Ungewöhnlicher Nebenjob So ist der Job als Aktmodell

Alfter · Helmut Lorscheid, Journalist aus Bonn, lässt sich von Kunststudierenden der Alfterer Alanus Hochschule malen und modellieren. Mittlerweile ist dieses Hobby zu seiner zweiten Einkommensquelle geworden. Ein Porträt.

Inmitten von acht Kunststudierenden hat Helmut Lorscheid im Bildhaueratelier der Alanus Hochschule seinen Platz. Für die Akteure ein ganz normaler Studientag. Auch für den 63-jährigen freien Journalisten gehört es inzwischen zum Alltag, sich nackt auf das Modellpodest zu stellen.

Seit mehr als 16 Jahren verharrt der Bonner auf Wunsch für Maler, Fotografen oder Bildhauer als Aktmodell in Alfter, Bonn, Berlin und Wuppertal stundenlang in der gewünschten Pose. Gerade hat ein neuer Kurs in der Alanus Hochschule begonnen, in dem er sechs Wochen lang täglich vier Stunden für die Studentinnen und Studenten stillhalten wird.

Den menschlichen Körper zu zeichnen oder zu modellieren, ist Teil eines jeden Kunststudiums. „Meine unsportliche Erscheinung, 170 Zentimeter groß, 82 Kilogramm schwer, dünne Arme und dicker Bauch würden sich nicht für eine Model-Tätigkeit eignen“, schreibt Lorscheid in einer Selbstdarstellung.

Das lebensgroße Arbeiten ist für die Studenten „total spannend“

„Gerade bei einem älteren Mann ist es total spannend, zu sehen, wie die Schwerkraft wirkt, was bei einem jungen drahtigen Mann oder auch einer jungen Frau noch nicht zu erkennen ist“, sagt Ralf Kosmo (49), Masterstudent der Bildenden Kunst. Bei dem gelebten Körper verschiebe sich der Nacken, und der Kopf komme nach vorne. Für ihn ist es ein wesentlicher Prozess, die Erfahrung zu machen, wie er aus der reinen Naturstudie heraus zu einem künstlerischen Schaffen kommt.

Das lebensgroße Arbeiten ist auch für Katharina Rauscher, die im dritten Semester Bildhauerei studiert, „total spannend“. Sie befindet sich bereits einem deutlich zu erkennenden Lorscheid aus Ton gegenüber. „Ich hatte das Gefühl, ich biege mit meinem Ton die Knochen“, sagt sie respektvoll. „Man setzt sich bei dem Kunstschaffen ja immer auch mit sich selber auseinander, und es kann noch einmal stärker sein, wenn man dabei mit einem Modell ein Gegenüber hat.“

Es sei eine sehr körperliche Arbeit, mit den zähen und schweren Tonmassen zu arbeiten. Aber es habe auch etwas Entspannendes, einen vorhandenen Körper nachzubilden. „Man muss sich die Form nicht selber erarbeiten, sondern man kann gucken, was da ist.“ Von daher sei es ein eher leichter künstlerischer Prozess, so Rauscher. Helmut Lorscheid kennt die 23-Jährige bereits aus Mappenkursen, in denen es beim Aktzeichnen um das Studieren von Proportionen, Kurven, Schatten und Eigenhaftem des menschlichen Körpers geht. Sie findet es sehr mutig von ihm, Aktmodell zu stehen.

„Wenn ich das tun würde, dann wahrscheinlich nur in jungen Jahren, wo man sich vielleicht auch zeigen möchte.“ Nach kurzem Nachdenken fügt sie korrigierend hinzu: „Aber es ist ja auch viel spannender, den wirklichen Menschen zu zeigen, egal in welcher Lebensphase er sich befindet. Und gerade ältere Menschen bekommt man ja kaum zu sehen. Überall sieht man immer nur junge und schöne Menschen.“

Auch ihre Kommilitonin Christiane Wünsch (24) erlebt den Körper an sich als etwas Natürliches und nicht als etwas, das schamhaft verborgen werden müsste. Für sie hat das Modellieren nach einem Modell nichts Erotisches. Vielleicht wird ihre Mutter darauf einen anderen Blick bekommen, falls das Lorscheid-Werk ihrer Tochter in Beton gegossen ihren Garten schmückt.

Nicht immer erkennt sich Helmut Lorscheid in den Darstellungen

Helmut Lorscheid ist es gewohnt, sich an vielen Orten immer wieder selber zu begegnen. Er ist in unzähligen Ausstellungen zum Kunstobjekt geworden. Nicht immer hat er sich in den Darstellungen wiedererkannt.

„Weißt du, warum die hier nur ahle Männer ausstellen?“, erinnert er sich an die Frage einer Ausstellungsbesucherin, der nicht klar war, dass es sich immer nur um ein und dieselbe Person, nämlich ihn, handelte. So brachte auch die Arbeit eines chinesischen Studenten, der ihn mit Augen mit besonders schmaler Lidspalte und schwarzen Stoppelhaaren zeichnete, die damalige Dozentin zu der inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Frage: „Wo ist Helmut?“. Daraus entstand an der Alanus Hochschule eine Ringvorlesung gleichen Titels, die sich mit der unterschiedlichen Wahrnehmung von Realität beschäftigte.

Auch für den Journalisten Lorscheid ist das ein spannendes Thema. Inzwischen ist sein Modellstehen zur zweiten Einkommensquelle geworden. Auch wenn es manchmal anstrengend sei, mache es ihm immer noch Freude. Auf die Nachfrage, dass es doch weitaus schwierigere Posen gebe, als mit verschränkten Armen „locker“ dazustehen, schüttelt er wissend den Kopf. Auch bei einfachen Posen könnten Füße oder Arme einschlafen.

Was er dagegen tue? „Denken.“ So sei es ihm beispielsweise schon gelungen, eine 30 Minuten dauernde Pose in Gedanken herunterzuzählen. „Ich habe es bis auf zwei Sekunden genau geschafft“, sagt Lorscheid und lacht.

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