Interview mit Neurobiologen Tablets können das Schulbuch nicht ersetzen

Bornheim · Neurobiologe Martin Korte spricht über die Vor- und Nachteile des Einsatzes digitaler Geräte in Schulen. In den Klassen 5 und 6 haben Tablets und Co nichts zu suchen, sagt er im Gespräch mit GA-Redakteur Christoph Meurer.

 Martin Korte.

Martin Korte.

Foto: Johannes Felsch

Herr Professor Korte, was halten Sie von reinen Tablet-Klassen?

Martin Korte: Ich warne davor, Tablets in der Grundschule oder in der fünften und sechsten Klasse einzusetzen. Ab der siebten Klasse ist das durchaus möglich. Man soll aber nicht der Illusion unterliegen, dass das Lernen damit einfacher wird.

Warum erst ab der siebten Klasse?

Korte: Wenn Schülerinnen und Schüler die Schulform wechseln, müssen sie sich erst daran gewöhnen und logisches Denken lernen. Da stört das Tablet eher. Man muss bei der Einführung von digitalen Medien auch bedenken, dass die Lehrer dieses gut vorbereiten müssen.

Wie unterscheidet sich das Lernen am Tablet vom klassischen Schulbuch?

Korte: Wenn man E-Books liest und das angelesene Wissen nachher wieder abrufen möchte, erfolgt das nicht in der gleichen Qualität wie nach dem Lesen eines klassischen Buches.

Wegen der Verarbeitung im Gehirn?

Korte: Genau. Wenn wir Fakten lernen, machen wir das immer noch mit evolutiv alten Gehirnarealen, die einmal – salopp gesagt – erfunden wurden, um sich im Raum zu orientieren. Wenn man etwa Wege im Gehirn miteinander verbindet, ist das so ähnlich, wie Fakten miteinander zu verbinden. Wenn wir also in einem Buch lesen, wissen wir, ob wir etwas in der Mitte eines Buchs gelesen haben oder am Ende oder am Anfang – das räumliche Gedächtnis kann assoziativ zum Erinnern genutzt werden. Das geht an einem Flachbildschirm verloren. Neben dem Tablet sollte also das gute alte Schulbuch seinen Platz beim Lernen haben.

Sie sprechen sich also für ein Nebeneinander von Tablet und Schulbuch aus?

Korte: Ja. Warum sollte man nicht ein weiteres Lernwerkzeug einsetzen? Zumal die Schüler es sicher interessant finden, weil sie es aus ihrem Alltag kennen. Man muss sich aber genau überlegen, wo und wie man das Tablet inhaltlich einsetzen kann.

Was ist mit den Eltern?

Korte: Man sollte bei den Eltern nicht die Erwartungshaltung wecken, dass das Lernen mit dem Tablet einfacher wird. Eltern sehen ihr Kind in der Freizeit spielend mit dem Tablet umgehen und meinen, es würde auch spielend daran lernen. Lernen ist ein aktiver Prozess und unser Gehirn erinnert Dinge umso mehr, je mehr man sie sich erarbeiten muss.

Wobei ein Tablet im Unterricht ja auch praktisch ist. Man kann sich zu einem Lernstoff schnell weitere Texte, Videos oder Grafiken suchen.

Korte: Das ist ein Vorteil. Aber das Angucken ist noch kein Lernen. Ein echter Vorteil ist, dass man die Lern-App auf das Niveau des jeweiligen Schülers einstellen kann. Das Lernen darf aber nicht zu passiv werden. Und Lehrer müssen sich während des Unterrichts weiter um die Schüler kümmern, die am besten in kleinen Gruppen mit digitalen Medien arbeiten und nicht nur allein.

Also spricht aus Ihrer Sicht nichts grundsätzlich gegen die Einführung von Tablets?

Korte: Nein, man sollte dabei nur nicht naiv sein. Ein Beispiel: Das Tablet hat eine Taschenrechnerfunktion. Man muss also keinen Taschenrechner mehr haben. Für eine Klausur kann man die anderen Funktionen des Tablets aber nicht abschalten, weswegen die Schüler nicht erlaubte Hilfen haben. In den Klausuren müssen die Schüler dann Taschenrechner nutzen, die sie aber vorher nie benutzt haben. Auch viele Stunden lang mit der Hand schreiben zu können, ist für Klausuren wichtig.

Wird sich unser Gehirn einmal so verändern, dass nur noch das Lernen am Tablet sinnvoll ist?

Korte: Nicht in den nächsten zehntausend Jahren. Aber Lernen lebt von Vielfalt. Jeder Methoden- und Formenwechsel erzeugt Aufmerksamkeit.

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