Novemberpogrom vor 79 Jahren Bornheim erinnert an Reichspogromnacht

Bornheim · Am 10. November 1938 verwüsten Nazis die Metzgerei der jüdischen Familie Loeb aus Bornheim. In einer Gedenkveranstaltung am Freitag erinnern die Stadt, die christlichen Kirchen und die weiterführenden Schulen an den Novemberpogrom.

Es ist ein warmer und schöner Tag. Die Schwestern Frida und Henriette Hildegard Cahn aus Bornheim tragen weiße Kleidchen mit Spitzenbesatz und kurzen Ärmeln. Vater Isidor hat sich für einen dunklen Anzug und Hut, wie sich das für einen Herrn gehört, entschieden. Seine Frau Franziska, gebürtige Loeb, hat an diesem Tag ein dunkles Kleid gewählt. Alle Familienmitglieder wirken glücklich auf der Schwarz-Weiß-Fotografie, die dem Bornheimer Stadtarchiv vorliegt und ungefähr auf das Jahr 1925 datiert wird.

Die Eltern sitzen in einer kleinen Eselskutsche. Tochter Frida auf dem Bock, neben sich die Peitsche, und Tochter Henriette Hildegard auf dem Esel. Lächelnd blicken die vier in die Kamera. Es ist eine Erinnerung an einen Familienausflug ins Grüne, an einen ruhigen Tag. An einen Tag, an dem die Mitglieder der jüdischen Gemeinde im Ort entspannt leben und arbeiten können.

Aber die Zeiten werden unruhiger, der Ton gegenüber der jüdischen Bevölkerung rauer und verachtender. Die Abneigung gegen Juden gipfelt schließlich in den Pogromen, die deutschlandweit in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den Nationalsozialisten verübt werden – auch in Bornheim.

Jüdische Einrichtungen werden gezielt angegriffen

Während der heftigen und brutalen Krawalle der „Braunhemden“, wie sie von der Bevölkerung auch genannt werden, werden gezielt jüdische Geschäfte, Synagogen und andere Einrichtungen, die Juden gehören oder von ihnen betrieben werden, zerstört und sogar angezündet.

Auch die Metzgerei von David Loeb, Franziska Cahns Vater, in der Brunnenstraße bleibt nicht verschont. Nazis schlagen seinen Laden kurz und klein. Binnen Sekunden verliert die Familie ihre wirtschaftliche Existenz. Zeuge dieses gezielten Anschlags ist ein kleiner Junge namens Peter Berrisch. Peter ist gerade mal fünf Jahre alt. Er beobachtet die Ausschreitungen aus dem Dachfenster des Hauses seiner Verwandten, das direkt vis-à-vis der Metzgerei Loeb liegt. Eigentlich soll sich Peter von einer Krankheit erholen, aber er kann nicht wegschauen. Die Zerstörungswut der Nazis ist so immens, dass sich die Bilder für immer in sein Gedächtnis einbrennen und er sie nicht mehr los wird.

An diesem Freitag berichtet er als Zeitzeuge Schülern und anderen Interessierten vom Novemberpogrom vor 79 Jahren in Bornheim (siehe Infokasten). Für die Familien Loeb und Cahn sind die Übergriffe unverständlich. Schließlich sind sie doch Teil des gesellschaftlichen Lebens wie alle anderen Bornheimer auch. Franziska Cahns Mann Isidor engagiert sich mit dem Bekannten Jakob Goldstein, der auch jüdischen Glaubens ist, sogar bei der Bornheimer Feuerwehr – und das schon zu Zeiten Kaiser Wilhelms II.

Nur wer flieht, überlebt

Jakob Goldstein arbeitet in Bornheim als Schuhmachermeister. Mit seiner Frau hat er drei Töchter: Henriette, Rosa und Elisabeth. Die ersten beiden emigrieren nach England, während Vater Jakob ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wird. Seine Frau stirbt im Ghetto Theresienstadt, Elisabeth töten die Nazis in dem Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) im heutigen Polen. Auch Isidor Cahn und seine Frau Franziska überleben den Holocaust nicht. Tochter Henriette Hildegard flieht mit ihrem Ehemann Arthur Jakob Hoffmann in die Niederlande, beide werden ebenfalls nach Auschwitz deportiert und umgebracht.

Unklar ist das Schicksal von Frida, der Jüngsten der Familie Cahn. Ihr Name taucht weder unter denen der Opfer auf, die in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel genannt werden, noch in der Datenbank des Gedenkbuches des Bundesarchivs. Dafür steht fest, was aus ihrem Onkel Joseph Loeb, Bruder ihrer Mutter, wurde. Er überlebte den Völkermord als Zwangsarbeiter bei der Reichsbahn in Berlin.

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