt.
Precht: Ein frappierendes Beispiel. Was selbstfahrende Autos angeht, befinden wir uns momentan in einer Art automobiler Kreidezeit. In 20 Jahren wird es Autos anderen Typs gar nicht mehr geben. Die selbstfahrenden Wagen wiegen 200 Kilogramm und bestehen aus Zeltstoff und Carbon. Dass zwei Systeme - autonome und nicht-autonome Autos - gleichzeitig funktionieren, das hat schon bei Kutschen und Autos nicht geklappt. Dergleichen werden wir bald auch erleben. Wenn wir eine App drücken und ein selbstfahrendes Auto fährt vor, wird das Auto seinen Nimbus als Statussymbol verlieren. Der Bedarf an Autos verringert sich weltweit auf etwa ein Achtel. Es wird das Ende der deutschen Automobilindustrie sein. Insofern ist es bei der digitalen Revolution das kleinste Problem, dass wir nicht mehr miteinander sprechen. Über ein Zukunftsproblem, wie den Niedergang der Automobilindustrie, denkt keiner nach. Wie wir in 20 Jahren arbeiten werden, ist offensichtlich keine Frage, mit der sich das Kanzleramt beschäftigt.

Wie führen Sie Ihren eigenen Nachwuchs an die digitale Welt heran? Soll ich meine Kinder von Computer und Smartphone fernhalten oder früh heranführen?
Precht: Mein Sohn (12) hat relativ spät ein Smartphone bekommen. Das entspricht meiner Haltung, so spät wie möglich damit zu beginnen. Allerdings ist er auch nicht sonderlich davon fasziniert.

Es gebührt Ihnen der Verdienst, die brennenden Fragen der Philosophie so zu verpacken, dass sich auch jene damit beschäftigen, die nicht Arte und 3sat auf den Premiumplätzen ihrer Fernbedienung abgespeichert haben. Wie gelingt Ihnen das?
Precht: Man profiliert sich in der akademischen Welt durch das Schreiben akademischer Texte. Für viele aus der akademischen Philosophie ist es aber schwierig, dramaturgisch zu schreiben. Dem gegenüber steht die populäre Philosophie. Es sind zwei Extreme, die weit auseinander gefallen sind. Genau dazwischen fülle ich eine Nische aus.

Da uns Deutschen zu eigen ist, alles und jeden in Schubladen zu stecken, sind Sie bereits mit dem Etikett "Richard Clayderman der Philosophie" behängt worden. Behagt Ihnen das?
Precht: Man verlieh mir auch das Etikett "André Rieu der Philosophie" oder auch "Mick Jagger des Sachbuchs". Da gibt es einiges. Ich denke auch, man könnte sich mal etwas anderes einfallen lassen.

Sie sind bekennender Anhänger des Fußballclubs Dynamo Kiew aus der Ukraine. Um das Thema Ukraine ist es derzeit still geworden, oder?
Precht: Es freut mich, dass wir offenbar gerade dabei sind, die ideologische Schärfe aus dem Streit zu nehmen. Die Sprache, die in vielen Medien in Bezug auf diesen Konflikt gefunden wurde, hatte was von der Rhetorik des Kalten Krieges. Im Mittelpunkt der unkritischen Berichterstattung stand beispielsweise immer die völkerrechtswidrige "Annexion" der Krim. Doch wenn über 80 Prozent Russen auf der Krim leben und die sich wiederum dafür aussprechen, in Russland leben zu wollen, dann lässt sich das nicht schlichtweg auf irrationale Aggressorenpolitik reduzieren. Hätte Putin ein Interesse daran gehabt, sich das Baltikum einzuverleiben oder die gesamte Ukraine, wäre ihm das sicher binnen eines Tages gelungen. Das er es nicht getan hat, zeigt, dass wir ihn viel zu sehr dämonisieren.

Karten zum Preis von 23 Euro plus Vorverkaufsgebühr sind erhältlich bei Buchhandlung Kayser (Rheinbach), Buchhandlung am Neuen Markt (Meckenheim), Book Company (Heimerzheim), VHS-Geschäftsstelle (Rheinbach) und in den GA-Geschäftsstellen.

Zur Person

In Solingen erblickte Richard David Precht am 8. Dezember 1964 das Licht der Welt. Er studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Germanistik - im letztgenannten Fach promovierte er 1994. Für die Verfilmung seines Buches "Lenin kam nur bis Lüdenscheid" schrieb Precht das Drehbuch. Seit Mai 2011 ist er Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana-Universität Lüneburg. Im Oktober erscheint "Erkenne die Welt", der erste Band seiner "Geschichte der Philosophie".

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