Multitalent aus Waldorf Er bringt Struktur in das Chaos der Töne

BORNHEIm-Waldorf · Hagen Anselm Fritzsche aus Waldorf ist Jazztrompeter, Chorleiter und Teil der Band "Kuhl un de Gäng".

 Mit sechs Jahren begann Hagen Anselm Fritzsche Trompete zu spielen.

Mit sechs Jahren begann Hagen Anselm Fritzsche Trompete zu spielen.

Foto: Stefan Hermes

Eine kleine rosafarbene Buschrose auf der Terrasse der Erdgeschosswohnung in Waldorf, deren Blumentopf noch mit Geschenkband umwickelt ist, erzählt von dem großen Ereignis, das dem Leben des Musikers Hagen Anselm Fritzsche (29) eine neue Richtung gegeben hat.

Erst im vergangenen Jahr, als er mit seiner Band "Kuhl un de Gäng" auf einem Rheinschiff unterwegs war, hat er die Frau getroffen, mit der er seit März diesen Jahres verheiratet ist. Bis dahin galt seine Liebe vor allem der Musik. Auch jetzt wird er als Chorleiter, Bandmitglied, Kirchenmusiker, Arrangeur und Komponist weiterhin bis zu 80 Wochenstunden mit seiner Musik beschäftigt sein, aber es fühlt sich nun anders an.

Hagen Anselm Fritzsche war es seit seiner Kindheit gewohnt, eine Außenseiterrolle zu haben, mit der er sich inzwischen sehr gut zurechtgefunden hatte. Vielleicht liegt es an seinem Elternhaus in Sankt Augustin-Meindorf, das an seinen Erstgeborenen große Erwartungen stellte. Sein Vater und die vor bald zehn Jahren früh verstorbene Mutter waren beide sehr engagierte Lehrer und studierte Musiker.

Fritzsche wuchs mit einem Konzertflügel im Wohnzimmer auf und lernte bereits mit sechs Jahren Trompete zu spielen. Ein Instrument, das ihn von da an durch alle Höhen und Tiefen begleiten sollte. Schon in den Anfängen war sein Widerstand gegen das sture "vom Blatt spielen" groß. Erst als er einige Jahre später erstmals die CD "A Night in Tunisia" von Dizzy Gillespie hörte, konnte er sich vorstellen, dass seine Zukunft im Jazz und in der Improvisation liegen könnte.

Doch bis zu der endgültigen Entscheidung und einem Studium an der Kölner Musikhochschule war es noch ein langer Weg, der jedoch für ihn unmerklich durch den Alltag seiner Eltern geprägt wurde. So wurden durch den Plattenschrank seines Vaters die musikalischen Avantgardisten Karlheinz Stockhausen, Nam June Paik und John Cage zwar zu den Helden seiner Kindheit und Jugend, doch gleichzeitig entfernten sie ihn auch von seinen Mitschülern, die damit wenig anzufangen wussten.

"Erhebend und erschütternd", wie er es heute formuliert, waren für ihn die Künstler der Fluxus-Bewegung Wolf Vostell und Mary Baumeister. Als 14-Jähriger meldete er sich beim Bundesjugendjazzorchester in Trossingen an und wurde tatsächlich in den Reigen der schon zu dieser Zeit "ganz großen" Musiker aufgenommen.

Dass ihn der damalige Orchesterchef Peter Herbolzheimer gut leiden konnte, berichtet er gerne, obwohl er damals schon nach kurzer Zeit am liebsten wieder nach Hause gefahren wäre. Doch sein Vater bestimmte, dass er nun auch die zehntägige Arbeitsphase durchhalten müsse.

Heute ist er ihm nicht nur dafür dankbar. Mit 15 Jahren durfte er auch die Schule wechseln, in der er zunehmend Schwierigkeiten bekam. Nicht zuletzt durch seinen Widerstand jeglichen Autoritäten gegenüber. Erst auf dem Musikgymnasium in Köln blühte er wieder auf und war plötzlich kein Exot mehr, sondern einer unter vielen.

Dem Anschein nach leitete die neu gewonnene Freiheit das kurze, aber nicht weniger ernst gemeinte Zwischenspiel mit der Chemie ein: Durch die Begeisterung für die menschlichen und pädagogischen Qualitäten seines afrikanischen Chemielehrers an dem Kölner Humboldt-Gymnasium begann Fritzsche nach seinem Abitur und durch Unterstützung einer Hochbegabtenförderung ein Studium der Anorganischen Chemie in Köln.

Vielleicht faszinierten ihn die klaren Ordnungsprinzipien der Chemie. Denn manchmal erscheinen ihm auch seine kompositorische Arbeit, seine Arrangements und sein experimenteller Umgang mit Tönen und Geräuschen so, als täte er nichts anderes, als eine Struktur in das Chaos der Töne zu bringen.

Obwohl der Ausflug in die Chemie nicht ohne Erfolgserlebnisse ablief, verhinderte die Studienunterbrechung durch den Bundeswehrdienst und die sich 2008 daran anschließende Zulassung zur Musikhochschule in Köln seine Karriere als Chemiker. Hier begann nun der Teil seines Lebens, von dem er sich auch in Zukunft nicht vorstellen könnte, ihn jemals wieder zu verlassen.

Fritzsche wurde Berufsmusiker, studierte aber im zweiten Fach "zur Sicherheit" noch Katholische Theologie für das Lehramt.

Dass er das Zeugnis zu seiner Lehrbefähigung bis heute nicht abgeholt hat, erzählt viel über den 29-Jährigen. Er weiß, was er kann und will und verzichtet dabei auf die, wie er findet, unwichtige Zertifizierung durch Autoritäten, die er nicht anerkennt. Für ihn geht es in der Schule nicht mehr um Bildung, sondern vielmehr um die "Ausführung unausgegorener Reformen".

Trompete, Klavier und seine Gesangsstimme benutzt der Waldorfer als Ausdrucksmittel all seiner Gemütslagen.Wer im Internet nach ihm sucht, wird schnell fündig und kann dabei einen noch sehr jungen Musiker entdecken, der mit starrem Blick in die Kamera Medleys aus den 20er Jahren singt oder seine Bewunderung für Helge Schneider zum Ausdruck bringt.

Eine komödiantische Zukunft hätte ihm vorausgesagt, wer ihn als Bo-Bo-Boss oder als Hagen "Never Ever Shake a Snake" ("Schüttle niemals eine Schlange") singen hört und sieht. Doch davon will er heute nichts mehr wissen. Heute leitet er mit großer Begeisterung Chöre im Vorgebirge, singt und spielt mit bis zu 260 Auftritten im Jahr in der erfolgreichen Kölsch-Band "Kuhl un de Gäng" und in der Blechbläserformation der "Drachenfelser", mit denen er vor kurzem von einer Amerika-Tour zurückgekommen ist. Zudem arbeitet er an Kompositionen für ein acht Mann starkes Blasorchester, mit der er seine erste eigene CD auf den Markt bringen will.

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