Lehrermangel im Rhein-Sieg-Kreis Schulen hoffen auf mehr Seiteneinsteiger

Rhein-Sieg-Kreis · Vertriebsingenieur Viktor Rogalski aus Troisdorf steigt auf den Lehrerberuf um. In NRW konnten aktuell 2139 Stellen für Lehrkräfte nicht besetzt werden, 54 alleine an den Schulen im Rhein-Sieg-Kreis.

 Entschied sich für den beruflichen Neustart: Viktor Rogalski arbeitete zunächst als Vertriebsingenieur. Heute ist er Lehrer in Troisdorf.

Entschied sich für den beruflichen Neustart: Viktor Rogalski arbeitete zunächst als Vertriebsingenieur. Heute ist er Lehrer in Troisdorf.

Foto: Dörsing

Früher verkaufte Viktor Rogalski für ein Unternehmen aus Troisdorf Maschinen, heute steht er vor bis zu 30 Schülern, vermittelt Wissen, kontrolliert Hausaufgaben, sorgt in der Klasse für Ruhe. Rogalski ist über Umwegen zum Lehrerberuf gekommen, als Seiteneinsteiger. „Als ich mit der Ausbildung Groß- und Außenhandelskaufmann fertig war, wusste ich, dass ich das zwar ganz gut kann, aber es machte mir keinen Spaß.“ Rogalski studierte noch einmal: Wirtschaftsingenieurswesen an der Fachhochschule. Nebenbei jobbte er als Nachhilfelehrer unter anderem für Mathematik.

Obwohl er nach dem abgeschlossenen Bachelor zunächst als Vertriebsingenieur arbeitete, wusste er bereits: „Ich wollte Lehrer werden und nichts anderes“. Doch das war nicht so einfach. „Um vollwertiger Lehrer zu werden, benötigte ich einen universitären Abschluss.“ Dann traf er Günter Schmidt, Schulleiter am Georg-Kerschensteiner-Berufskolleg in Troisdorf. „Er erklärte mir, es sei kein Problem, wenn ich es wirklich wollte“, so Rogalski.

Seit Dezember 2016 arbeitet er nun als Lehrer an dem Troisdorfer Berufskolleg, nebenbei drückt er wieder selbst die Schulbank – an der Uni Wuppertal. „Die Entscheidung, den sicheren Beruf aufzugeben und etwas ganz anderes zu machen, zu arbeiten und nebenbei zu studieren, ist mir nicht leicht gefallen“, sagt der Ehemann und Vater. „Doch letztlich war es mir das wert. Heute weiß ich, ich bin an der richtigen Stelle.“ Geht es nach der schwarz-gelben Landesregierung sollen künftig mehr Seiteneinsteiger wie Rogalski in den Schulen NRWs unterrichten.

Große Lücken an Grundschulen und Gesamtschulen

Angesichts eines gravierenden Lehrermangels im Land besteht auch dringender Handlungsbedarf. Von den 160 000 Lehrerstellen in NRW waren rund 5400 für das aktuelle Schuljahr ausgeschrieben worden. 2139 Stellen davon konnten nicht besetzt werden, 54 alleine an den Schulen im Rhein-Sieg-Kreis, wie die Bezirksregierung auf Anfrage mitteilte. Besonders große Lücken klaffen im Kreis demnach an Grundschulen (21 offene Stellen), Gesamtschulen und Berufskollegs (je zehn).

Das Problem dürfte sich in den kommenden Jahren eher verschärfen als verringern. Zuletzt nährte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung Zweifel, dass die Entwicklung hin zu einer älter werdenden Gesellschaft bis 2030 zu einer „demografischen Rendite“ an den Schulen führen könnte.

Gemeint ist damit, dass sich bei sinkender Geburtenzahl die Betreuungsquote verbessert, wenn gleichzeitig die Lehrerzahl beibehalten wird. Allein in der Sekundarstufe I müssten 2025 rund 450 000 Schüler mehr unterrichtet werden, als bisher erwartet, lautet ein Ergebnis der Studie. Zahlen aus dem Rhein-Sieg-Kreis scheinen den Trend zu stützen.

So ist etwa die Zahl der Erstklässler an den kreiseigenen Grundschulen nach Angabe der Verwaltung von rund 5300 (2016/17) auf 5700 in diesem Schuljahr deutlich angestiegen. Sogar zusätzliche Eingangsklassen mussten eingerichtet werden. Doch können Seiteneinsteiger, wie von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) gewünscht, tatsächlich den drohenden Unterrichtsausfall kompensieren?

Kritik an den Plänen kommt unter anderem vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) . „Gerade mit Blick auf die Grundschulen sehe ich die wachsende Zahl von Seiteneinsteigern mit Sorge“, sagte der NRW-Verbandsvorsitzende Udo Beckmann dem evangelischen Pressedienst. Der Unterricht an Grundschulen erfordere eine besondere pädagogische Qualifikation.

Verfügbarkeit von Fachkräften ist ein Problem

Ein anderes Problem ist die begrenzte Verfügbarkeit von Fachkräften. „Die Vorstellung, dass man auch in Zeiten, in denen die Wirtschaft boomt, die besten Leute für die Schule bekommt, ist unrealistisch“, sagt Schmidt. In der Wirtschaft gebe es schlicht mehr Geld zu verdienen. Seiner Erfahrung nach liegt die Quote der Seiteneinsteiger, die den Berufseinstieg schaffen, bei etwa 50 Prozent. Unter den 5281 Lehrkräften im Kreis sind nach Angaben der Bezirksregierung aktuell 27 Seiteneinsteiger, gerade einmal 0,5 Prozent.

Schließlich liegen auch die Hürden für diejenigen, die den Schritt an die Schulen wagen, hoch. „Viele haben keine Vorstellung, wie viel Arbeit und Risiko ein Seiteneinstieg bedeutet“, sagt Tim Pieper, Lehrer am Berufskolleg Siegburg. Der studierte Mathematiker arbeitete bei der Zurich-Versicherung und wechselte 2010 an die Schule. Auch der Rollenwechsel war nicht einfach.

„Ich war es gewohnt, im Job Verantwortung zu tragen, und plötzlich ist man wieder der Schuljunge“, so Pieper. Natürlich reiche reines Fachwissen nicht aus, um ein guter Lehrer zu sein. Eine pädagogische Schulung sei unverzichtbar, doch brächten Seiteneinsteiger seiner Ansicht nach gerade an Berufskollegs auch wertvolle Praxiserfahrung mit. „Die Schüler merken, wenn ihnen jemand etwas erzählt, der weiß, wie es außerhalb der Schule zugeht.“

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