Gespräch am Wochenende Landeskundlerin Dagmar Hänel über Ostern

RHEIN-SIEG-KREIS · Das "Eier-Titschen" gehört zu Ostern genauso dazu wie das Klappern, der Gang zur Heiligen Stiege auf dem Bonner Kreuzberg und natürlich der Osterhase. Über aktuelle und verschwundene Bräuche zu dem Fest sprach Anke Vehmeier mit Dagmar Hänel vom Institut des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) für Landeskunde und Regionalgeschichte.

 Im Bildarchiv: Dagmar Hänel zeigt im LVR-Institut für Landeskunde in Endenich Fotos und Abbildungen zum Osterfest.

Im Bildarchiv: Dagmar Hänel zeigt im LVR-Institut für Landeskunde in Endenich Fotos und Abbildungen zum Osterfest.

Foto: Henry

Warum steht das Ei an Ostern im Mittelpunkt?
Dagmar Hänel: Ostern ist das wichtigste christliche Fest. Jesus starb am Kreuz und ist auferstanden. Das kann der Mensch mit seinem Verstand nicht nachvollziehen, das widerspricht jeder Alltagserfahrung. Deshalb brauchte es Symbole, um die Geschichte nachvollziehbar zu machen. Das Ei ähnelt einem Stein und ist kalt, wenn man es in die Hand nimmt. Sitzt allerdings ein Huhn darauf und brütet es aus, entsteht Leben. Das können die Menschen nachvollziehen.

Warum werden zu Ostern Eier verschenkt?
Hänel: Dieser Brauch symbolisiert die Weitergabe von Leben. Das Osterfest ist der Höhepunkt einer großen Choreografie des wichtigsten christlichen Festes. In der Fastenzeit darf man kein Fleisch essen. Für die katholische Kirche galt das Ei im Mittelalter als flüssiges Fleisch, war also tabu. Darauf nahmen aber die Hühner keine Rücksicht, und so hatten sich in der Fastenzeit jede Menge Eier angesammelt, die man dann verschenken konnte. Übrigens wurden die Eier schon im 7. Jahrhundert gefärbt, um sie als Geschenk hübsch zu machen.

Welche besonderen Bräuche gibt es im Rheinland und der Region?
Hänel: Sehr typisch rheinisch ist das Kar-Klappern. Dabei ziehen Kinder mit Klappern und Rasseln durch die Orte und ersetzen zwischen Gründonnerstag und Karsamstag die Kirchenglocken, die in dieser Zeit schwiegen. Ein besonderer Brauch ist der Gang zur Heiligen Stiege auf dem Bonner Kreuzberg. Sie ist nur Karfreitag und Karsamstag sowie am Patronatfest am 14. September geöffnet. Sie ist eine Nachbildung der "Scala Santa" in Rom, die Jesus vor seiner Verurteilung hinaufsteigen musste. Um daran zu erinnern, erklimmen Pilger jedes Jahr auf Knien die 28 Stufen.

Gibt es auch lustige Bräuche?
Hänel: Ja, es gibt auch allerlei Spiele mit Ostereiern, wie das "Eier-Titschen". Dabei werden die Ostereier aufeinandergeschlagen. Wessen Ei zerbricht, der hat verloren und muss sein Ei an den Gewinner abgeben. Beim "Eierschibbeln" werden Ostereier über Leisten einen Hang hinuntergerollt. Und bei der "Eierlage" wird um die Wette gelaufen, und dann werden Eier geklaubt.

Welche Bräuche sind verschwunden?
Hänel: Brauch kommt von Brauchen. Wenn bestimmte Symbole nicht mehr in die gesellschaftliche Entwicklung passen, verschwinden sie. Und manchmal ist es auch gut, wenn Bräuche verschwinden, wie "Das Juden ausputzen". Das war im 17. Jahrhundert ein antisemitisches "Spiel", bei dem am Karfreitag eine Strohpuppe als Judas verbrannt wurde.

Nur der Osterhase scheint die Jahrhunderte zu überdauern. Oder ist ein neues Symbol in Sicht?
Hänel: Der Osterhase steht für eine gesellschaftliche Veränderung zum Ende des 19. Jahrhunderts. Er kommt aus dem städtisch-protestantischen Umfeld und steht als Ideal der Entstehung der bürgerlichen Familie. Außerdem fallen der Boom der Zuckerindustrie und ein neuer Absatzmarkt zusammen. Das heißt, es werden die ersten Schoko-Ostereier industriell gefertigt, und der Absatzmarkt ist durch das finanzielle Potenzial des Bürgertums vorhanden. In das Reich der Legenden gehört wohl die Geschichte, dass im 18. Jahrhundert ein Vater mit seinem Sohn zum Bäcker kam, um ein Osterlamm-Brot zu kaufen. Das Backwerk soll ihm aber verunglückt sein, so dass der Junge ausrief: Das ist ja ein Osterhase. Ich glaube, der Osterhase hat seinen festen Platz beim Osterfest - auch in Zukunft.

Zur Person

Dagmar Hänel, geboren 1969 in Steinfurt, verheiratet seit 1995, Studium und Promotion in Münster, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturanthropologie/Volkskunde der Uni Bonn, seit 2008 Leiterin der Abteilung Volkskunde im LVR-Institut für Landeskunde in Bonn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Brauch/Ritualforschung, Religiöse Kultur und Alltagskultur.

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