GA-Serie "Eine Stunde mit..." Schuhmachermeister Heinz Becker - Maßarbeit aus Leidenschaft

Siegburg · Gerade erst hat Schuhmachermeister Heinz Becker die Ladentür aufgeschlossen, da steht schon die erste Kundin am Verkaufstresen. "Bitte einmal aufarbeiten" sagt sie nur und holt gleich fünf Paar Schuhe aus einer Tüte.

Becker schaut auf den Kalender hinter sich und fragt: "Nächsten Dienstag?" Die junge Frau ist einverstanden, steckt den Abholzettel ein und ist wieder weg. Der 43-Jährige, der 1985 bei seinem Vater Heinrich die Lehre gemacht und von ihm auch das Geschäft übernommen hat, weiß genau, was zu tun ist.

Er kontrolliert und repariert fachgerecht, was nötig ist. Eine Erklärung muss er nicht abgeben, seine Kundschaft vertraut ihm. Überhaupt sind die langjährigen Kunden problemlos und schätzen seine zuverlässige Arbeit. "Die kämen auch nie auf die Idee, mir verdrecktes Schuhwerk hinzustellen", sagt er.

Andere bringen Stiefel vorbei, "an denen der halbe Pferdestall hängt" oder Schuhe, die noch vom Tritt in Hundekot zeugen. Die würde er am liebsten rauswerfen, macht aber die Faust in der Tasche.

Gerade will er die praktische Arbeit aufnehmen, da steht der Nächste in dem Siegburger Laden. Seine Auszubildende, Nadine Weißenfels, ist aber schneller und bedient eine weitere Dame an diesem Morgen. Die will Schuhe abholen, an denen die Absätze erneuert wurden. Sie zahlt und geht, da klingelt die Eingangstür schon wieder.

Dieselbe - eben noch zufriedene - Kundin hat plötzlich ein Problem mit der Farbe der neuen Ecken unter den Schuhen. Becker zuckt mit den Schultern. "Das gehört zum Service. Wir werden jetzt alles an der Schleifmaschine entfernen und dem Farbwunsch entsprechend austauschen. Da zahl' ich drauf."

Reich wird er in seinem Beruf ohnehin nicht, da viele Menschen nicht einsehen wollen, dass solide Arbeit ihren Preis hat. Er erinnert sich an eine Kundin, deren Ledertasche genäht werden musste. Als sie dafür vier Euro bezahlen sollte, "probte die hier den Aufstand", erzählt der Handwerker.

Dabei hat er selbst enorme Kosten, allein zwei Maschinen zum Schleifen und Ausputzen, beziehungsweise zum Pressen und Ankleben haben ihn ein Vermögen gekostet. Eine Maschine für das Doppelnähen, wie sie bei ihm zum Einsatz kommt, wird gar nicht mehr hergestellt und genutzt. Für zehn Nadeln hat er jüngst 120 Euro bei einem Internetanbieter bezahlt, früher kostete das Päckchen mit zehn Nadeln zehn D-Mark.

Seine größte Konkurrenz sind die Shops in den Kaufhäusern, die seiner Meinung nach nichts mit einem gelernten Schuster gemeinsam hätten. Außerdem beklagt er, dass heute jeder ohne Meisterprüfung eine Schusterwerkstatt eröffnen könne. Das bedeute einen Verlust an Qualität.

Demonstrativ zeigt er einen Schuh, den ein "Kollege" mangels Sachkenntnis und notwendiger Maschine ruiniert habe. Becker sieht aber einen Silberstreifen am Horizont. Die Geiz-ist-geil-Mentalität nehme ab, stelle er fest. Der Trend gehe wieder zum Hochwertigen, was er auch an den Schuhen sehe, die ihm gebracht würden. Echtes Leder statt Billigimitat. Bei denen kann er sein ganzes Können unter Beweis stellen, ramponierte Treter sehen nach seiner "Behandlung" aus wie neu.

Auf seinem Weg zur Schleifmaschine schaut er Nadine kurz über die Schulter und ist zufrieden. Sie sei ein Glücksfall betont Heinz Becker, wissbegierig, äußerst begabt und ehrgeizig. Schon beim Praktikum habe er ihr Talent erkannt. Dabei ist eine Frau in seinem Beruf eher ungewöhnlich, zumal sie ein hervorragendes Fachabitur abgelegt habe.

Für Nadine selbst stand immer fest, ein Handwerk erlernen zu wollen. Sie geht regelrecht auf in der Arbeit, näht auch in ihrer Freizeit Schuhe und hat schon für ihren Vater und den Chef Schuhe handgenäht. Maßanfertigungen sind natürlich für jeden Schuster ein Highlight. "Die Belohnung für die Arbeit ist das Grinsen im Gesicht, wenn der Kunde das erste Mal in den fertigen Schuh schlüpft", schwärmt Becker, der "leider nur ganz wenige Aufträge dieser Art" im Jahr bekommt.

Lediglich den Leisten bezieht er von anderen Anbietern. Notfalls könnte er selbst den nach Fußabdruck des Auftraggebers herstellen. "Früher wurde der gedrechselt und mit dem Stechbeitel gefertigt. Ich hab' das noch gelernt", sagt er. Dann widmet er sich wieder dem Tagesgeschäft, ein Kappenfutter muss ersetzt werden. Erneut wird er abgehalten, ein Kunde bittet ihn um ein zusätzliches Gürtelloch. Dafür nimmt er nichts, freut sich aber über zehn Euro für die Kaffeekasse. Das sind für Becker, der trotz der harten beruflichen Konkurrenz mit ganzem Herzen Schuster ist, die kleinen Freuden im Alltag.

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