Tapfer gegen das Nazi-Regime aufgestanden Manfred Lütz liest in Bornheim aus seinem Buch

Bornehim · Manfred Lütz liest in Bornheim aus seinem Buch "Als der Wagen nicht kam". Es sind die Memoiren seines Großonkels Paulus van Husen, der als "vergessener" Widerständler der Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg gilt.

 Manfred Lütz steht in seinem Haus neben einem Gemälde seines Großonkels Paulus van Husen.

Manfred Lütz steht in seinem Haus neben einem Gemälde seines Großonkels Paulus van Husen.

Foto: Matthias Kehrein

Paulus van Husen gilt als "vergessener" Widerständler der Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am 20. Juli 1944 das Attentat auf Adolf Hitler ausgeführt hat. Der 1891 geborene van Husen war der Großonkel von Manfred Lütz, dem in Bornheim-Merten lebenden Arzt, Theologen und Bestsellerautor. Der 65-Jährige hat die Memoiren seines Großonkels unter dem Titel "Als der Wagen nicht kam" neu herausgegeben und mit einem ausführlichen Vorwort versehen.Am Dienstag, 5. November, liest er ab 19 Uhr bei freiem Eintritt im Bornheimer Rathaus.

Sie beschreiben Ihren Großonkel als "kantig", er überrascht aber auch mit leichtem, ironischem Schreibstil. Was war Paulus van Husen für ein Mensch?

Manfred Lütz: Ich habe ihn zwar nie persönlich kennengelernt, aber Sie haben ganz Recht: Er hat einen tollen, auch witzigen Stil, obwohl es ja zum Teil um dramatische Situationen geht. So kann man regelrecht erleben, wie unheimlich das ist, wenn man langsam in eine rechte Diktatur gleitet.

Wie haben Sie seine Memoiren entdeckt?

Lütz: Ich bin sein Erbe und fand sie tief unten in einem Schrank als verschnürten Papierstapel.

Warum hat er sie nicht selbst publiziert?

Lütz: Er wollte niemand Lebendem schaden, denn er urteilt ziemlich taff über Leute.

Worin liegt der historische Wert seiner Memoiren?

Lütz: Sie sind eine unschätzbare Quelle für viele Begebenheiten, deren andere Zeugen ermordet wurden. Er war als einziger dabei, als Stauffenberg versuchte, vor dem 20. Juli 1944 Oberst Meich᠆ßner dazu zu bewegen, das Attentat auszuführen. Der aber lehnte ab. Paulus van Husen begegnete Goebbels, Keitel, Heydrich, war im Kreisauer Kreis Mitverschwörer gegen Hitler, überlebte als einer der wenigen, wurde nach dem Krieg Mitbegründer der CDU und NRW-Verfassungsgerichtspräsident. Auch wie Adenauer ihm ein Angebot machte, das man eigentlich nicht ablehnen konnte, all das ist beschrieben wie ein Krimi.

Warum haben Sie die Memoiren jetzt nochmals veröffentlicht, nachdem bereits seit 2010 eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe vorliegt?

Lütz: Die Veröffentlichung von 2010 hat die für Wissenschaftler interessanten Teile herausgesucht, mir kam es auf die spannend erzählten Teile an.Er gilt als "vergessener" Widerständler in der Gruppe um Stauffenberg.

Warum?

Lütz: Als seine Autobiografie fast 70 Jahre nach dem 20. Juli 1944 bekannt wurde, waren die Aufzeichnungen der anderen Widerstandskämpfer schon längst erschienen. Er selber hat aus seinem Widerstand kein Aufhebens gemacht.

Wie hat er die Nazis "ausgetrickst", wie Sie schreiben?

Lütz: Das war eine tolle Szene im Hauptquartier der NSDAP, wo er es schaffte, dass die Partei alle Waffen abgeben musste und eine ganz unheimliche Situation, in der er dem SS-Mörder Heydrich ins Angesicht widerstand.

Auf welchen Wagen wartete Paulus van Husen vergeblich?

Lütz: Wäre das Attentat gelungen, wäre er von einem Wagen abgeholt worden, weil er nach dem Umsturz als Staatssekretär im Innenministerium vorgesehen war. Aber das Attentat scheiterte und deswegen kam der Wagen nicht.

Warum ist Paulus van Husen ein Vorbild?

Lütz: Weil er tapfer gegen das Naziregime aufgestanden ist, das Millionen von Menschen ums Leben gebracht hat. Dafür hat er sogar sein Leben eingesetzt. Dennoch spricht er sich in seiner Autobiografie nicht selber heilig. Eine der berührendsten Stellen des Buches ist die Textpassage, in der er, der sich immer wieder für Juden eingesetzt hat, sich vorwirft, nicht noch mehr für Juden getan zu haben. Weil die Abwägung zwischen vernünftiger Vorsicht und Feigheit in einem totalitären Regime so schwierig sei, seien jetzt sechs Millionen Juden tot.Sie schreiben, es sei wichtig, die Erinnerung an die Gefahren menschenverachtender Überzeugungen wachzuhalten.

Fühlen Sie sich durch die Morde von Halle und Kassel in tragischer Weise bestätigt?

Lütz: So würde ich das nicht sagen, aber tatsächlich beobachte ich mit Grausen, dass die ganze braune Soße in Deutschland wieder hochkommt. Schon mein Großonkel war erschüttert, dass überall wieder die alten Nazis zu Amt und Würden kamen.

Was machte den loyalen preußischen Staatsdiener zum Widerstandskämpfer?

Lütz: Das offensichtliche Unrecht, das den nationalsozialistischen Staat zum Unrechtsstaat machte. Dabei war wohl die menschenverachtende Behandlung der Juden für seinen Widerstand besonders motivierend.

Hatte Ihr Großonkel als Katholik Gewissensbisse, sich an einem Tyrannenmord zu beteiligen?

Lütz: Man hat darüber noch bis kurz vor dem Attentat gesprochen. Am 14. Juli 1944 trafen sich Mitverschwörer mit Stauffenberg in der Wohnung meines Großonkels in Berlin und sprachen über diese Frage. Da habe sich Stauffenberg wohl die letzte Rechtfertigung für seine Tat geholt, meint Paulus van Husen. Er war überzeugt, dass der Tyrannenmord in diesem Fall nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten sei, um noch mehr Morde zu verhindern. Dennoch hat er nach dem Attentat seine Beteiligung einem Priester gebeichtet.

Welche Rolle spielte er in der Gruppe um Stauffenberg?

Lütz: Er war juristischer Experte und behandelte vor allem die Frage des Umgangs mit den so genannten "Rechtsschändern". Es gab nämlich das Problem, dass man ja eigentlich juristisch nur Menschen bestrafen konnte, die gegen Gesetze verstoßen hatten. Im nationalsozialistischen Staat gab es aber unrechte Gesetze, vor allem unrechte Führerbefehle, die Gesetzeskraft hatten. Paulus van Husen plädierte dafür, dennoch Menschen zu bestrafen, die zwar nicht explizit gegen Gesetze verstoßen hatten, aber etwas offensichtlich Unmoralisches verbrochen hatten.

Wie verkraftete er das halbe Jahr im KZ Ravensbrück und die Misshandlungen während der Verhöre?

Lütz: Sein katholischer Glaube hat ihn getragen. Als er mit dem später ermordeten ehemaligen württembergischen Staatspräsidenten Bolz vom Gefängnis in Berlin ins KZ Ravensbrück gefahren wird, war beiden verboten worden zu reden. Plötzlich brüllt der SS-Mann: "Hören Sie auf zu reden!" Er: "Wir haben nicht geredet. Ich bete Rosenkranz". Der SS-Mann: "Das wird Ihnen auch nicht helfen". Am KZ sehen sie eine Gruppe Häftlinge, der Fahrer bremst. Der SS-Mann: "Fahr sie doch über den Haufen, ob sie jetzt sterben oder in acht Tagen, ist doch egal". Als dann Paulus van Husen im KZ wieder alle seine Sachen zurückgeben muss, gibt man ihm das Notwendige zurück, aber nicht den Rosenkranz. Da tritt der SS-Mann vor, nimmt den Rosenkranz und gibt ihn ihm gegen den Widerstand der KZ-Leute.

Paulus van Husen war Mitbegründer der CDU. Wie hat er Adenauer erlebt?

Lütz: Adenauer wollte ihn zum Staatssekretär machen und deswegen hatte er ein Gespräch mit ihm. Er war beeindruckt von der Ruhe und Umsicht Adenauers.Würde er sich heute in der CDU zurechtfinden?Lütz: Er würde die Partei nicht wiedererkennen. Er trat vor allem für die konfessionelle Schule ein und hielt mit seinen katholischen Positionen nicht hinter dem Berg.Die Lesung: Auf Einladung des Bornheimer Kulturforums liest Manfred Lütz aus dem Buch "Als der Wagen nicht kam". Die kostenfreie Lesung beginnt am Dienstag, 5. November, um 19 Uhr im Bornheimer Rathaus, Einlass in den Ratssaal ist ab 18 Uhr.

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