Meckenheimer Kulturtage Zeitzeugen im Gespräch mit Jugendlichen in Meckenheim

Meckenheim · Was ist ein Rosinenbomber? Und warum gucken alle so nachdenklich, wenn jemand sagt, seine Brüder seien auch in Russland geblieben? Diese und ähnliche Fragen junger Menschen beantworteten Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit im Mosaik-Kulturhaus.

 Acht Tage lang ernährte sich Dieter Rath (l.) am Kriegsende vor 73 Jahren von unreifen und ungenießbaren Äpfeln, weil es damals sonst nichts zu essen gab.

Acht Tage lang ernährte sich Dieter Rath (l.) am Kriegsende vor 73 Jahren von unreifen und ungenießbaren Äpfeln, weil es damals sonst nichts zu essen gab.

Foto: Matthias Kehrein

Wie die Rosinenbomber Tausende Menschen im eingeschlossenen Westberlin vor dem Verhungern gerettet haben, versetzt die junge Generation in Staunen. Interessiert hörten die jungen Leute, dass dieselben Transportflugzeuge, die Lebensmittel in die Stadt gebracht hatten, auf dem Rückweg oft Flüchtlinge ausflogen. Im Anschluss hatten die meisten von ihnen abenteuerliche Odysseen mithilfe des Roten Kreuzes vor sich, um ihre in Europa versprengten Familien wiederzufinden.

Viel eindrucksvoller als Antworten auf einzelne Fragen waren für die Jugendlichen die Berichte der Menschen, die damals dabei waren. Der 80-jährige Dieter Rath hatte als Anschauungsmaterial zwei Zweige eines Apfelbaums mit unreifen Früchten und ein verkohltes Holzstück mitgebracht.

Steven Lehmann vom Jugendrat wagte das Experiment, biss in den Apfel und verzog das Gesicht. „Sauer.“ Mehr brachte er wegen des kaum erträglichen Geschmacks nicht heraus.

Trinkwasser aus Pfützen

„Von solchen Äpfeln haben wir damals acht Tage lang gelebt“, berichtete Rath. Getrunken habe man aus Pfützen, weil kein anderes Wasser da gewesen sei. Den unvermeidlich folgenden Durchfall habe man mangels Alternative mit Stücken von verkohlten Holzbalken abgebrannter Häuser kuriert. „Heute geht man in die Apotheke. Da bekommt man eigentlich das Gleiche“, erklärte er trocken. Wenn es die Möglichkeit zu kochen gegeben habe, seien meist Blätter, Sauerampfer und Brennesseln im Topf gelandet. „Etwas anderes gab es nicht.“

Das sei der Grund, aus dem viele heutzutage solche Lebensmittel nicht mehr hinunterbrächten, erklärte ein Senior. „Flashback“ nenne man diesen Effekt, meinte Moderatorin, Ärztin und Psychologin Sigrid Harrer-Lange. Besonders intensiv empfänden Menschen solche plötzlich aufkommenden Erinnerungen an traumatische Erlebnisse, wenn sie mit dem Geruchssinn verbunden seien.

So unterschiedlich die Altersgruppen im Forum waren, so unterschiedlich waren auch die Erfahrungen der Zeitzeugen. Für manche hatte sich die seinerzeit große Angst vor dem Tod in die Seele gebrannt. Wer damals jünger war, für den war der Hunger schlimmer als die Angst. „Tot sein, das sagte uns Kindern nichts. Also wussten wir ja gar nicht, wovor man Angst haben muss. Aber der Hunger, der war immer da.“

Schweigen nach dem Krieg

Nach dem Krieg hatte die Elterngeneration der heutigen Zeitzeugen über Gräuel geschwiegen. „Der Vater hat nie über die schlimmen Sachen gesprochen“, berichtete eine Besucherin. Er habe immer nur davon erzählt, wie schön Paris gewesen sei und dass es da Entenleberpastete gegeben habe. Auch im Geschichtsunterricht sei kein Wort gefallen über das, was den Menschen widerfahren war. Das habe nicht nur an den fehlenden Büchern gelegen, denn die hätte man durch Berichte ersetzen können. „Die konnten uns das ja gar nicht erzählen“, meinte eine Teilnehmerin. „Die da als Lehrer vor uns standen, sind kurz vorher ja auch Täter gewesen.“

Einige Zeitzeugen haben ihre Geschichte aufgeschrieben, um sie verkraften zu können. Andere haben ihre Kindheit und Jugend in Buchform dokumentiert, um die Erinnerung an diese Zeit zu erhalten. „Damit die jungen Leute heute erfahren, was Krieg in der Realität von Menschen bedeutet.“

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