Rheinbacher Geschichte Straßen schlechter als in den Karpaten

Rheinbach · Wer weiß heute noch, dass es vor 1932 einen eigenständigen Landkreis Rheinbach gab? Diesen löste nach 116 Jahren die preußische Zentralregierung auf. Ein Beitrag des Kreis-Jahrbuches beleuchtet, wie sich der Kreis Rheinbach dagegen stemmte.

 Bis zum Jahr 1932 bildete Rheinbach einen eigenen Landkreis.

Bis zum Jahr 1932 bildete Rheinbach einen eigenen Landkreis.

Foto: Stadtarchiv Rheinbach

Den Brexit gibt es bereits, zumindest steht der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union noch in diesem Jahr auf der Agenda. Der Grexit, das Verlassen Griechenlands aus dem kontinentalen Staatenverbund, ist in Brüssel und Athen zwar immer mal wieder auf der Tagesordnung zu finden, bislang konnte er aber immer abgewendet werden.

Einen „Rhexit“ verzeichnen Historiker bereits für den 1. August 1932. Damals löst sich qua Verordnung der eigenständige Landkreis Rheinbach auf – nach 116 Jahren Existenz. Ein Beitrag im jetzt erschienenen Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 2017 „Aus 200 Jahren Kreisgeschichte“ beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Kreis Rheinbach gegen seine Auflösung zur Wehr zu setzen versuchte.

Sie kam – anders als der Brexit – völlig überraschend. Ohne Vorankündigung und ohne etwaige Verhandlungen setzte die preußische Zentralregierung eine Verwaltungsreform durch, die mir-nichts-dir-nichts die bestehenden Landkreise auflöste.

Der eigenständige Kreis Rheinbach umfasste die damaligen Bürgermeistereien Adendorf, Kuchenheim, Münstereifel, Ollheim und Rheinbach. In letztgenannter Kommune befand sich auch der namensgebende Verwaltungssitz, der bis heute – 85 Jahre später – im Rheinbacher Stadtbild prägnant erkennbar ist: Der ältere Teil des Rheinbacher Rathauses an der heutigen Schweigelstraße atmet noch die Zeit der preußischen Verwaltungsepoche. In manch altem Bleiglasfenster in der umfangreich und modern angebauten Verwaltungszentrale ist noch das Wappen des früheren Kreises Rheinbach erkennbar.

Begeistert waren die Bewohner der damaligen Kommunalgliederung nicht vom Ende der Kreisstruktur, die die „Verordnung über die Neugliederung von Landkreisen“ vom preußischen Staatsministerium am 1. August 1932 befahl. Vergeblich versuchte beispielsweise der Heimerzheimer Freiherr Albert von Boeselager, bei Reichskommissar von Papen zu intervenieren.

Rheinbach werde eine sterbende Stadt

Der damalige Rheinbacher Pfarrer, Dechant Jacob Bertram, notierte in seiner Pfarrchronik, dass Rheinbach wegen der Auflösung des Kreises eine „urbs mortua“ (sterbende Stadt) werde.

Auch der Zustand der Straße wurde als veritables Argument gegen eine Auflösung bemüht: So behaupteten die Menschen im Kreis Rheinbach, dass die Straßen im Landkreis Bonn, natürlich im Gegensatz zu denen im Kreis Rheinbach, nur mit denen in Russland oder in den Karpaten vergleichbar seien, jener Gebirgszone, die sich durch Polen, die Slowakei, die Ukraine und Rumänien sowie über die Ausläufer durch Österreich, Tschechien, Ungarn und Serbien zieht.

Im Landkreis Bonn hingegen, der den Verlust der industriedominierten Gemeinde Wesseling hinnehmen musste, befürchteten Bewohner wie Politiker aufgrund der Zuschlagung landwirtschaftlich geprägter Gemeinden des ehemaligen Kreises Rheinbach, zukünftig „im Falle einer Agrarkrise schwersten Erschütterungen“ ausgesetzt zu sein, so die Ressentiments.

Und: Die Zerschlagung der gewohnten Kreisstrukturen im heutigen Rhein-Sieg-Kreis und im gesamten preußischen Staatsgebiet führte politisch zu einer Krise der örtlichen Zentrumspartei. Diese wiederum nutzten die im Kreistag sitzenden NSDAP-Vertreter aus, um Stimmung gegen das Zentrum zu betreiben und ihnen eine Hauptschuld an der Auflösung des Kreises Rheinbach zu geben.

„Letztlich bedeutete die Kreisauflösung aber nicht den Untergang Rheinbachs“, schreibt Dietmar Pertz, Archivar der Stadt Rheinbach, in seinem lesenswerten Beitrag „Der Kreis Rheinbach von der Besatzungszeit bis zu seiner Auflösung“ im Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises. „Vielmehr eröffneten sich für die Stadt nach 1945 durch die Ansiedlung der böhmischen Glasindustrie und die Wahl Bonns zur Bundeshauptstadt neue, damals ungeahnte Perspektiven“, so Pertz.

Keine Frage

Glasstadt ist Rheinbach noch heute und von der Nähe zu Bonn profitiert sie etwa durch den sogenannten Überschwappeffekt.

Heißt: Da die Bundesstadt kaum noch neue Flächen für Gewerbeansiedlungen oder Firmenexpansionen zur Verfügung hat, suchen sich die Unternehmen freie Grundstücke, die „in Sichtweite“ der Bonner Stadtgrenzen liegen (der GA berichtete).

Gleiches gilt für Wohnungssuchende. Darum gehört die Stadt Rheinbach seit Jahren zu den Kommunen im Kreis, die ein beharrliches Bevölkerungswachstum registrieren können. Die Prophezeiung einer „sterbenden Stadt“ aus dem Jahr 1932 ist somit nicht in Erfüllung gegangen.

Das Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises „Aus 200 Jahren Kreisgeschichte“ ist in der Edition Blattwelt von Reinhard Zado erschienen und im Buchhandel für 13,50 Euro erhältlich.

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