Soldatin aus Region fliegt nach Afghanistan

Im General-Anzeiger spricht die 24-Jährige über Ängste, Erwartungen und Weihnachten - Vor dem Aufbruch ins Ungewisse

Soldatin aus Region fliegt nach Afghanistan
Foto: privat

Bonn. Die aktuelle Gefühlslage der jungen Frau ist schwer zu beschreiben. Sie ist aufgeregt. "Ich werde so langsam immer nervöser", sagt sie. Ängstlich nervös?. "Nein. Es ist ein bisschen wie vor ..." - sie stockt. Wohl wissend, dass der Vergleich "vor einem Urlaub" ihre Gefühle passend beschreibt, aber es wohl keinen unpassenderen Vergleich gibt.

Am Dienstag startet ihr Flieger in Köln. Der Airbus 310 wird sechseinhalb Stunden unterwegs sein. Ziel: Termez/Usbekistan. Nach einer Übernachtung bringt eine Bundeswehr-Transall Feldwebel Nathalie L. dorthin, wo es nicht schaden kann, eine Menge Glücksbringer aus der Heimat mitzunehmen: Afghanistan.

Natalie ist seit 2005 in Daun in der Eifel stationiert. Die 24-Jährige hat eine Spezialausbildung absolviert, deren Nennung "schon zu viel Rückschlüsse auf ihren Einsatz" zuließe. Mehr darf sie nicht sagen. Ihr Name wird auf Wunsch ihrer Vorgesetzten bei der Bundeswehr nicht genannt. Die Erfahrung habe gezeigt, dass man gegen unerfreuliche Post dann manchmal nicht gefeit sei. Drohungen inclusive.

Der Wunsch, Tierärztin zu werden, hat Natalies Schulzeit nicht überdauert. Schon vor dem Abitur an einem Gymnasium im Rhein-Sieg-Kreis war ihr klar, dass es ein Job bei BGS, Polizei oder Bundeswehr sein sollte. "Und auch da kam nie ein reiner Bürojob in Frage", sagt sie und schüttelt dazu den Kopf. Die Möglichkeit, in ein Krisengebiet zu müssen, war von Anfang an kein Hinderungsgrund. "Im Gegenteil, ich will Verantwortung übernehmen."

Ihre Eltern Elke und Hans waren von ihrem Berufswunsch überrascht, stärkten ihr aber immer den Rücken. Schon 2005, als Afghanistan für die ganze Familie noch weit weg war. Umso mehr heute, je näher die Krisenregion rückte. Das, was ihren Eltern derzeit das Leben schwer macht, wird ein bisschen durch den Stolz auf die Tochter aufgefangen: "Sie ist Soldatin, weil sie dahinter steht. Das tun nicht alle", sagt ihre Mutter und stellt eine Kanne Tee auf den herbstlich geschmückten Tisch.

Am Dienstag hat Elke L. Geburtstag. Ausgerechnet. Sie will den Tag so normal verbringen wie möglich, "aber zum Flughafen fährt sie mich nicht", sagt die Tochter, "dann muss sie weinen, hat sie gesagt." Der Wind bläst über die Voreifel, die letzten Blätter an den Bäumen rascheln und ein Windspiel erledigt seinen Job ein bisschen zu idyllisch für das Gesprächsthema. Auf dem Balkon zündet Natalie sich eine Menthol-Zigarette an.

"Es gibt sogar meine Sorte im Lager-Shop - hab ich rausgefunden", sagt die junge Frau und zeigt auf die grüne Schachtel. Alles was es nicht gibt, sie aber für dringend notwendig hält, hat sie in einer großen Metallkiste bereits vorausgeschickt. Dienstliches: Vier Sätze Uniformen, Bundeswehr-Unterwäsche, Schlafsack - was man so benötigt.

Und Privates: "Meine eigene Bettwäsche, Sportsachen, Fotos von meiner Familie, meinen Freundinnen und meinem Freund und viele Bücher", erklärt sie. Familiengeschichten von Jodi Picoult liest sie am liebsten. Schminkutensilien sind nicht in dem Metallkoffer: "Die brauche ich nicht. Ich muss da keinem gefallen." 50 Kilogramm durfte die Kiste wiegen. Die von Natalie war viel leichter, inzwischen weiß sie, warum.

"Ich habe noch einen Rucksack und mein Handgepäck - mit Laptop. Aber es gibt jetzt schon Dinge, die meine Mutter mir hinterher schicken muss." Die Feldpost benötigt fünf bis sieben Tage, vor Weihnachten länger. Von Afghanistan-Rückkehrern hat Natalie gehört, dass man das Briefeschreiben wieder schätzen lernt und dass man Neid entwickeln kann, wenn andere mit ideellen Werten in Päckchenformat von dem kleinen Lager-Postamt zurückkommen und man selbst leer ausgeht.

Ein halbes Jahr ist vergangen, seit Natalie sich freiwillig für den Einsatz meldete. Fünf Monate lang wurde sie gemeinsam mit ihrem Kontingent - insgesamt 60 Personen - speziell vorbereitet. Land und Leute, Geschichte und Kultur standen ebenso auf dem Ausbildungsplan wie Schusswaffentraining und und Erste Hilfe, Verhalten im Konvoi oder bei Geiselnahmen und eine Fahrschulausbildung für die Spezialfahrzeuge in Afghanistan.

Bis auf wenige Ausnahmen werden zwischen Mitte Oktober und Mitte November die derzeit mehr als 4 200 in Afghanistan stationierten Bundeswehr-Soldaten abgelöst - fünf Prozent davon sind Frauen. In jeder Maschine, die von Köln-Wahn aus aufbricht, sitzen 180 Soldaten. Ihr Einsatz wird planmäßig vier bis viereinhalb Monate dauern.

Natalie wird mit zwei Kameradinnen in einem Container von durchschnittlicher Raumgröße untergebracht sein und im Schichtdienst arbeiten. Dass sie die Kenntnisse über Land und Leute vertiefen wird, ist unwahrscheinlich. Das Entfernen vom Lager oder den Konvois ist lebensgefährlich. Dennoch gibt es für manche Soldaten Begegnungen mit Afghanen bei Patrouillenfahrten in die Dörfer.

Gegen den Lagerkoller helfen: Fitness-Studio, Betreuungseinrichtungen, Kicker, Bar, Pizzeria, Fernsehen, Internet. Und der Glauben. Die Lager-Kirche im Lager in Masar-i-Scharif befindet sie sich in einem Zelt, hat großen Zulauf und sogar einen Kirchenchor. Die Situation steigert die Bedeutung der Religion oder des Glaubens.

Die harte Zeit kommt mit dem 24. Dezember. "Weihnachten soll dort sehr schön sein. Die Kameraden haben gesagt, dass ich zu Hause nicht vermissen werde. Es ist sogar schon Wichteln geplant und es gibt die Kirche, die man immer besuchen kann, zu Weihnachten ist sie natürlich voll", sagt Natalie. Es klingt ein bisschen als hoffe sie, dass es schon nicht so schlimm werden wird, die Feiertage ohne ihre Lieben zu verbringen.

Weiße Weihnachten sind im afghanischen Winter wahrscheinlicher als in Deutschland. Den Rest fürs Fest fliegt die Bundeswehr ein: Tannen, Dominosteine, Lebkuchen, Glühwein. Es gibt einen Weihnachts-Basar, an dem sich auch die anderen Nationen im NATO-Lager beteiligen. Natalie weiß aber genau, dass sich das Heimweh spätestens beim Öffnen der Weihnachtspost klammheimlich aus dem Päckchen schleichen wird.

Wenn ihr Vater zu Hause gegen die Familien-Tradition ohne sie den Baum schmücken muss, werden die Glücksbringer und Andenken am Hindukusch eine Menge Arbeit bekommen. Ein Kreuz von ihren Eltern, das sie schon lange besitzt, nimmt Natalie mit, ein kleines Stofftier von den Kameraden. "Mein Freund hat auch irgendwas vorbereitet und meine Freundinnen kommen später noch, um sich zu verabschieden", sagt sie und ihre Augen glänzen ein bisschen feucht. "Wenn Weihnachten erst überstanden ist", ist Nathalie überzeugt, "kann der Geburtstag nicht mehr so schlimm werden." Sie wird am 27. Dezember 25.

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