Kitas im Rheinland Von der Integration zur Inklusion

Bonn · Es ist fast schon revolutionär, was der Landschaftsverband Rheinland (LVR) im Blick auf die Förderung von behinderten Kindern in den Kitas plant. Denn künftig sollen sie nicht mehr vor allem in integrativen Tagesstätten betreut werden.

Der Verband plant stattdessen, dass alle Kindertagesstätten im Rheinland die Möglichkeit bieten sollen, behinderte Kinder aufzunehmen.

"Von der Integration zur Inklusion", heißt für Jürgen Rolle (SPD), Vorsitzender des LVR-Landesjugendhilfeausschusses, das neue Motto. Gründe für den Paradigmenwechsel sind laut Rolle die von Deutschland 2009 unterzeichnete UN-Forderung nach einer gesellschaftlichen Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und die neue Heilmittelverordnung von 2011.

Danach sollen die Krankenkassen die Kosten der Therapeuten in den Kitas übernehmen. Der LVR selbst plant für jedes behinderte Kind eine jährliche "Kindpauschale" von 5000 Euro.

Die neue Regelung aber hat zahlreiche Erzieherinnen und Therapeutinnen aus integrativen Kitas sowie Eltern auf den Plan gerufen. Denn sie befürchten, dass künftig weniger Zeit für die behinderten, aber auch für nicht behinderte Kinder in ihren Einrichtungen zur Verfügung steht. "Die Kassen werden nur die reine Therapiezeit bezahlen, so dass die Kitas einen strengen Therapieplan machen müssen und die Kinder darunter leiden", sagt Stefanie Precker, die als Sprachtherapeutin im integrativen Montessori-Kinderhaus "Die Wolkenburg" in Bad Honnef angestellt ist.

Als Beispiel nennt sie die Arbeit mit einer Zweijährigen mit Down-Syndrom. Vor Beginn der Therapiezeit gehe sie in die Gruppe, spiele ein bisschen und gehe dann mit ihr in einen Nebenraum. "Das kann schon mal 15 Minuten dauern, bis die eigentliche Therapie beginnt", sagt Precker, Zuweilen sei es auch sinnvoll, die Therapie nach zehn statt der üblichen 30 Minuten zu beenden. Das sei aber unproblematisch. "Dann mache ich mit ihr halt am Tag danach weiter, obwohl die nächste Therapiestunde erst ein paar Tage später anstünde", erklärt Precker.

Das System sei sehr flexibel, und es gebe einen kurzen Draht zu den Erzieherinnen. Das wäre so nicht mehr möglich, wenn sie als Therapeutin in mehreren verschiedenen Kitas tätig sei. "Außerdem gucken wir auf alle Kinder." Wenn ein nicht behindertes Kind den t- und den k-Laut nicht unterscheiden könne, dann befasse sie sich spielerisch mehr mit ihm, mache ein paar Übungen zur Mundmotorik - "und oft ist das Problem in ein paar Monaten behoben". Die Kasse hätte dafür sicher kein Geld, meint Precker, die seit 17 Jahren in der Wolkenburg tätig ist. Gemeinsam mit rund 100 Eltern, Pädagogen, anderen Therapeuten und auch Kindern machten sie am Donnerstag bei der Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses in Köln auf die Probleme mit der neuen Regelung aufmerksam.

Größere Schwierigkeiten fürchten die in den Kitas angestellten Motopäden, denn diese Therapeuten haben keine Kassenzulassung. "Unser Berufsstand ist gefährdet", sagt Martina Köffers, die im Emmaus-Kinderhaus im Bonner Stadtteil Brüser Berg angestellt ist. Bei den meisten ihrer Berufskolleginnen sei es ähnlich. Die Motopädie sei deshalb so wichtig, weil dabei das "bewegte, freudvolle Spiel" im Vordergrund stehe und so eher funktionsorientierte Methoden, wie sie ursprünglich in Physio- oder Ergotherapie zu finden sind, ergänze, sagt Köffers. "Gerade in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern" hätten Motopäden einen besseren Zugang als Physiotherapeuten.

Er könne die Sorgen der Therapeuten, der Kitas und der Eltern gut verstehen, sagt der Ausschussvorsitzende Rolle und fügt hinzu, "wir lassen die Therapeuten nicht im Stich". Sollte es bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen über die Therapieleistungen Schwierigkeiten geben, werde er Ministerpräsidentin Hannelore Kraft einschalten. Sollten die Motopäden weiterhin keine Kassenzulassung erhalten, so Rolle, sollen sie dadurch eine Perspektive bekommen, dass ihre Arbeit über mehrere Kindpauschalen von jeweils 5000 Euro finanziert werde.

In der Sitzung des Landschaftsausschusses am 6. Dezember soll die neue Regelung beschlossen werden. Umgesetzt werden soll sie ab dem Kindergartenjahr 2014/15.

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