Traditionsveranstaltung Stirbt die Dorfkirmes aus?

Bornheim · Die Kirmes in Bornheim-Waldorf war nach Ansicht der Schausteller nicht gut besucht. Wie steht es um die Institution Kirmes - ist das Tradition oder kann das weg?

Kirmes in Waldorf: Mit ihrer Enkelin Julia kommen Heinz und Marga Dieck gerne vorbei.

Kirmes in Waldorf: Mit ihrer Enkelin Julia kommen Heinz und Marga Dieck gerne vorbei.

Foto: Axel Vogel

Kirmes. Mit diesem Begriff verbinden viele Erinnerungen. In der Kindheit sind es Zuckerwatte und gebrannte Mandeln, später dann Autoscooter und Rosenschießen und noch ein bisschen später gesellige Abende an der Kölschbude. So mancher regt sich aber auch auf: über gesperrte Straßen, Ruhestörung und ein Fest, das nichts mehr mit dem Ursprung, der Weihe der Dorfkirche, zu tun hat. Kirmes - muss das noch sein?

In Waldorf kündigte sich die Kirmes auf dem Dorfplatz vor einer Woche durch das Tröten des Autoscooters schon eine Straße weiter an. Betreiber Uwe Himmes beobachtete aus dem Kassenhäuschen, wie sich am Montagnachmittag zwei Wagen auf der Fläche umeinander drehen. Seit 19 Jahren betreut er mit dem Schaustellerbetrieb Himmes kleine Feste rund um Koblenz.

Frauenpower pur: So stellte man sich auf dieser Lithographiekarte "Jahrmarkt anno 2000 - Gruss von der Walberberger Kirmes um 1900" eine Kirmes im Jahr 2000 vor.

Frauenpower pur: So stellte man sich auf dieser Lithographiekarte "Jahrmarkt anno 2000 - Gruss von der Walberberger Kirmes um 1900" eine Kirmes im Jahr 2000 vor.

Foto: Förderkreis Historisches Walberberg

Viel los gewesen sei in Waldorf eigentlich nur am Samstag. "Die Jugend macht nicht mehr viel", begründet Himmes den Besuchermangel. Wie viele Menschen kommen, hänge natürlich auch stark vom Wetter ab, meint Willi Liebe, der im Entenangelwagen seiner Tochter über die Plastiktierchen wacht. Aber generell gebe es auf Kleinkirmessen immer weniger Publikum. "Besser wird es nirgendwo mehr", sagt auch die Dame an der Losbude, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Deutscher Schaustellerbund: Besucherzahlen steigen

Schaut man sich die offiziellen Zahlen des Deutschen Schaustellerbunds (DSB) an, ist die Kirmeslandschaft gut aufgestellt: Rund 9750 Volksfeste gibt es dem DSB zufolge in Deutschland. Zahlen für einzelne Bundesländer oder Kommunen erhebt der Bund nicht. Seit 2008 stiegen die Besucherzahlen auf Volksfesten wieder, "die Talsohle ist durchschritten", schreibt der Bund auf seiner Homepage.

Doch für kleine Feste wie die Dorfkirmes in Waldorf sehe es schlechter aus. "Den Ausrichtern, oft Schützenvereine oderandere örtliche Vereine, fehlen oft die finanziellen Mittel", erklärt Nina Göllinger, Leiterin Kommunikation und Marketing beim DSB.

Peter Barth, dessen Familie seit mehr als Hundert Jahren im Schaustellergewerbe vertreten und in der Region weit bekannt ist, zeigt sich wenig optimistisch, was die Zukunft kleiner Kirmessen angeht. "Es gibt zu viele andere Angebote. Der Mensch hat nur ein gewisses Budget für seine Freizeit. Etwas fällt hinten über", sagt Barth dem GA.

Seit sein Onkel den Autoscooter verkauft habe, seien die Barths nicht mehr an der Bornheimer Kirmes beteiligt. Die Zeiten für Fahrgeschäfte seien vorbei, "der Markt ist weggebrochen". Nun konzentriere sich das Unternehmen auf gastronomische Angebote. Einen Autoscooter anzubieten, koste mit Transport, Aufbau, Strom, Standgebühren und Mitarbeiterlohn schnell 5000 bis 6000 Euro. "Das muss man erst mal umsetzen", sagt Barth.

Barth: „Luft für kleine Kirmessen wird immer dünner“

Hinzu kämen Aspekte wie Mindestlohn, Arbeitszeitschutzgesetz und dass viele Kinder in Schaustellerfamilien den stressigen Job ihrer Eltern nicht übernehmen wollten, meint Barth. All das führe dazu, dass die Luft für kleine Kirmessen "immer dünner wird".

Im Kalender der Stadt Bornheim, bei der sich Schausteller zentral um Plätze auf den Kirmessen bewerben, stehen dieses Jahr 13 der Feste. "Es gibt seit Jahren die gleichen Schausteller, die sich für unsere Kirmessen anmelden", sagt die Pressesprecherin der Stadt, Susanne Römer-Winkler. Rund 15 seien das. "Es könnten gern noch mehr sein, die Stadt freut sich sehr über neue Bewerber." Die Zahlen seien "leicht rückläufig, grundsätzlich jedoch stabil".

In Sechtem sei der Versuch, zusätzlich zur Kirmes im Oktober eine Sommerkirmes zu etablieren, gescheitert, bestätigt Ortsvorsteher Rainer Züge auf Anfrage. 2016 fand die Veranstaltung einmalig statt. Wie berichtet, war ein zweiter Anlauf gescheitert, weil ein Schausteller aus wirtschaftlichen Gründen abgesagt hatte. "Und die Kirmes ehrenamtlich zu stemmen, ist für die Vereine nicht möglich", so Züge. Statt vieler kleiner eine große Kirmes à la Pützchens Markt zu veranstalten, erscheine ihm nicht sinnvoll. "Wegen der Bornheimer Struktur führen die Ortsteile ein gewisses Eigenleben. Es ist wichtig, dass auch dort etwas stattfindet", sagt er.

Auch der Ursprung der Kirmes macht eine Zusammenlegung schwierig: Die Orte feierten mit ihr die Kirchweihe oder das Patronatsfest ihres jeweiligen namensgebenden Heiligen. "Und natürlich feiern wir diese Kirchweih- und Patronatsfeste an den jeweiligen Wochenenden auch noch", bestätigt Pfarrer Jörg Stockem, der für den Seelsorgebereich Bornheim - An Rhein und Vorgebirge zuständig ist. "Über den traditionellen Termin hinaus sind wir in die Kirmessen als Kirche aber nicht (mehr) eingebunden." Im Seelsorgebereich Bornheim-Vorgebirge feiern die Pfarreien die Kirmessen mindestens mit einem Festhochamt, berichtet Pfarramtssekretärin Ulla Stalz; teilweise kommen Pilger aus Nachbargemeinden, finden Prozessionen und Gräbersegnungen statt.

Auch die Stadt Bornheim lehnt eine Zentralisierung der Kirmessen ab. "Grundsätzlich macht es hingegen Sinn, in Verbindung mit den Kirmessen ortsbezogene Aktivitäten zu entwickeln, wie dies in Merten mit dem Feuerwerk der Dorfgemeinschaft oder in Bornheim mit den Veranstaltungen des Gewerbevereins passiert", sagt Pressesprecherin Römer-Winkler.

Um den Schaustellern entgegenzukommen, halte die Stadt die Standgebühren "so niedrig wie möglich". Auf jährlichen Treffen erkundige sich die Verwaltung, wie zufrieden die Schausteller mit den Geschäftsergebnissen waren. "Grundsätzlich sind die Schausteller so zufrieden, dass sie im nächsten Jahr wiederkommen - und das bereits seit Jahren", betont Römer-Winkler.

Zur Großkirmes in Bornheim kommen mehrere Tausend

Auch die Besucher sind der Stadt zufolge noch da: Zur Großkirmes in Bornheim-Ort, die zusammen mit der Gewerbeschau "Bornheim Live!" stattfindet, kämen je nach Wetter jährlich mehrere Tausend Besucher. Bei den kleineren Kirmessen seien es "eher rund 1000".

Und was zieht die Menschen heutzutage noch zur Kirmes? "Lose und Zuckerwatte", meint die kleine Laura auf der Kirmes in Waldorf. "Der Autoscooter ist das Beste an allem", ergänzt ihr Spielkamerad. "Früher war die Kirmes das Fest im Dorf", sagt Lauras Vater Udo Böhm. Die Zeiten seien zwar vorbei, "aber man trifft hier immer noch Leute, die man das ganze Jahr nicht sieht".

Waldorfer Kirmes füllte drei Tage lang zwei Säle

Ihrem Nachwuchs zuliebe sind Christel und Florian Krüger dort. Während Mama und Papa sich Reibekuchen schmecken lassen, schmust der acht Monate alte Christian im Kinderwagen mit seinem neuen Plüschhusky von der Losbude. "Er bringt die Mama das erste Mal seit Jahren wieder auf die Kirmes", sagt Christel Krüger. "Als Kind war ich jeden Tag hier." Warum sie aufgehört hat zu kommen? "Alter, uncool, keine Zeit, Schule, Klausuren", nennt sie einige Gründe.

Wilfried Küster und Hans-Peter Schäfer können sich noch an Zeiten erinnern, als die Waldorfer Kirmes drei Tage lang zwei Säle füllte. "Da nimmt sich heute keiner mehr Urlaub für", sagt Küster. Weniger Kirmes, weniger Dorfkneipen, weniger Mitglieder in den örtlichen Vereinen - für die beiden spiegelt der Wandel der Kirmes den Wandel des Dorflebens wider.

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