Stumme Prediger des Friedens So wurde der Volkstrauertag im Rhein-Sieg-Kreis begangen

Rhein-Sieg-Kreis · Der Volkstrauertag wurde auch im Rhein-Sieg-Kreis begangen. Insgesamt 90 Kriegsgräberstätten erinnern an das große Leid. Kommunale Vertreter warnten vor Geschichtsvergessenheit.

 Mahnung für den Frieden: Zahlreiche Teilnehmer gedenken in Ittenbach der Opfer von Kriegen, Gewalt und Terrorherrschaft.

Mahnung für den Frieden: Zahlreiche Teilnehmer gedenken in Ittenbach der Opfer von Kriegen, Gewalt und Terrorherrschaft.

Foto: Frank Homann

Albert Schweitzer sagte einst: „Die Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens.“ Bei der zentralen Gedenkfeier zum Volkstrauertag des Kreisverbandes Rhein-Sieg im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf dem Soldatenfriedhof in Ittenbach zitierte der Kreisverbandsvorsitzende, Landrat Sebastian Schuster, den Arzt und Philosophen. Auf der Ittenbacher Kriegsgräberstätte liegen 1871 Tote des Zweiten Weltkriegs. Ihrer und stellvertretend sämtlicher Opfer von Krieg und Gewalt gedachten die zahlreichen Teilnehmer der Feierstunde.

Ittenbacher Feuerwehrleute, Reservistenkameradschaften aus Königswinter, Siegburg und Rheinbach, Bundeswehrsoldaten trugen Fackeln und Kränze zum Ehrenplatz vor dem Hochkreuz, wo eine Grabplatte die Aufschrift „Unser Opfer ist eure Verpflichtung – Frieden“ trägt. Brigadegeneral Richard Frevel, der Standortälteste in Köln vom Kommando Luftwaffe, war gekommen, auch etliche Bürgermeister aus dem Rhein-Sieg-Kreis hatten sich an den Ort am Rande des Siebengebirges begeben, wo im Frühjahr 1945 nach der Rheinüberquerung der amerikanischen Truppen über die Brücke von Remagen heftige Kämpfe getobt hatten.

Amerikaner begruben am 26. März einen deutschen Soldaten, der im Siebengebirge gefallen war, auf einem Acker. Bald reihte sich Grab an Grab. Auch Gefallene aus Bad Honnef und Aegidienberg, aus dem Raum Siegburg, aber auch aus dem Sauerland, dem Ruhrkessel, von der Warburger Börde und aus der Eifel wurden nach Ittenbach gebracht. Während US-Soldaten der Gräberkompanie bereits ab Sommer 1945 begannen, ihre eigenen Gefallenen, insgesamt 1544, die auf der anderen Seite des Weges bestattet worden waren, ins Ausland umzubetten, wurde aus dem gegenüberliegenden Feld eine würdige Erinnerungsstätte, auf der neben 1626 Deutschen auch 224 Sowjetbürger, zwölf Polen, vier Niederländer, jeweils zwei Belgier und Franzosen sowie ein Italiener liegen. Von den gefallenen deutschen Soldaten waren die vier jüngsten gerade einmal 15 Jahre alt. Drei erreichten nur das 16. Lebensjahr und 81 von ihnen waren lediglich 17 Jahre alt geworden. Kinderfriedhof wurde diese Stätte gelegentlich genannt.

Auch Infanterist Willi Ißleib aus Wolfsburg war erst 17, als er am 26. März 1945 fiel. Bisher kündete nur der Name auf einem der steinernen Kreuze von seinem Schicksal; fast 75 Jahre nach seinem Tod gibt ihm nun ein wohl von Angehörigen aufgestelltes Foto ein Gesicht. Sebastian Schuster sagte: „Ich wünsche uns, dass weltweit die Menschen in Regierungsverantwortung diese stummen Prediger wahrnehmen. Denn dann wird, das haben wir Deutsche selbst mit Frankreich und Polen erleben dürfen, Versöhnung über den Gräbern möglich.“ Umso wichtiger sei die Arbeit des Volksbundes. „Heute sind diese Kriegsgräber Orte der Erinnerung, Mahnmal und friedenspädagogische Lernorte.“

Beim Volkstrauertag handele es sich nicht um ein verstaubtes Ritual. „Wir erinnern uns heute an die unzähligen Toten der Kriege, von Gewalt und Terror und an die Opfer von Vertreibungen. Wir gedenken nicht nur jener Menschen, die unter den Deutschen während der finstersten Abschnitte unserer eigenen Geschichte gelitten haben, sondern auch all jener, die bis heute unter bewaffneten Auseinandersetzungen, Terror und Folter leiden und an deren Folgen sterben.“

Schuster stimmte ein „Vater unser“ an. Auch Pfarrer Georg Kalckert betete mit seinen Zuhörern und berührte sie mit seinen klugen, philosophischen Worten über Schuldzuweisung, Vergebung, Opfer und Täter, über Sprache – „Wir sind Täter, wenn wir jemanden mundtot machen wollen!“ – und ihre Auswirkungen: „Es gibt nicht nur Weltkriege, sondern auch alltägliche Kleinkämpfe.“

Auch an der Siegburger Nepomuk-Kapelle, dem Niederkasseler und dem Rheidter Ehrenmal sowie an vielen weiteren Orten des Rhein-Sieg-Kreises gedachte man am Sonntag der Opfer von Krieg, Gewaltherrschaft und Vertreibung. In Niederkassel versammelten sich nach der Messe in der katholischen Pfarrkirche St. Matthäus die Bürger, darunter Mitglieder des Ortsrings Niederkassel, des Bürgervereins sowie Abordnungen der Karnevalsgesellschaften Grün-Gelb und Blau-Gelb Niederkassel, des 1. FC Niederkassel und des Junggesellenvereins „Echte Fründe“ zur Kranzniederlegung für die Gefallenen beider Weltkriege.

Während die Löscheinheit der Freiwilligen Feuerwehr Niederkassel die Ehrenwache hielt, betonten die stellvertretende Bürgermeisterin Beate Bayer-Helms, der zweite Vorsitzende des Bürgervereins Niederkassel, Peter Klupsch und der katholische Pfarrer Roy, dass dieser Tag alle Menschen auffordere, gegen Krieg und Gewalt – nicht nur im eigenen Land – aufzustehen und Stellung zu beziehen. „Eine Gesellschaft mit Werten wie Freiheit und Toleranz ist nicht selbstverständlich. Sie muss gegen Anfeindungen jeden Tag aufs Neue bestehen“, so Bayer-Helms. Dazu zitierte sie Friedrich den Zweiten: „Die Toleranz in der Gesellschaft muss jedem Bürger die Freiheit sichern, zu glauben, was er will.“

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