Auschwitz-Gedenken in Rheinbach und Swisttal Kinder erinnern an ermordete Juden

Rheinbach/Swisttal · Schüler trugen bei Gedenkstunden am Freitag zum Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau in Rheinbach und Swisttal eigene Texte, Lieder und Szenen vor.

Die fünf Siebtklässlerinnen der Gesamtschule haben gelbe Judensterne angelegt, zurückgelassen wurden sie von Gleichaltrigen, die sich im Stechschritt davonmachen. Die szenische Lesung „Himmel und Hölle“ über ein jüdisches Mädchen, welches im Konzentrationslager Theresienstadt ankommt, geht sofort unter die Haut. Zusammen mit ihren Lehrern Eva Knips und Maximilian Müller haben die Mädchen und Jungen der 7.1 der Gesamtschule Rheinbach die Lesung mit Spielszenen einstudiert, um ihren Beitrag zur Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus im Rheinbacher Rathaus zu leisten.

Die Szene endet damit, dass eine Gruppe Jugendlicher das Gesagte über die Gräuel im KZ mit „Bullshit“, „Interessiert mich nicht“ oder „So lange her“ kommentiert. Kurz darauf sprühen sie Hakenkreuze an eine Mauer. Beeindruckend ist, welche Gedanken sich die Schüler der Gesamtschule und des Städtischen Gymnasiums gemacht haben. Sie spielen, singen, sichten, bewerten und schildern Fakten – nicht nur darüber, was im Deutschen Reich, sondern vor allem in Rheinbach geschehen ist. „Wie viele Straßen“ singen die Mädchen und Jungen der Gesamtschulklasse 5.3 von Thomas Michels – ein deutschsprachiges Arrangement des Anti-Kriegslieds „Blowin' In The Wind“ des frisch gebackenen Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan. Die deutschen Zeilen singt Fünftklässler Julian Lion – Gänsehaut.

Die stellt sich auch ein, als Oberstufenschüler von Lehrer Lutz Stichl vom Städtischen Gymnasium Rheinbach in ihrem Wortbeitrag etwa auf die lange Genese des Judenhasses in den Gebieten zu sprechen kommen, die heute Deutschland sind. Sie schildern die Pogrome an Juden während des ersten Kreuzzuges (1096–1099). Sie befassen sich mit dem Begriff Schuld und mahnen eindrücklich, dass sich solche Gräuel niemals wiederholen dürfen. Dass eines Tages im Jahr 1942 alle jüdischen Nachbarn in Rheinbach verschwunden waren – deportiert bei Nacht und Nebel. „Zu unserer Verantwortung gehört, dass das nie in Vergessenheit gerät“, formulieren die vier Gymnasiasten.

Nicht nur auf Vergangenes blickt Landtagsabgeordnete Ilka von Boeselager: „Um heute den Frieden zu bewahren und die Zukunft gut zu gestalten, dürfen wir diese Barbarei des Nationalsozialismus nicht verdrängen – das 'radikal Böse', wie es Hannah Arendt genannt hat“, führt von Boselager aus, die zur Gedenkstunde im Rathausfoyer eingeladen hat. Vizebürgermeister Claus Wehage beschäftigt sich in seiner Rede mit der Frage, wie die „Lawine des Todes“ überhaupt an Fahrt gewinnen konnte. „Auch in Rheinbach gingen Synagogen in Flammen auf“, so Wehage. Nachdenklich stimme ihn, dass so wenige Helfer des NS-Regimes sich für ihre Taten vor einem Richter rechtfertigen mussten.

Zentrale Veranstaltung in Swisttal-Heimerzheim

Auf dem jüdischen Friedhof in Heimerzheim legt Ortsvorsteher Hermann Leuning, der jüdischen Tradition folgend, einen kleinen Stein auf das zentrale Denkmal als Zeichen dafür, dass die Verstorbenen nicht vergessen sind. In deutscher und hebräischer Sprache trägt der Stein die Inschrift: „Sie sagten, kommt, lasst uns sie vernichten, ihr Volk ausmerzen, und der Name Israel soll nie wieder erwähnt werden.“ Auf dem Friedhof gedenkt die Gemeinde Swisttal anlässlich des bundesweiten Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus. Unter den Zuhörern begrüßt Bürgermeisterin Petra Kalkbrenner insbesondere Schüler der Georg-von-Boeselager-Schule, Vertreter des Arbeitskreises Heimat Heimerzheim, des Arbeitskreises „Stolpersteine für Swisttal“ und Susana Klick, eine Verwandte der von den Nazis ermordeten jüdischen Familie Steinhardt, an die einer der Stolpersteine in der Heimerzheimer Kirchstraße erinnert.

„Die Schicksale von Millionen Menschen, die Opfer der NS-Verbrechen wurden, machen uns deutlich, welche Gefahren Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus beinhalten“, sagt Kalkbrenner. Sie betont, dass es in unserer Gegenwart wichtiger denn je sei, dass „wir uns für ein tolerantes, friedliches und gerechtes Miteinander einsetzen“. Auch von Boeselager, gemeinsam mit dem ehemaligen Bürgermeister Eckhard Maack Initiatorin der Gedenkveranstaltung, weist auf den aktuellen „Rechtsruck“ nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern hin. Man dürfe ihn nicht auf die leichte Schulter nehmen und die rechtsstaatlichen freiheitlichen Errungenschaften der letzten 70 Jahre nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Dass Schüler und Lehrer der Georg-von-Boeselager-Schule die Veranstaltung alljährlich durch ihre Beiträge bereichern, würdigen Kalkbrenner und von Boeselager als besonderes Zeichen dafür, dass die Jugend sich einbringt und die Mahnungen in die Zukunft trägt. Die rund 20 Schüler der Jahrgangsstufe 10 hatten sich mit ihrem Lehrer für Geschichte und Politik Andreas Tiggemann mit den Themen Nationalsozialismus, Verfolgung und Holocaust beschäftigt, dazu recherchiert und Texte ausgewählt.

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