Erntehelfer führte Tagebuch So lief die Ernte auf dem Bornheimer Hof von Ritter

Exklusiv | Bornheim. · Unser Autor hat auf den Feldern des insolventen Bornheimer Hofs Ritter Erdbeeren gepflückt – und dabei Tagebuch geführt. Seine Erlebnisse schildert er in diesem Bericht.

 Auf Handschuhe hat unser Autor beim Erdbeeren-Pflücken irgendwann verzichtet.

Auf Handschuhe hat unser Autor beim Erdbeeren-Pflücken irgendwann verzichtet.

Foto: Frank Frangenberg

Die Saison für Erdbeeren neigt sich bald dem Ende zu. Schon vorbei ist sie beim Bornheimer Erdbeer- und Spargelhof Ritter. Nach Protesten von rumänischen Erntehelfern und Gewerkschaftern wegen angeblich ausstehender Löhne sowie schlechter Unterbringung wollte der Verwalter des insolventen Betriebs nicht mehr für die Sicherheit auf den Feldern garantieren. Er verkaufte die Rechte für die Ernte der restlichen Erdbeeren an andere Betriebe.

Dass es eine schwierige Ernte werden könnte, hatte sich bereits zu Saisonbeginn abgezeichnet. Denn im Zuge der Krise um das Coronavirus konnten viele rumänische Erntehelfer nicht nach Deutschland einreisen. Um die Lücke zu füllen, warb der Insolvenzverwalter auf einer eigens eingerichteten Internetseite um einheimische Erntehelfer. Unser freier Autor Frank Frangenberg war einer von ihnen. Seine Eindrücke hat er als Tagebuch festgehalten – vom Stellenangebot im Internet bis zum Ernte-Abbruch.

Gründonnerstag, 9. April: „Bornheimer Spargelkönig Ritter sucht Retter im Internet“ lese ich in der Zeitung. Sonst hätte der Erdbeer- und Spargelhof von Sabine und Claus Ritter mehrere Hundert Arbeiter aus Osteuropa auf seinen Feldern beschäftigt, die in Corona-Zeiten teilweise nicht kommen können. Ein Retter sein, wie fein. Für einen Stundenlohn von zehn Euro. Ich gehe auf die Internetseite und trage Namen und E-Mail-Adresse ein.

Mittwoch, 22. April: Eine E-Mail trudelt ein. „Wir laden Sie ein zu Ihrem ersten Arbeitstag am Donnerstag, 23.04.2020 um 07.00 Uhr Uedorfer Weg 60, 53332 Bornheim.“ Das ist ja schon morgen.

Donnerstag, 23. April: Um 7 Uhr begrüßt ein Herr vom Insolvenzbüro 25 Menschen auf dem Erdbeer- und Spargelhof, die sich um ihn scharen, junge Leute, Studenten. Sie hätten hier sonst tausend Rumänen beschäftigt, nun gerade mal 250, wie schön es sei, dass wir nun aushelfen würden. Sie seien eine bunte Truppe, der Busfahrer werde uns gleich in die Erdbeerfelder fahren. Jeder erhält beim Einstieg eine Schutzmaske, Made in China.

Das Erdbeerfeld, das ist ein mit Folie überspannter Tunnel neben dem anderen. Jeder von uns darf sich einen kleinen Eisenwagen nehmen, so groß, dass eine Kiste hineinpasst, in die zehn Plastikschalen verteilt werden. Vorne hat der Eimer einen Eisenring, in die ein Eimer geklemmt werden kann. Wir werden auf die Tunnel verteilt, so lang wie ein Fußballfeld, jeder Tunnel hat fünf Reihen Erdbeeren, jeder nimmt sich eine vor. Ich arbeite mit einem Amerikaner und drei Argentiniern zusammen. Der junge Rumäne, der uns einarbeitet, heißt Daniel, klein, drahtig. Er sagt, wo’s lang geht. Das Grüne muss dran bleiben an der Erdbeere, das klappt nicht immer. Wie machen das die Rumänen? Ein Wedeln mit der einen Hand, um die Erdbeeren freizulegen, die andere Hand knipst die Erdbeere ab.

Freitag, 24. April: Ich arbeite mit Florian, einem Koch, seiner Frau und Hassim aus dem Kosovo zusammen. Jeder hat seine eigene Technik. Ich finde es am besten mich über die Erdbeerreihe zu stellen und mich gebückt vor zu arbeiten, und die Unterarme hin und wieder auf den Oberschenkeln abzustützen. Wenn du deine Kiste gefüllt hast, bringst du sie zu einem Tisch  an dem sie gewogen wird. 5900 Gramm sind verlangt. Erdbeeren, die unreif, matschig oder ohne Grüne sind, werden aussortiert. Der Rest kommt auf dann rauf auf den Laster. Nach fünf Stunden bin ich froh, dass es vorbei ist.

Samstag, 25. April: Heute arbeite ich mit Wahid aus Gummersbach. Er schafft vier Kisten in der Stunde. Wie macht er das bloß? Ich stoppe die Zeit, die ich für eine Kiste brauche. Für die erste brauche ich 22 Minuten, für die zweite 23 Minuten, am Kontroll-Tisch habe ich Pech, ich gerate an eine pingelige Dame, die viel wegschmeißt, „Schrott“, sagt sie, „is Schrott, Scheiße“. Ich verliere eine Viertelstunde. Ab heute arbeiten wir sechs statt fünf Stunden, daran muss ich mich gewöhnen. Der dritte Tag ist der schlimmste, armer Rücken, arme Oberschenkel.

Mittwoch, 29. April: Ich lasse die Handschuhe weg, weil ich in denen kein Gefühl habe. Auch bräuchte ich längere Fingernägel, um die Stiele besser abknipsen zu können. „Marmelade“, meckert die Dame am „Kontroll-Tisch“ bei Erdbeeren mit Druckstellen.

Samstag, 2. Mai: Es schüttet in Bornheim und die Gräben in den Erdbeertunneln laufen voll Wasser, draußen breiten sich große Schlammlachen aus. Drinnen hält jemand eine Ansprache, das gestrige Pflückergebnis sei miserabel gewesen. Ein netter rumänische Vorarbeiter mit weißen Haaren sagt, wenn ich die Erdbeeren hier so im Gang liegen lasse, wird er nach Rumänien zurückgeschickt. Meinen Ehrgeiz, so schnell wie ein Rumäne zu sein, habe ich aufgegeben. So schnell werde ich nie, ich schaffe wohl drei Kisten in der Stunde. Doch ist viel „Marmelade“ dabei und mir werden am Kontroll-Tisch die Ohren lang gezogen.

Freitag, 8. Mai: 25 Grad  Celsius wird es – in den Tunneln heißer. Es gibt einen neuen rumänischen Vorarbeiter.

Samstag, 9. Mai: Kaum jemand unterhält sich noch bei der Arbeit, die meisten trotten schweigend von einem Tunnel zum nächsten.

Donnerstag, 14. Mai: Im Zen-Buddhismus gibt es eine Schule, die dir eine stumpfe und monotone Arbeit als meditative Praxis verordnet. Genau das ist Erdbeerpflücken. Nach sechs Stunden Pflücken, in denen du dich auf nichts anderes konzentrieren kannst, ist dein Hirn leer. Trotzdem spüre ich, dass irgendwas in der Luft liegt, die Rumänen sind noch schlechter gelaunt, auch die Busfahrer scheinen gereizt.

Freitag, 15. Mai: Wir landen in Tunneln voller Disteln und Brennnesseln. Da wusste ich noch nicht, dass sich die Rumänen heute weigerten, in den Bus zu steigen, weil sie sich um Lohn betrogen fühlen.

Dienstag, 19. Mai: Frühmorgens stehen wir zu viert vor dem Tor im Uedorfer Weg, abgeschlossen, heißt es. „Nach dem überhitzten Tag gestern“, so steht es in einer Whats-App-Nachricht, gibt es heute hitzefrei. „Ach, wegen der Demo“, sagt einer, keine Ahnung was er meint. Später erfahre ich vom Protestmarsch der Rumänen.

Mittwoch, 20. Mai: Was denn mit den Rumänen sei, frage ich. Die kommen nicht mehr, die dürfen nicht mehr raus, die bleiben im Container, heißt es. Montag geht’s ab zurück nach Rumänien, heißt es. Im Büro hole ich mir meinen Vorschuss ab, der Mann der Finanzen fragt sich, wie das alles nur so eskalieren konnte. Vor der Kantine steht ein Mann vom Sicherheitsdienst. Er telefoniert.

Donnerstag, 21. Mai: Himmelfahrt. Wie könnte man den Tag schöner verbringen als mit sechs Stunden in den Erdbeertunneln. Überpünktlich hören wir auf. Ich habe das Gefühl, es war mein letzter Tag in den Tunneln.

Sonntag, 24. Mai: Am frühen Abend erhalte ich eine SMS. „Hallo, trotz allem Engagement sind wir gezwungen, die Ernte nunmehr komplett einzustellen. Für ihre außergewöhnliche Unterstützung möchten wir uns hiermit herzlich bedanken. Bleiben Sie gesund und mit fruchtigen Grüßen…“.

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