Expertengespräch zu Bus und Bahn „Höchste Zeit für neue Angebote“

Bonn/Rhein-Sieg-Kreis · Teuer, unzuverlässig, unflexibel: Dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) haftet ein Negativimage an. Für Auto-Pendler sind Bus und Bahn oft keine Alternative, obwohl das Angebot in Bonn und Teilen des Rhein-Sieg-Kreises dicht getaktet ist.

Der ÖPNV sei zu teuer, heißt es immer wieder. Was spricht dagegen, ihn kostenlos anzubieten?

Oliver Krauß: Diese Idee ist ja schon öfter geprüft worden. Das Problem ist unsere Infrastruktur. Wir haben heute schon völlig überfüllte Züge. Die linksrheinische Bahnstrecke ist die meistgenutzte Regionalbahnverbindung im Gebiet des Zweckverbands Nahverkehr Rheinland (NVR). Deshalb müsste man erst einmal die Infrastruktur ausbauen, um dann über kostenlose Angebote nachdenken zu können.

Rainer Bohnet: Als Einstiegsmodell wäre kostenloser ÖPNV sicherlich denkbar, um Leute zum Umsteigen zu bewegen. Prinzipiell sehe ich es aber auch so: Wir müssen zuerst die Kapazitäten erhöhen. Ich habe eher ein Problem mit dem bestehenden Tarifsystem.

Inwiefern?

Bohnet: Der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) will ein gerechtes System – im Sinne der Einnahmeaufteilung zwischen den einzelnen Verkehrsunternehmen. Diese Verteilkämpfe interessieren aber den Nutzer nicht. Nur ein Beispiel: Wenn man ein paar Kilometer von Hoholz nach Hangelar fährt, überschreitet man die Stadt- und damit auch die Tarifgrenze. Da kostet eine Fahrt 3,80 Euro. Es ist an der Zeit, über andere Systeme nachzudenken. Für die Fahrgäste wäre es viel transparenter, die tatsächliche Entfernung abzurechnen. Mit Hilfe von Smartphones geht das.

Krauß: Wenn man nur auf den Einzelpreis schaut, kommen einem 3,80 Euro natürlich viel vor. Bitte vergessen Sie aber nicht, dass bei den Dauertickets etwas in Bewegung ist. Ob Jobtickets, Ausbildungstickets, Kombitickets – man hat einiges getan, um auf Arbeits- und Lebensmodelle einzugehen. Das muss natürlich weitergehen. Grundsätzlich ist ein entfernungsabhängiges System – Check in, Check out – für die Nutzer natürlich gerechter. Im Hinterkopf muss man dabei aber haben, dass die Verkehrsunternehmen unter Kostendruck stehen. Sie müssten einen neuen Schlüssel finden, um die Einnahmen gerecht aufzuteilen.

Bohnet: Eine andere Variante, die mir sehr gefällt, ist das Bürgerticket. Damit würde die Allgemeinheit über eine Abgabe den ÖPNV finanzieren, und jeder könnte dann Bus und Bahn so häufig nutzen, wie er will. Auch darüber sollte man für die Zukunft nachdenken.

Das klingt ein bisschen nach Zwangsbeglückung, oder?

Krauß: Dieses Solidarmodell kennen wir ja schon von den Studierendentickets. Aber auch da gilt: Ich verspreche den Menschen damit etwas, was ich nicht halten kann. Wenn die Infrastruktur nicht ausreicht, um jedem einen Platz in Bus und Bahn anbieten zu können, habe ich am Ende sogar ein rechtliches Problem.

Sie sprechen von der Erhöhung der Kapazitäten. Warum ist nicht längst etwas passiert?

Bohnet: Da haben die Generationen vor uns gepennt. Politisch hat man meist nur auf den Autoverkehr gesetzt – mit der Folge, dass man heute zunehmend im Stau steht. Es wird höchste Zeit, dass neue Angebote geschaffen werden. Der Ausbau der S 13 kommt ebenso wie der neue Haltepunkt UN-Campus. Außerdem wird über die Stadtbahn von Beuel über Niederkassel nach Köln diskutiert, und die Idee einer Seilbahn zwischen dem Ennert und dem Venusberg – bei zwei oder drei Halten in Bonn – finde ich geradezu faszinierend. Damit könnten 5000 Menschen pro Stunde befördert werden, die Fahrt würde nur einige Minuten dauern. Ich bin sehr gespannt, was die Machbarkeitsstudie bringt.

Krauß: Naja, da darf man in der Tat gespannt sein – aber man soll sich ja keine Denkverbote auferlegen. Es stimmt aber, dass die Politik in der Vergangenheit ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat, wenn es darum ging, den ÖPNV attraktiver zu machen und die Vorteile gegenüber dem Auto herauszuarbeiten. Der Ausbau des Bahnknotens Köln, der bis 2030 kommen soll, ist längst überfällig. Der bringt überhaupt erst eine verlässliche Struktur. Bislang muss sich der Schienen-Nahverkehr die Trassen mit Fern- und Güterverkehr teilen – und steht dabei natürlich ganz unten in der Nahrungskette. Über den Knoten-Ausbau hinaus müssen aber noch weitere Maßnahmen getroffen werden. So brauchen wir eine linksrheinische S-Bahn zwischen Köln und Bonn.

Bohnet: Was mich ärgert: Die fehlende Kombinierbarkeit mit dem ICE. Es wäre doch praktisch, wenn man beispielsweise als Jobticketinhaber in Siegburg den ICE nach Köln nutzen könnte – gegen einen kleinen Aufpreis. Doch auf dem Ohr scheint der Konzern Bahn taub zu sein.

Krauß:Leider. Das scheitert bislang an der DB Fernverkehr, die sich nicht zuständig fühlt.

Blicken wir mal auf das Land. Wie wollen sie die dortigen Bewohner für den ÖPNV begeistern?

Bohnet: Aus meiner Sicht ist das ganz wichtig. Auf dem Land ist der Motorisierungsgrad natürlich höher als in der Stadt. Da braucht man flexible, intelligente Systeme – Kleinbusse, Bürgerbusse.

Krauß: Beim Bürgerbus sind Sie immer auf ehrenamtliche Kräfte angewiesen, das klappt nicht überall. Grundsätzlich: Wir müssen bei den Busgrößen flexibler werden. Im Kreis gibt es bereits einige Kleinbusse, etwa in Alfter, Swisttal und Rheinbach. Die Überlegungen müssen aber noch weitergehen: Warum soll man nicht rollende Läden oder Sparkassenbusse für die Personenbeförderung nutzen? Es gibt verschiedene Modelle, nur müssen sie finanzierbar sein. Das wird in Zukunft nicht einfacher. Durch den demografischen Wandel werden wir auch weniger Schüler haben – und damit weniger Schülerbeförderung. Über sie wird ein Großteil des ÖPNV finanziert.

Ein weiteres Zukunftsthema: selbstfahrende Autos, die einen jederzeit von Tür zu Tür bringen können. Ist der ÖPNV in 20 Jahren überflüssig?

Bohnet: Ich meine nicht. Es kann ja durchaus auch selbstfahrende Busse und Bahnen geben. Vor allem Schienenverbindungen sind unschlagbar. Sie sind leistungsfähiger als die Straße, die man ja auch für selbstfahrende Autos benötigt.

Krauß:Das führerlose Fahrzeug ist in 20 Jahren da, ganz sicher. Es wird aber nur ein System von vielen in der Mobilitätskette sein. Man muss die Entwicklung genau beobachten und schneller darauf reagieren – nicht so schleppend wie auf andere Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten.

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