Frauenhäuser in der Region Im Rhein-Sieg-Kreis fehlen Schutzräume für Frauen

Rhein-Sieg-Kreis. · Seit 1981 ist der 25. November der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Auch in der Region fehlt es an Schutzräumen für Frauen. Wir haben mit einer Frau gesprochen, die im Troisdorfer Frauenhaus gelebt hat.

 Wenn Frauen mit wenig Hab und Gut vor der Tür stehen werden sie herzlich von Julia Weimann und Michiko Park (rechts) empfangen.

Wenn Frauen mit wenig Hab und Gut vor der Tür stehen werden sie herzlich von Julia Weimann und Michiko Park (rechts) empfangen.

Foto: Meike Böschemeyer

Melanie war sechs Jahre alt, als sie ihre Heimat verlassen musste. Sechs Jahre, als sie aus ihrer Kindheit in Bonn herausgerissen wurde. Kurz vor ihrer Einschulung brachte ihr Vater sie zu den Großeltern nach Marokko. Die Tochter sollte muslimisch aufwachsen. Jahre später wurde Melanie dort zwangsverheiratet. Sie erlebte Gewalt in der Ehe, bekam zwei Töchter, ließ sich scheiden, kämpfte um ein eigenständiges Leben.

Zunächst blieb sie in Marokko, auch wenn sie sich in dem Land von Beginn an fremd fühlte. Als ihre Tochter dasselbe Schicksal ereilen sollte wie sie, entschied sich Melanie zur Flucht. Verwandte wollten ihr 16-jähriges Mädchen zwangsverheiraten. Melanie kehrte mit ihren beiden Töchtern zurück nach Deutschland, zurück in die Heimat, die sie seit ihrer Kindheit im Herzen trug – und fand schließlich Zuflucht im Frauenhaus in Troisdorf. Das war im November des vergangenen Jahres.

2018 musste der Verein 193 Frauen  abweisen

Melanie,  die eigentlich anders heißt und deren richtiger Name nicht in der Zeitung stehen soll, ist eine von 45 Frauen und 67 Kindern, die 2018 im autonomen Schutzhaus des Vereins „Frauen helfen Frauen“ untergekommen sind. Der Bedarf an Plätzen in der Region ist allerdings weitaus größer als das Angebot. Der Verein musste im vergangenen Jahr 193 Frauen und 197 Kinder ablehnen – überwiegend, weil zum Zeitpunkt der Anfragen alle Zimmer belegt waren.

Ähnlich sieht es im Frauenhaus des Rhein-Sieg-Kreises aus. Dieses befindet sich in Sankt Augustin. Wie die Verwaltung auf Anfrage mitteilt, bietet die Unterkunft Platz für 21 Frauen und Kinder zur selben Zeit. 2018 konnten 39 Frauen und 78 Kinder aufgenommen werden, 115 Anfragen lehnte der Kreis ab, weil das Haus überbelegt war. Bei 19 weiteren Frauen gab es juristische oder gesundheitliche Bedenken, die eine Aufnahme verhinderten, etwa psychische Erkrankungen.

Die Zahlen belegen: In der Region fehlt es an Schutzräumen. Ein Blick in die Statistik des Bundeskriminalamtes zeigt zudem, dass im Jahr 2018 bundesweit 113 965 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt geworden sind. Im Rhein-Sieg-Kreis verzeichnete die Polizei 482 Einsätze wegen häuslicher Gewalt. Die Dunkelziffer liegt mutmaßlich höher.

Im Troisdorfer Frauenhaus bekommen die Betroffenen Unterstützung von Sozialpädagogin Michiko Park und ihrem Team. „Unsere Bewohnerinnen wurden oft jahrelang dominiert. Wir wollen ihnen dabei helfen, wieder selbstbestimmter zu leben“, sagt Park. Diese Hilfe geht in einigen Fällen sogar über den Aufenthalt im Schutzhaus hinaus. Für die Nachsorge verantwortlich ist unter anderem Julia Weimann. Üblicherweise begleitet die 24-Jährige acht bis neun der ehemaligen Bewohnerinnen noch mindestens ein halbes Jahr nach ihrem Umzug. „Wir sind im Hintergrund jederzeit erreichbar und Ansprechpartner bei Krisen“, erklärt sie.

Erreichbar ist Weimann auch noch für Melanie. Fünf Monate lang lebte sie mit ihren Töchtern im Frauenhaus. Danach ging es für die Familie kompliziert weiter. Melanie wurde zwar in Deutschland geboren, hat aber die marokkanische Staatsbürgerschaft. Nach ihrer Rückkehr in die Region musste sie Asyl beantragen und kam im März in der Zentralen Unterbringungseinrichtung des Landes für Flüchtlinge in Sankt Augustin unter.

Mittlerweile haben Melanie und ihre Töchter den Aufenthaltsstatus für zwölf Monate erhalten. Aktuell lebt die Familie in einer Notunterkunft in Hennef. Sie teilen sich eine Wohngemeinschaft mit einer weiteren Frau und deren Tochter. Julia Weimann hilft ihnen bei Behördengängen und unterstützt sie bei der Suche nach einer eigenen Wohnung.

Ab Februar geht Melanie wieder zur Schule, um ihren Hauptschulabschluss nachzuholen. Danach will sie eine Ausbildung machen. In fünf Jahren, so ist ihr Wunsch, möchte sie als Gesundheits- und Krankenpflegerin arbeiten. Ein weiteres Ziel, das sie irgendwann erreichen will: die deutsche Staatsbürgerschaft. „Mich stört das Wort Asyl“, sagt sie und streicht sich die braunen Haare aus dem Gesicht. „Das ist ein schlechtes Wort.“ Sie fühle sich als Deutsche. Das hier sei ihre Heimat. „Sie ist deutscher als wir alle zusammen“, bestätigt auch Michiko Park und lacht. Melanie spricht die Sprache immer noch perfekt. Dass sie all die langen Jahre in Marokko gelebt hat, ist ihr nicht anzuhören.

Auch ihre Töchter leben sich immer mehr in der neuen Heimat ein. „Anfangs war es schwierig, jetzt haben sie sich an die neue Umgebung gewöhnt“, sagt Melanie. Die beiden Jugendlichen gehen in Hennef zur Schule, die Ältere macht bald ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis. Später will sie in einer Apotheke arbeiten. „Trotzdem kommen immer neue Hürden auf uns zu“, sagt Melanie. Etwa, eine bezahlbare eigene Wohnung zu finden. Im Juli muss zudem der Aufenthaltsstatus verlängert werden. „Wir können nicht zurück nach Marokko“, betont die 35-Jährige mit Nachdruck. Dann hätte die Flucht ihre Tochter nicht vor der Zwangsheirat bewahren können.

Melanie ist dankbar, dass sie damals im Troisdorfer Frauenhaus untergekommen ist. Dass der Rhein-Sieg-Kreis ein weiteres Schutzhaus bekommen sollte, hat Michiko Park schon vor zwei Jahren bei der Verwaltung beantragt. Im September bewilligte der Kreissozialausschuss schließlich, dass die Frauenhäuser in Troisdorf und Sankt Augustin zumindest in größere Immobilien umziehen dürfen.

Die Anfragen in den Frauenhäusern reißen nicht ab

 „Die Anfragen bei uns reißen nicht ab“, erklärt Park den Bedarf. Ab März wird das neue Haus für den Verein gebaut, finanziert durch Spenden einer Familie aus Troisdorf, die anonym bleiben möchte. Was mit der derzeitigen Unterkunft geschieht, ist unklar. Fest steht, dass der Verein diese nicht weiter nutzen wird. „Es ist denkbar, dass vielleicht ein Zufluchtsort für obdachlose Frauen entsteht“, sagt die Sozialpädagogin. Doch das sei nur eine von vielen Überlegungen.

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