Zu Besuch bei den Helfern Täglich 1000 Anrufe für Leitstelle des Rhein-Sieg-Kreises

Rhein-Sieg-Kreis · Die Mitarbeiter der Feuer- und Rettungsleitstelle des Rhein-Sieg-Kreises nehmen täglich 1000 Anrufe entgegen. Manchmal müssen die Mitarbeiter genau hinhören, um die richtige Entscheidung zu treffen.

In der Nacht, als der Notruf in der Leitstelle einging, schob Heinz Hinsen gerade alleine Wache. „Mein Baby atmet nicht mehr“, schrie die junge Frau aus Windeck am Telefon. Verzweiflung schlugen ihm durch den Hörer entgegen. „Ich habe versucht, die Frau erst einmal zu beruhigen“, erinnert sich der heute 61-Jährige. Doch, was er auch probierte, er konnte die Frau in ihrer Panik nicht erreichen. Wertvolle Sekunden verstrichen. „Irgendwann platzte es aus mir heraus. Ich weiß nicht mehr genau, was ich gesagt habe, aber ich habe die Frau angeschrien“, so Hinsen. „Danach habe ich es sofort bereut“. Doch sein Ausbruch zeigte unverhofft Wirkung. „Die Frau wurde plötzlich still und folgte meinen Anweisungen.“

Der Fall ist einer von vielen Notrufen, die der Hauptbrandmeister auch nach Jahrzehnten als Einsatzbearbeiter in der Kreisleitstelle nicht vergessen kann. Das Wichtigste: „Das Kind hat überlebt“, erinnert er sich. Hinsen ist der dienstälteste Mitarbeiter in der Feuer- und Rettungsdienstleitstelle des Rhein-Sieg-Kreises. Ende Mai 2018 geht der Vater dreier Kinder nach 30 Jahren in den Ruhestand. Vieles hat sich in dieser Zeit im Rettungswesen verändert.

Um 10 Uhr bereits 50 bis 60 laufende Einsätze

Dass ein Mitarbeiter nachts alleine für die Bearbeitung der Notrufe zuständig ist, sei „heute unvorstellbar“, sagt Martin Bertram, Chef der Kreisleitstelle. Zu seinem Team gehören 33 Mitarbeiter. Stets sind fünf bis sechs Kollegen parallel im Einsatz. 15 Notrufannahmeplätze gibt es in der Schaltzentrale der Feuerwehr und des Rettungsdienstes im Kreishaus. Auf bis zu 48 Leitungen können dort Anrufe einlaufen. Vor allem bei schweren Unwettern in der Region sei diese Vielzahl notwendig. Aber auch an „normalen“ Tagen herrscht selten Ruhe.

„Jetzt um 10 Uhr haben wir schon 50 bis 60 laufende Einsätze“, sagt Bertram. Dabei deutet er auf einen der zahlreichen Bildschirme, die die Leitstelle wie die Kommandobrücke eines Raumschiffs wirken lassen. „Normale Tage“ – auch das heißt rund 1000 Anrufe und 330 Rettungseinsätze. Zurzeit finden allerdings nicht alle Notrufannahmeplätze in der eigentlichen Leitstelle Platz. Grund ist die laufende Brandschutzsanierung des Kreishauses. So wurde kurzerhand der angrenzende Konferenzraum des Krisenstabs des Kreises umfunktioniert. An zusätzlichen Computern können Mitarbeiter auch dort Notrufe entgegen nehmen.

Brandschutzsanierung des Kreishauses betrifft auch Leitstelle

Seit Sommer 2014 arbeiten sich Handwerker von Etage zu Etage durch das Kreishaus. Jetzt erreichte die Sanierung auch die Leitstelle. Baulärm und Staub strapazieren seitdem die Nerven der Feuerwehrleute. „Wir hatten zwischenzeitlich auch mal Sorge, ob der Staub unsere Server beschädigen könnte“, sagt Rainer Dahm, Leiter des Amtes für Bevölkerungsschutz. Bertram nimmt es gelassen: „Wir haben keine Wahl. Der Brandschutz muss nun einmal auch hier den Bestimmungen entsprechen.“ Und wenn der Lärm doch mal unerträglich wird, hätten die Mitarbeiter auch die Möglichkeit, in die Leitstelle der Feuerwehr Bonn umzuziehen. Einmal habe man diese Möglichkeit schon genutzt.

Die Systeme der beiden Leitstellen sind vernetzt. So können sich die Beamten im Krisenfall gegenseitig unterstützen, Notrufe aus dem Einsatzgebiet der jeweils anderen Stelle bearbeiten und Rettungs- und Löschfahrzeuge entsenden. Maximal acht Minuten beträgt die Hilfsfrist, in der die Retter im städtischen Bereich nach der Alarmierung am Einsatzort sein sollen, zwölf Minuten sind es auf dem Land.

Zahl der Einsätze steigt seit Jahren

Damit die Bürger auch künftig auf diese Fristen vertrauen können, rüstet die Kreisleitstelle stetig ihre Technik nach. Ein neues Programm – entwickelt vom Fraunhofer Institut in Sankt Augustin – soll zum Beispiel die Routenplanung der Retter verbessern. Sollte die Hilfsfrist in einem Bezirk einmal nicht sichergestellt sein – zum Beispiel weil mehrere Einsätze parallel laufen, setzt das Programmmodul automatisch einen Rettungswagen einer anderen Kommune in Bereitschaft. „Unsere Mitarbeiter, die mögliche Engpässe bislang selbstständig ausgleichen müssen, werden dadurch entlastet“, erklärt Bertram.

Seit Jahren steigt die Zahl der eingehenden Notrufe und ausgelösten Einsätze im Rhein-Sieg-Kreis. Für 2017 erwartet Dahm einen neuen Rekordwert von rund 120 000 Einsätzen. „Wetterbedingte Einsätze sind bei uns im Kreis intensiver geworden“, erklärt der Amtsleiter. Um die Versorgung der Menschen auch in abgelegenen Regionen zu gewährleisten, besteht laut Dahm weiterhin Investitionsbedarf bei den Rettungswachen, zusätzlich zu bereits geplanten Projekten. Derzeit laufe etwa der Neubau der Rettungswache in Swisttal, die Wache in Ruppichteroth werde nach Schönenberg verlagert und in Much soll der Bau einer neuen Wache bald folgen.

Die Zahl der Einsätze nehme aber auch aus anderen Gründen zu, so Dahm. Neben einer älterwerdenden Gesellschaft und der wachsenden Bevölkerung im Kreis seien auch ein geändertes Anspruchsdenken und ein falsches Verständnis des Notrufs verantwortlich. „Wir haben Anrufer, die sich tatsächlich wegen eines normalen grippalen Effekts melden“, erklärt Hinsen. Dabei sollte die 112 nur gewählt werden, wenn es um Leben und Tod geht. Für alle anderen Fälle gebe es den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärzte. In diesem Fall könne es aber schon einmal ein paar Stunden dauern, bis ein Arzt zum Hausbesuch vorbeischaut. Das dauere manchem dann zu lange. „Unsere Mitarbeiter sind angehalten, im Zweifel einen Einsatz eher höher als niedriger einzustufen“, erklärt Dahm. Entsprechend seien in den vergangenen Jahren die Anforderungen an die Mitarbeiter der Leitstelle gestiegen.

Hinsen hat diese Entwicklung hautnah miterlebt. Im Mai 1988 nahm er in der Kreisleitstelle seinen Dienst auf. Im Vergleich zu heute ging es damals noch „richtig schön ruhig zu“, sagt Hinsen. Zahllose Krisensituationen hat er in seinen Berufsjahren seitdem gemeistert. „Es gibt immer wieder schöne Einsätze, etwa eine spontane Geburt oder eine gelungene Reanimation“, berichtet Hinsen. Neben übertrieben besorgten Anrufern gebe es auch immer wieder Menschen, die ihre Situation falsch einschätzten und ihre Lage herunter spielten. Gerade in diesen Fällen gelte es dann, genau auf Nuancen und Zwischentöne zu achten, um eine richtige Entscheidung zu fällen. Seinen jüngeren Kollegen rät er daher: „Bei jedem einzelnen Anruf muss man genau hinhören – als ob es um die eigene Familie geht.“

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