Alfter im Zweiten Weltkrieg Kurz vor Mittag kamen die Amerikaner

ALFTER · Den Weg nach Alfter bahnte sich ein US-Stoßtrupp durch den Wald. In Witterschlick vermitteln am 8. März 1945 Kekse und Schokolade das Bild des Befreiers.

Es ist Donnerstag, der 8. März 1945. Schon seit Tagen ist die scheinbare Normalität in Alfter einer Stimmung aus Angst und Ungewissheit gewichen. Nur noch wenige trauen sich in dem 4000-Einwohner-Ort auf die Straße. Bereits seit Januar dringen die Armeen der Alliierten im Westen und Osten Deutschlands vor. Und nachdem am 3. März das hinter dem Wald gelegene Heimerzheim zum Ziel der US-Luftwaffe wurde, rechnen nun auch die Alfterer mit dem Schlimmsten.

Einer der Geistlichen im Dorf, Kaplan Gottfried Stein, nimmt die Situation zum Anlass, um Familien, die er gut kennt, zu besuchen. So wie die Dreesens aus dem Olsdorfer Kirchweg, dem heutigen Olsdorf. "Ich habe die weiße Fahne bereit. Wenn die Amerikaner da sind, kommt die auf den Kirchturm", vertraut er ihnen an. Worte, die der damals elfjährige Christian Dreesen nicht vergessen hat. Auch, wenn er da noch nichts von deren Bedeutung ahnte.

"Zu der Zeit lebten wir nachts mit zwei, drei Familien in einem Kellerraum. Da stand ein Herd, wo jeder für sich kochte", erinnert sich Dreesen, Eigentümer des Herrenhauses Buchholz. Geschlafen wurde auf Versteigerungskisten, auf die Matratzen und Decken gelegt wurden. "Raus durften wir da gar nicht mehr."

Entsprechenden Ärger handelt sich der Zweitälteste von vier Brüdern ein, als er für Frau Hennes, Inhaberin des Kolonialwarengeschäfts am Strangheidgesweg, einen Eimer Wasser holt. "Es gab kein Wasser. Entweder musste man zu einem Brunnen oder zu den vereinzelten Pumpen in der Nachbarschaft, was beides gefährlich war."

Auch kurz vor Mittag des 8. März nimmt es Christian Dreesen mit der mütterlichen Anweisung nicht allzu genau und wird so Zeuge des Einmarschs der Amerikaner in Alfter. "Ich habe noch genau vor Augen, wie ich mit meinem Bruder Matthias bei uns am Tor stehe. Schließlich interessierte es uns, wann es soweit wäre."

Plötzlich sehen die beiden am Wald, "aus Richtung Dünstekoven, Heimerzheim kommend, vorbei am Sportplatz, Personen huschen". Um ins Dorf zu gelangen, benutzt der Stoßtrupp von vier bis fünf Männern, den die Brüder anhand der Sturmgewehre und der Form der Stahlhelme als Amerikaner identifizieren, den Strangheidgesweg.

"Die Amerikaner sprangen von Tor zu Tor, immer Deckung suchend und riefen ''prisoner of America'' - amerikanischer Gefangener", blickt Dreesen zurück. "Wir waren gerade einmal 150, 200 Meter davon entfernt." Dramatisch wird das Ganze, als vom Görreshof aus deutsche Soldaten den Trupp kreuzen und die Amerikaner zu schießen beginnen.

"Nach zwei Gewehrsalven sind wir abgehauen", erzählt Dreesen. Schnell laufen die Brüder die Kellertreppe hinunter zu dem evakuierten Dechanten Wilhelm Fabry aus Gierbelsrath/Düren. Kaum hat der Dechant die Treppe betreten, taucht ein amerikanischer Soldat am Tor auf. Dreesen: "Als er den römischen Kragen Fabrys erkannte, kam er auf ihn zu, knöpfte sein Hemd auf, zeigte ein Kreuz oder einen Rosenkranz und wurde von ihm gesegnet."

Über Mittag beruhigt sich die Lage. Der amerikanische Schusswechsel forderte, wie es heißt, nur einen verletzten deutschen Soldaten, der in der Küche der Familie Nolden am Görreshof sitzt und per Leiterwagen von Maler und Sattlermeister Hubert Schmitz zum Lazarett in der alten Sparkasse, Ecke Holzgasse/Kronengasse, transportiert wird.

Februar, März 1945 in Witterschlick. "Viele zerlumpte Soldaten kamen abgekämpft und müde, teilweise mit ihren Lastwagen hier durch", schreibt der 70-jährige Ur-Witterschlicker Bernd Schwindt in seinen Erinnerungen. Sie haben den Befehl, sich auf die andere Rheinseite durchzuschlagen, um dort eine neue Verteidigungsfront aufzubauen.

An den propagierten Sieg der Deutschen glaubt in dem Ton-Ort spätestens seit dem "Schwarzen Tag von Witterschlick" kaum noch jemand. Jenem 4. Februar 1944, als ein englisches Geschwader auf dem Rückflug seine letzten Bomben über dem Ort abwarf, neun Menschen - darunter zwei Kinder - starben, und zahlreiche Häuser sowie das Schiff der Pfarrkirche dem Erdboden gleichgemacht wurden. Unbeschädigt blieb dagegen der Kirchturm, dessen Uhr jahrelang auf 12.40 Uhr stand.

Seit Anfang März 1945 hält sich hartnäckig das Gerücht, dass "die Amis" kommen. In Rheinbach, Flerzheim und Buschhoven sollen sie schon sein, in Witterschlick werden sie stündlich erwartet. Besonders von dem vier, fünf Jungen zählenden "Begrüßungskommando" um Bernd Schwindt. "Neugierig wie wir waren, liefen wir ins Oberdorf in ''de Hött''. Wir standen etwa dort, wo heute die Turnhalle steht, als wir die Amis kommen sahen. Im Gänsemarsch mit schussbereitem Gewehr kam eine Fußtruppe die Viehgasse, heute Wilde Straße, herunter. Wir blieben ganz still stehen, um abzuwarten, was passieren würde", so Schwindt.

"Einige Anwohner wie die Familien Geuer, Hammelmann und Lützenkirchen kamen mit weißen Fahnen und Tüchern aus ihren Häusern." Die Amerikaner reagieren mit Winken auf die offensichtlichen Friedenszeichen und schenken den Jungen Kekse und Schokolade. Schwindt: "Da wussten wir, dass es Befreier und keine Besatzer sind."

Gut zwei Wochen bleiben die Amerikaner vor Ort, die das Haus der Schwindts in der Duisdorfer Straße besetzt haben, weil es einen guten Ausblick zum Hardtberg hat. "Man befürchtete noch immer einen deutschen Angriff von dort aus und installierte große Fernrohre, Maschinengewehre und Funkgeräte."

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