Interview Mai Thi Nguyen-Kim: "Nicht nur cooles Nerdwissen"

Rheinbach · Die Moderatorin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim über Chemie im Alltag, ihren Werdegang und die Sendung „Quarks“.

 Mai Thi Nguyen-Kim liest am Dienstag am Rheinbacher Campus der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Mai Thi Nguyen-Kim liest am Dienstag am Rheinbacher Campus der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Foto: Thomas Duffé

Fußballinteressierte Sportfans mussten jüngst zur Kenntnis nehmen, dass die Chemie selbst im bezahlten Profifußball Einzug gehalten hat. In Wolfsburg berichtete Wölfe-Sportdirektor Jörg Schmadtke zur Frage nach seinem Verhältnis zu Wölfe-Trainer Bruno Labbadia, dass zwischen beiden „die Chemie nicht stimmen“ würde. Liegt die Schuldfrage bei der Chemie?

Mai Thi Nguyen-Kim: Ich weiß nicht, ob man die Chemie dafür verantwortlich machen kann. Es lohnt sich aber total, sich zu überlegen, was die Chemie damit zu tun hat. Dazu gehören Hormone, die der Körper ausschüttet. Und man sagt, dass man sich „gut riechen“ kann. Da gibt es ganz, ganz spannende Forschungen, die uns erkennen lassen, dass wir den Geruch eines Menschen unterbewusst wahrnehmen. Es sind flüchtige Moleküle, die in die Nase gelangen.

Umgehauen hat mich Ihre Erkenntnis, wann ich morgens den ersten Kaffee zu mir nehmen sollte. Sie raten: erst eine Stunde nach dem Aufstehen. Warum und was unternehme ich in der Zwischenzeit?

Nguyen-Kim: Wir haben ja alle eine innere Uhr. Morgens, wenn wir etwa Licht abbekommen, gibt uns der Körper einen körpereigenen Stressservice – einen Schub. Er schüttet Stresshormone aus – auf einem Level, der uns in die Gänge kommen lässt. Wenn wir jetzt mit Kaffee nachhelfen, merkt sich der Körper das und denkt: Gut, dann brauche ich das nicht mehr zu machen. Besser ist es, den körpereigenen Schub mitzunehmen und erst, wenn der abflacht – gut eine Stunde nach dem Aufstehen – mit Kaffee nachzuliefern.

Heute braucht niemand mehr eine Bibliothek, um sich über Kernfusionen, den Dreißigjährigen Krieg oder den Zitronensäurezyklus zu informieren. Schafft dieses Internet irgendwann die Wissenschaft ab...

Nguyen-Kim: Oh Gott...

Oder ist Wissenschaft der Garant dafür, dass wir im Meer der virtuellen Halbwahrheiten und haltlosen Behauptungen den rettenden Hafen finden?

Nguyen-Kim: Letzteres. Das Internet zwingt die Wissenschaft dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen, viel präsenter zu sein und sich viel mehr in die Öffentlichkeit einzubringen. Diese Einordnung von Fakten zu liefern, die in diesem Meer von Informationen nicht mehr sichtbar ist, das muss viel mehr geschehen. Diese Kommunikation kann teilweise über Leben und Tod entscheiden – oder über Krankheit und Gesundheit.

Können Sie ein Beispiel geben?

Nguyen-Kim: Ich bereite gerade das Thema MMS auf – MMS steht für Miracle Mineral Supplement. Es geht – platt gesagt – um eine Chlorbleiche mit Natriumchlorit, das giftig und ätzend ist. Im Internet verbreitet sich, dass man Kinder mit Autismus mit MMS-Einläufen behandeln könne. Die Darmschleimhaut löst sich und es erscheinen lange Fäden. Es wird gesagt, dass das „Autismuswürmer“ sind, die den Körper verlassen. An solchen Beispielen sehen wir, dass die Kommunikation der Wissenschaft eine große Rolle spielt. Sehr interessant ist, dass man MMS nicht als Medikament kaufen kann – wegen der strengen Regularien für Medikamente. Man darf aber ein skurriles Buch über MMS schreiben. Solche Bücher haben nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Das grenzt für mich an Beihilfe zur Körperverletzung. Davon gibt es so viel im Internet.

Auf dem Porträtfoto Ihres Buches prangt das Wort „Nerd“ auf Ihrem T-Shirt. Sie verhehlen nicht, eine Streberin gewesen zu sein. Neun Sommer verbrachten Sie während Studium und Promotion in Laboren. Wie äußert sich diese Strebsamkeit im Alltag und in Ihrer Arbeit?

Nguyen-Kim: Ich habe jetzt den perfekten Beruf für mich gefunden. Denn mein Beruf besteht aus Lernen und Erklären. Es war für mich nach der Schule total schwierig, mich zu entscheiden, was ich studieren soll, weil ich mich so breit interessiert habe.

Jetzt können Sie sich die Themen selbst aussuchen.

Nguyen-Kim: Richtig. Das ist genau das, weshalb ich überhaupt in die Wissenschaft gegangen bin. Weil es für mich nicht nur ein cooles Nerdwissen ist, sondern weil es das Leben ist. Ich kann mich jetzt immer mit den spannendsten Themen auseinandersetzen. Die Ideenliste geht nicht aus – im Gegenteil. Jeden Tag wird sie länger, und ich werde sie in diesem Leben nicht abarbeiten können. Es gibt oft Themen, bei denen ich mich selbst das ganze Leben lang gefragt habe, warum das so ist. Jetzt heißt es: Frag doch mal die Mai.

Als Kind war es Ihr Traum, mit zwei Pferden und der besten Freundin in einer Hütte im Wald zu leben. Wünschen Sie sich manchmal zu der archaischen Lebensform zurück?

Nguyen-Kim: Nein. In den Wald zu ziehen mit Pferden, das wäre so ziemlich das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Von diesem Traum ist nichts mehr übrig geblieben. In der vierten Klasse hatte ich dann den Berufswunsch, Schriftstellerin zu werden.

Dieser Traum ist Wirklichkeit.

Nguyen-Kim: Ich hatte mir das eher als Romanschriftstellerin vorgestellt. Ich weiß noch, dass alle Jungs Polizist oder Feuerwehrmann werden wollten und alle Mädchen Tierärztin oder Lehrerin. Ich war die Einzige, die was anderes werden wollte. Die Geschichte erzählen mir meine Eltern alle zwei Tage, weil sie es schön finden, dass sich mein Traum aus der vierten Klasse verwirklicht hat.

Wenn Sie das Wort Gehirn aussprechen, kann ich mir die Frage sparen, woher Sie kommen. Die Mundart verrät, dass Sie im Norden Baden-Württembergs aufgewachsen sind. Warum sollte ich mir die Sinnhaftigkeit der Frage, woher Sie kommen, lieber zweimal überlegen?

Nguyen-Kim: Es geht um die Frage, woher man kommt, wenn die Leute wissen wollen, wo meine Wurzeln sind. Ich weiß ja, was die wissen wollen und sage, dass meine Eltern aus Vietnam kommen. Ich habe die Debatte unter dem Hashtag #vonhier verfolgt. Ich fand sie sehr interessant, habe aber eine Emotionalität und sogar Feindseligkeit gespürt, von der ich dachte: Die muss doch nicht sein. Darum frage ich in meinem Video für „maiLab“: Worauf können wir uns einigen? Wichtig ist mir die Lösungsorientierung. Ich möchte ein gewisse Sachlichkeit in die Debatte bringen. Das würde uns allen guttun.

Sie müssen so um die sechs Jahre alt gewesen sein, als Ranga Yogeshwar 1993 erstmals „Quarks“ moderiert hat. Heute stehen Sie anstatt seiner vor der Kamera. Was war am Morgen der ersten „Quarks“-Sendung Ihr erster Gedanke?

Nguyen-Kim: Ich habe nach der Doktorarbeit bei „funk“ angefangen, weil ich ursprünglich nur ein Sabbatjahr machen wollte. Ich habe aber gemerkt: Es gibt noch so viel zu sagen. In unserer Gesellschaft fehlt die wissenschaftliche Stimme in der Öffentlichkeit. Meine Eltern waren geschockt, als ich ein Jobangebot aus der Chemischen Industrie ausgeschlagen habe. Mein Mann Matthias sagte, um Ihnen die Sorge zu nehmen: Die Mai Thi könnte doch so etwas machen wie Ranga Yogeshwar. Und mein Vater meinte: Ja, das wäre super, aber das ist doch völlig utopisch. Und weniger als ein Jahr später...

...übernahmen Sie die Moderation von ihm.

Nguyen-Kim: Ranga hat mich von Minute eins als Mentor aufgenommen. Wir sind von der Person her sehr verschieden, aber wir agieren aus derselben Motivation und aus demselben Drang heraus. Wir werden fürs Lernen bezahlt, und die Arbeit ist das Erklären. Aber genau das macht Spaß.

Am Dienstag, 19. März, 19.30 Uhr, ist Mai Thi Nguyen-Kim „Zu Gast auf dem Sofa“ in der Hochschul- und Kreisbibliothek am Campus Rheinbach, Von-Liebig-Straße. Karten kosten zehn, ermäßigt sechs Euro. Ihr Buch „Komisch, alles chemisch!“ ist bei Droemer erschienen und kostet 16,99 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort