Inklusion in Bornheim Es mangelt an Sonderpädagogen

BORNHEIM · Mit der heutigen Zeugnisausgabe an den Schulen in NRW endet das erste Halbjahr des Schuljahres 2014/15, in dem Kinder mit Behinderung ein Recht auf gemeinsamen Unterricht mit nichtbehinderten Kindern haben.

 Seite an Seite: Die 13-jährige Fenja (rechts) mit Down-Syndrom liest in einem Gymnasium in Hildesheim während des Unterrichts in einer achten Klasse gemeinsam mit Saskia (13) ein Arbeitsblatt vor.

Seite an Seite: Die 13-jährige Fenja (rechts) mit Down-Syndrom liest in einem Gymnasium in Hildesheim während des Unterrichts in einer achten Klasse gemeinsam mit Saskia (13) ein Arbeitsblatt vor.

Foto: dpa/hermes

Damit müssen Eltern eines Kindes mit festgestelltem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung zum einen nicht mehr die Aufnahme an einer allgemeinen Schule beantragen. Zum anderen haben sie jedoch auch weiterhin das Recht, eine Förderschule für ihr Kind zu wählen. Auch wenn diese rechtliche Basis von Eltern und Initiativen über viele Jahre hinweg mit großem Engagement erkämpft wurde, bedeutet es nicht, dass das Ziel in Gänze erreicht ist. Auch in Bornheim ist das so.

Cordula Müller, Vorsitzende der Bornheimer Elterninitiative Inklusion und Mutter eines 14-jährigen behinderten Sohnes, der die Europaschule besucht, stellt aktuell fest, dass insbesondere im Bereich der notwendig einzusetzenden Schulbegleiter noch Handlungsbedarf ist. Auch wenn das Recht auf die Beschulung nun die Anmeldung vereinfacht hat, kann es in der Praxis durch ausfallende Schulbegleiter dazu kommen, dass der Unterricht für das betroffene Kind nicht stattfindet und die Eltern einspringen müssen.

Im Schulalltag bedeutet dies für ein Kind, das nicht alleine den Wechsel zwischen verschiedenen Kursräumen bewerkstelligen kann, dass es durch den Ausfall des Schulbegleiters nicht in der Schule bleiben kann. In der Folge muss ein Elternteil in dieser Situation seine Arbeit ruhen lassen und das Kind abholen. "Wenn es zu einem Betreuungsausfall kommt, sind die Eltern der behinderten Kinder nach wie vor die Ansprechpartner der Schule", beklagt Cordula Müller.

Stattdessen müssten ihrer Meinung nach jene Einrichtungen in die Verantwortung genommen werden, bei denen die Eltern eine Integrationshilfe beantragt haben. Demnach müssten der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), die Lebenshilfe und die Diakonie genügend Personal zur Verfügung stellen, um auf Ausfälle reagieren zu können.

"Man darf es sich nicht so leicht machen, wenn es um die Umsetzung des Gesetzes geht", sagt Müller. Man könne den Schulbesuch des behinderten Kindes nicht vom Gesundheitszustand des Schulbegleiters abhängig machen, sondern es sei durchaus auch Lehrern oder geeigneten Mitschülern zeitweise zumutbar, einem behinderten Kind beim Wechsel der Kursräume behilflich zu sein. "Es geht nicht, dass immer die Eltern den Schwarzen Peter auf der Hand haben." Als Lösung regt Cordula Müller einen Pool von Schulbegleitern an, die für ein bestimmtes Gebiet zuständig sind und kurzfristig reagieren können.

Die vielen noch fehlenden Sonderpädagogen und Schulbegleiter zur Umsetzung der hoch gesteckten Inklusionsziele zu erhalten, hält auch Christoph Becker, Leiter der Europaschule in Bornheim, für die größte Herausforderung bei der Integration von zurzeit 32 behinderten Schülern an seiner Gesamtschule. Alles in allem besuchen rund 1500 Kinder und Jugendliche die Einrichtung.

Nach Angaben von Bornheims Schuldezernent Markus Schnapka haben verschiedene städtische Schulen bereits ein spezielles Inklusionsprofil: die Europaschule, die Heinrich-Böll-Sekundarschule, die Herseler-Werth-Schule sowie die Nikolaus-Schule in Waldorf und die Rösberger Markus-Schule. Ebenso dürfe die Verbundschule in Uedorf nicht vergessen werden.

An der Europaschule würden in allen sechs Klassen eines Jahrgangs Inklusionskinder aufgenommen, an der Heinrich-Böll-Schule in zwei von drei, führt Schnapka beispielhaft weiter aus. Selbstredend seien auch an anderen Schulen Kinder mit Förderbedarf. In diesen Fällen müsse aber sichergestellt sein, dass dem Förderbedarf im Regelbetrieb nachzukommen sei. "Um jedes Kind da abzuholen, wo es steht, bedarf es entsprechender Ressourcen", findet Schnapka. Es fehlten erhebliche finanzielle Mittel, um die Ziele für eine gelungene Inklusion zeitnah umzusetzen.

Im Gegensatz zur NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann, die das gemeinsame Leben und Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen als ein Generationenthema versteht, betont der Bornheimer Bürgermeister Wolfgang Henseler die Notwendigkeit, Umbaumaßnahmen und Personalengpässe in einem überschaubaren Rahmen von etwa fünf Jahren anzugehen. Er hebt dabei die gute Zusammenarbeit aller betroffenen Einrichtungen hervor, bei denen "keine Krähe der anderen die Augen aushackt".

Die Schulen seien versucht, aus den zunächst zur Verfügung stehenden Mitteln das Beste zu machen. Auch wenn die baulichen Maßnahmen im Moment nicht in dem benötigten Maß umsetzbar sind, müsse man zumindest dafür sorgen, dass die personellen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.

Da der heutige Freitag unter dem Zeichen der Zeugnisvergabe steht, wurde auch der Bürgermeister vom General-Anzeiger gebeten, den Bornheimer Inklusionsbestrebungen eine Note zu erteilen. Wolfgang Henseler konnte keine Gesamtnote vergeben, wie das Cordula Müller mit einer "glatten Drei" tat, er wollte differenzieren und bewertete zunächst den "Fleiß", für den er allen Beteiligten ein "sehr gut" geben würde.

Was die Finanz- und Personalausstattung angeht, sieht er dagegen die Versetzung gefährdet und entscheidet sich für eine Vier minus. Es gibt also in Bornheim noch viel zu tun.

Inklusion

Inklusion ist ein Schlüsselbegriff, der eine humane Gesellschaft kennzeichnet, die Verschiedenheit anerkennt und annimmt und auf einen gesamtgesellschaftlichen werteorientierten Grundkonsens zielt. In einem inklusiven Schulsystem wird das gemeinsame Leben und Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen zur Normalform. (Definition des Schulministeriums NRW)

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