Vermisste Trudel Ulmen "Dieser Fall stinkt zum Himmel"

Rheinbach/Bonn · Forensiker Mark Benecke geht von einem Verbrechen aus. Die verschwundene Rheinbacherin Trudel Ulmen wurde am Freitag offiziell für tot erklärt.

Nun ist es amtlich: Die Rheinbacher Arzthelferin Trudel Ulmen ist am 31. Dezember 2001 gestorben. Nach dem Gesetz, auf dem Papier. Das hindert Liesel Lenerz nicht daran, wie an jedem Tag seit 16 Jahren eine Kerze vor dem gerahmten Foto ihrer verschollenen Tochter anzuzünden und Gott um ein Zeichen zu bitten.

Für die 83-jährige Witwe ist die Kerze ein Symbol der Hoffnung, eines Tages doch noch zu erfahren, was mit ihrer geliebten Tochter geschehen ist. Gestern hat das Amtsgericht Rheinbach die Arzthelferin Trudel Ulmen, 1955 als Gertrud Gabriele Lenerz im Eifelstädtchen Mayen geboren, offiziell für tot erklärt.

Es wird kein Grab geben, an dem die Angehörigen trauern könnten. Weil keine sterblichen Überreste existieren, die zu bestatten wären. Denn seit ihrem mysteriösen Verschwinden am 21. März 1996 fehlt jede Spur von der Frau, die vor zwei Monaten 57 Jahre alt geworden wäre.

Nachdem die Verschollene der im vergangenen Dezember per amtlicher Bekanntmachung kommunizierten Aufforderung, sich binnen zwölfwöchiger Frist "im Amtsgericht Rheinbach, 1. Stock, Zimmer 207" einzufinden, nicht gefolgt ist, wurde ihr Sterbedatum am Freitag per richterlichem Beschluss auf den 31. Dezember 2001 festgelegt. So verlangt es Paragraf 9, Absatz 3 des Verschollenheitsgesetzes: Das Datum ist der letzte Tag des fünften Jahres nach dem letzten Lebenszeichen.

Zuvor hatte das Amtsgericht sowohl der Bonner Staatsanwaltschaft als auch den Antragstellern in Mayen (Thomas Lenerz, der jüngere Bruder der Verschollenen, sowie Wolfgang Steffens, Ehemann von Trudel Ulmens älterer Schwester Lore) mit vierwöchiger Frist Gelegenheit gegeben, Widerspruch einzulegen. Von diesem Recht wurde aber kein Gebrauch gemacht. Thomas Lenerz: "Wir wollen abschließen, uns von ihr verabschieden können. Wir glauben nämlich nicht, dass unsere Trudel noch lebt. Wir glauben heute vielmehr, dass sie schon 1996 ums Leben gekommen ist." Psychologen wissen, dass Angehörige von Vermissten nicht einmal trauern können, solange Ungewissheit herrscht.

Nur Volljuristen werden hingegen nachvollziehen können, was dem juristischen Laien als reichlich unlogisch anmutet: Die Bonner Staatsanwaltschaft hat keine Einwände gegen die amtliche Todeserklärung, sieht andererseits aber keinen Anhaltspunkt für ein Verbrechen, dem die Rheinbacher Arzthelferin zum Opfer gefallen sein könnte. Weil die Bonner Polizei bislang keinen Anhaltspunkt finden konnte. "Die Kollegen arbeiten natürlich weiter an der Vermisstensache", versichert Harry Kolbe, Sprecher des Polizeipräsidiums. Mehr war über den aktuellen Stand der Ermittlungen jedoch nicht zu erfahren.

Ehemann will Anruf erhalten haben

Eine Vermisstensache ist Trudel Ulmen erst wieder, seit der General-Anzeiger im Dezember 2011 durch die amtliche Bekanntmachung des Gerichts zufällig vom mysteriösen Verschwinden der Rheinbacher Arzthelferin erfuhr. Zuvor existierte der Fall 16 Jahre lang nicht mehr, nachdem im März 1996 nur wenige Tage ermittelt worden war.

Am 21. März, ein kalter, grauer Donnerstag, erschien Trudel Ulmen nicht an ihrem Arbeitsplatz in der Neurologischen Reha-Klinik in Bad Godesberg. Es scheint wohl so gewesen zu sein, dass die 41-Jährige nur vier Tage später aufgrund einer einzigen Zeugenaussage als nicht mehr vermisst galt: Der damalige Ehemann will am Sonntag, 24. März, einen Anruf von ihr erhalten haben. Sie sei wohlauf, sie habe ihn freiwillig verlassen, sie befinde sich mit jemandem im Ausland, sie sei finanziell abgesichert.

Wörtlich: "Sie bedankte sich für die letzten Ehejahre und entschuldigte sich für die letzten drei Tage." Eltern und Geschwister, zu denen Trudel Ulmen stets ein enges, harmonisches Verhältnis unterhielt, warteten hingegen bislang vergeblich auf ein Lebenszeichen. Die Akte des aus Sicht der Polizei damit "aufgeklärten Falls" wurde geschlossen und fünf Jahre später ordnungsgemäß vernichtet.

Die angebliche Danksagung per Telefon wie auch die angebliche Entschuldigung klingt in den Ohren des renommierten Kölner Forensikers Mark Benecke "völlig verrückt". Benecke: "Dass ein polizeilich unbescholtener Mensch, also kein Berufskrimineller, freiwillig aus seinem Leben verschwinden kann, ohne auch nur eine einzige Spur zu hinterlassen, das gibt es nur in schlechten Romanen. Ich kenne jedenfalls keinen einzigen Fall."

Die Dienste des erfahrenen und erfolgreichen Forensikers werden gewöhnlich von Ermittlungsbehörden in Anspruch genommen. Im Fall Trudel Ulmen beauftragte ihn allerdings nicht die Bonner Kripo, sondern der Fernsehsender RTL für einen neunminütigen TV-Bericht. Benecke hat deshalb die Schauplätze jener Märztage aufgesucht, ferner die Familie Lenerz in Mayen interviewt und die Berichte im General-Anzeiger sorgsam studiert.

"Suizid halte ich angesichts der gegebenen Umstände für eher unwahrscheinlich - sofern es überhaupt stimmt, dass sie selbst mit ihrem Auto vom Rheinbacher Wohnhaus zum Arbeitgeber nach Bad Godesberg gefahren ist und es dort abgestellt hat. Das Auto könnte übrigens mit etwas Glück sogar heute noch brauchbare Spuren liefern - falls man es findet und es nicht inzwischen in der Schrottpresse gelandet ist." Im Gespräch mit dem General-Anzeiger überrascht Benecke mit einem deutlichen Fazit: "Dass Trudel Ulmen ein neues Leben angefangen hat, scheint mir eine falsche Grundannahme zu sein. Dieser Fall stinkt zum Himmel. Er ist einer dieser gar nicht so seltenen, im Anfangsstadium vollkommen vermurksten und deshalb so tragischen Fälle, die durch falsche Grundannahmen entstehen."

Mysteriöse "gute Freundin"

Dennoch hält Benecke ihn keineswegs für hoffnungslos: "Dieser Fall ist auch nach 16 Jahren noch lösbar, wenn mit genügend Personaleinsatz und großer Energie ermittelt werden kann." Der Forensiker empfiehlt der Bonner Kripo jedoch dringend, die Vermisstensache den Kollegen der Operativen Fall-Analyse (OFA) beim Landeskriminalamt in Düsseldorf vorzustellen. "Profiler" ist deren weniger behördlich klingende und der Öffentlichkeit bekanntere Berufsbezeichnung.

Benecke: "Ich denke, dass die Personen, die wissen, was vor 16 Jahren mit Trudel Ulmen geschehen ist, inzwischen schwer ins Schwitzen kommen."

Eine Person, die etwas wissen könnte, ist eine Frau, die im März 1996 in der Nachbarstadt Meckenheim wohnte. Bei der Zeugenvernehmung gab der damalige Ehemann Trudel Ulmens jetzt an, diese Frau habe ihn vor 16 Jahren, am Freitag, 22. März 1996, ins Bonner Polizeipräsidium begleitet, um Vermisstenanzeige zu stellen. Die Frau bestätigt diese Aussage. Die Polizei selbst hat allerdings keine Erinnerung an diesen Tag. Die Frau wird als "gute Freundin" der Vermissten dargestellt.

Seltsam ist nur: Keine der Freundinnen Trudel Ulmens, mit denen der General-Anzeiger bislang im Lauf der Recherchen gesprochen hat, kann sich an eine "gute Freundin" dieses Namens erinnern. Tatsächlich aber existiert diese Frau: Sie wurde 1966 in einer Kleinstadt in der Lausitz unmittelbar an der polnischen Grenze geboren und war erst 29 Jahre alt, als die damals 41-jährige Arzthelferin spurlos verschwand.

Kurze Zeit nach dem Verschwinden meldete sie sich im Einwohnermeldeamt der Stadt Meckenheim ab und zog in ein kleines Dorf im südlichen Westerwald. Vom damaligen Ehemann Trudel Ulmens erhielt sie zuvor noch einen Nerzmantel geschenkt. Der schriftliche Beleg für die Schenkung liegt dem General-Anzeiger vor. Im Westerwald meldete sich die Frau schon wenige Monate später, am 15. November 1996, wieder ab, um in die Gemeinde Grafschaft im Kreis Ahrweiler zu ziehen, wo sie bis heute wohnt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Trudel Ulmens Ehemann bereits die Scheidung eingereicht.

Die Identität der Frau ist dem General-Anzeiger bekannt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich weder um die zweite Ehefrau Uta Ulmen noch um die dritte, 24 Jahre jüngere polnischstämmige Ehefrau. Die geheimnisvolle "gute Freundin" möchte nicht mit der Redaktion über Trudel Ulmen und die Ereignisse im März 1996 sprechen. Das ist ihr gutes Recht. Und deshalb nennen wir nicht ihren Namen.

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