Gespräch am Wochenende Autorin Christiane Wirtz war "neben der Spur"

Meckenheim · Christiane Wirtz ist Autorin und kämpft mit Psychosen. Zunächst wollte sie die Krankheit nicht akzeptieren, dann stellte sie sich ihr. Darüber hat sie den Bestseller „Neben der Spur“ geschrieben. In den nächsten Tagen liest sie daraus in Wesseling und Meckenheim.

 Die Kölner Autorin Christiane Wirtz liest in Wesseling und Meckenheim aus ihrem Buch „Neben der Spur“.

Die Kölner Autorin Christiane Wirtz liest in Wesseling und Meckenheim aus ihrem Buch „Neben der Spur“.

Foto: Norman Wollmacher

Wie geht es Ihnen?

Christiane Wirtz: Mir geht es gut. Ich habe ein anstrengendes, tolles Jahr hinter mir, mein Buch ist ein Erfolg, und das ist klasse. Aber ich brauche auch Erholung und freue mich, dass ich bald für ein paar Tage in Schottland bin.

In Ihrem Buch „Neben der Spur“ gehen Sie offen mit Ihrer Erkrankung und der Diagnose Schizophrenie vor 17 Jahren um. Warum haben Sie die „Spur“ verlassen?

Wirtz: Die Frage ist zu einfach gestellt. Ich hatte fünf Psychosen und vier Mal – beim ersten Mal wusste ja keiner was – Tabletten abgesetzt. Ich habe die Spur verlassen, weil ich stressanfälliger als andere Menschen bin und in Konflikt- und Problemsituationen dazu neige, Psychosen zu entwickeln.

Können Sie das Krankheitsbild beschreiben?

Wirtz: Ich habe eine schizoaffektive Störung und neige zu Verfolgungswahn, bei dem ich ständig falsche Assoziationen herstelle. Die letzten beiden Psychosen würden Fachleute als manisch bezeichnen. Es gibt andere Menschen, die echte Halluzinationen haben oder Stimmen hören.

Sie waren der Überzeugung, die Tochter von Mick Jagger und die Nichte von John F. Kennedy zu sein. Wie erklären Sie sich solche Vorstellungen? Und welche Erklärungen hat die Psychiatrie?

Wirtz: Ich erkläre mir das damit, dass ich Konflikte mit meinen Eltern hatte und mir so einfach andere, mir angenehme Verwandte, erfunden habe. Meine Wahnvorstellung war, dass meine Eltern mich im Alter von drei Jahren entführt hatten und ich seitdem bei ihnen gelebt hatte. Ein Teil der Psychiatrie würde das ähnlich erklären, ein anderer ist der Auffassung, Schizophrenie sei eine Stoffwechselkrankheit.

Welche Phasen kennzeichneten die Persönlichkeitsveränderung?

Wirtz: Bei meiner ersten Psychose gab es eine lange Phase, bis sie zum Ausbruch kam. Die letzten Psychosen kamen erst richtig zum Ausbruch, nachdem ich die Tabletten drei Monate nicht genommen hatte.

Konnten Sie die Krankheit damals selbst wahrnehmen?

Wirtz: Nicht wirklich. Ich habe gemerkt, dass ich stark unter Druck stand, habe aber den Gedanken daran, ich könnte krank sein, einfach nicht zugelassen.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert?

Wirtz: Bei meiner letzten, langen Psychose, die zweieinhalb Jahre gedauert hat, war ich erst knapp drei Jahre in Köln und viele Freundschaften waren noch nicht so tiefgehend. Außerdem hatte ich zu dem damaligen Zeitpunkt keinen Partner. Das heißt, es haben – außer meinen Eltern, mit denen ich ja ein schwieriges Verhältnis hatte – nur Leute versucht, herauszufinden, was mit mir los war, die ich nicht so gut kannte. Die sind eher vorsichtig vorgegangen oder haben reagiert, als ich gar nicht mehr wirklich ansprechbar war.

Haben Sie die Diagnose akzeptiert?

Wirtz: Nein. Erst heute. Dazu muss man aber sagen, dass es Menschen gibt, die haben einmal eine Psychose und dann nie wieder, auch ohne Tabletten. Es gibt also nicht eine unheilbare Krankheit Schizophrenie.

Wie haben Sie den Tag ohne Job strukturiert?

Wirtz: Ich habe Dinge gemacht, die man als normal bezeichnen würde. Sport, ich habe gekocht, meine Wohnung saubergemacht. Gedanklich und tatsächlich habe ich mich aber mit dem Verfassen von merkwürdigen Schreiben beschäftigt. Ich war der Auffassung, ich sei zu Unrecht mit dem Etikett „Schizophrenie“ belegt worden und wollte mich dann mit Anzeigen gegen die Diagnosen wehren.

Sie schreiben, Ihre Psychose habe Ihre soziale Existenz vernichtet.

Wirtz: Ich habe meinen Job verloren, meine Eigentumswohnung, habe meine Lebensversicherung aufgebraucht. Einige Menschen, die mir früher nahestanden, machen jetzt einen Bogen um mich.

Haben Sie Hilfe zugelassen?

Wirtz: Nicht wirklich. Allerdings würde ich es für günstiger halten, einen Menschen, wenn er sich in einer Psychose befindet, nicht davon überzeugen zu wollen, er sei krank. Das führt zu nichts. Mein ehemaliger Lebensgefährte hat es einfühlsam versucht, indem er Kompromisse angeboten hat: Nimm doch eine Woche die Tabletten, mir zuliebe. Nach der Woche war ich wieder einsichtig.

Wie haben Sie die Behandlung erlebt?

Wirtz: Ich bin ein anspruchsvoller Mensch und habe die Ärzte in der Klinik wohl eher genervt. Ich von meiner Seite war auch nicht sehr glücklich dort. Ich denke, es war gut, dass ich Medikamente bekommen habe. Andere Einschätzungen der Klinik, etwa, ich solle mich frühverrenten lassen, fand ich weniger hilfreich.

Wie lange waren sie in der geschlossenen Abteilung der Kölner Klinik?

Wirtz: Vier Monate. Ich habe mich dort nicht sehr wohl gefühlt. Aber es war, wie gesagt, gut, dass ich Medikamente bekommen habe.

Welche Wege aus der Krankheit wurden Ihnen aufgezeigt?

Wirtz: Die Ratschläge gingen eher in die Richtung, sich zu schonen und aus dem normalen Arbeitsalltag auszuscheiden. Das wollte ich nicht. Ich habe eine (weitere) Psychotherapie begonnen, das war auch die Empfehlung der Klinik.

Haben Sie Stigmatisierung konkret erlebt?

Wirtz: Diverse Träger, Einzelpersonen und Institutionen haben mich zu Lesungen eingeladen. Bei einer Lesung sagte mir die Veranstalterin, die Betreiberin des Veranstaltungsortes habe sich einer Kooperation für diese Lesung widersetzt, die wollten einfach nicht mit mir oder mit dem Thema in Verbindung gebracht werden. Zu dieser Veranstaltung waren immerhin gut 80 Leute gekommen.

Wann waren Sie bereit, offen mit Ihrer Erkrankung umzugehen und schließlich sogar ein Buch darüber zu schreiben?

Wirtz: Ich habe schon länger darüber nachgedacht, etwas aus diesen vermeintlich negativen Erfahrungen zu machen. Und schon in der Klinik war der Gedanke, diese Psychose aus verschiedenen Sichten zu beschreiben, da. Ich habe dann unter einem Pseudonym ein Hörfunk-Feature gemacht, das so positiv aufgenommen wurde, dass ich zugesagt habe, als der Dietz-Verlag mich gefragt hat, ob ich ein Buch schreiben will. Und letztlich kam es mir dann nicht konsequent vor, unter einem Pseudonym zu schreiben.

Wie haben Sie Ihr Leben wieder in den Griff bekommen?

Wirtz: Mit Medikamenten und Menschen, die mich nicht im Stich gelassen haben, einer guten Portion Eigensinn und sinnvollen Perspektiven.

Sind durch die Krankheit zerbrochene Freundschaften heute wieder intakt?

Wirtz: Manche. Vielleicht kommt ja noch die eine oder andere dazu.

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