Flüchtlinge im Schulzentrum Neuenhof Freundlichkeit und ein Stück Normalität

SIEGBURG · Manchmal braucht es keine Worte. Das hat Klaudia Swierzy in den vergangenen Wochen immer wieder erlebt. Die entscheidenden Dinge lassen sich auch mit Händen, Füßen und Gesten vermitteln.

 Ob Kunst, Mathe oder Englisch: Gesamtschüler und Flüchtlingskinder lernen zusammen.

Ob Kunst, Mathe oder Englisch: Gesamtschüler und Flüchtlingskinder lernen zusammen.

Foto: Klaudia Swierzy

Sei es nun Sinn und Funktion eines Ordners, Bruchrechnung oder der Bewegungstanz im Englischunterricht. So fällt es kaum auf, dass in ihrem Unterricht nicht selten Gesamtschüler und Flüchtlingskinder nebeneinander sitzen. Seit Ende August ist die Dreifachturnhalle im Schulzentrum Neuenhof Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Fast ebenso lange vermitteln Gesamtschullehrerin Klaudia Swierzy und Kollegen neben ihrem regulären Unterricht Flüchtlingen die deutsche Sprache - und nehmen Mädchen und Jungen auch mit in ihre Klassen.

"Das Zusammenleben mit den Flüchtlingen hier im Schulzentrum läuft reibungslos", sagt Jochen Schütz, Schulleiter der Gesamtschule. Zuvor hatten sich einige Eltern bei einer Bürgerinformation zur Einrichtung der Notunterkunft besorgt gezeigt. Davon sei keine Rede mehr. Weder Elternbeschwerden noch Streitereien seien ihm bekannt. Auch der Schulsport laufe. Alle zwei Wochen können die drei Schulen des Schulzentrums die Vierfachturnhalle des Anno-Gymnasiums nutzen. In der anderen Woche nutzen sie das Außengelände. "Es gibt bislang keine größeren Probleme", spricht Schütz für seine Schule. Ganz im Gegenteil. Alle Seiten profitieren vom Zusammenleben.

"Wir haben uns überlegt, wie wir Menschen in Not helfen können", erklärt Klaudia Swierzy, wie es zum Engagement der Schule kam. Kollegium, Eltern und Schüler seien sich einig gewesen: "Wir möchten ihnen Sprache, Freundlichkeit und ein Stück Normalität geben." Über gespendete Schulranzen, Hefte und Stifte. Über die Vermittlung grundlegender Deutschkenntnisse. Über Anleitungen zum Umgang mit Verwaltungen. Oder ganz einfach über ein gemeinschaftliches Miteinander.

"Zum ersten Deutschunterricht in der Unterkunft kamen zwölf Leute", sagt Klaudia Swierzy, die früher Deutsch als Fremdsprache unterricht hat. Nachher konnten die sagen, wie sie heißen und wo sie wohnen. Beim nächsten Mal musste die Pädagogin bei 30 Schülern die Türe schließen. "Mehr passen nicht in den Raum." Die Deutschkurse, die auch Kollegen von Real- und Hauptschule anbieten, sind gefragt.

"Da die Kurse so voll sind, habe ich mich entschlossen, ein paar Kinder aus der Notunterkunft mit in meinen Unterricht zu nehmen", sagt Swierzy. Nach Rücksprache mit der Schulpflegschaft. Dort sitzen sie nun drei Mal die Woche neben den Gesamtschülern, folgen dem Unterricht und machen mit. Der Kunstlehrer macht es seiner Kollegin gleich, ebenso der Musiklehrer, der die Flüchtlingskinder zum Chorgesang einlädt. Eine andere Kollegin geht nachmittags in die Unterkunft und strickt mit den Frauen. "Anfängliche Berührungsängste sind verflogen", bestätigt Schulleiter Schütz.

"Unsere Schüler helfen den Flüchtlingen, erklären ihnen, worum es geht, wenn sie nicht weiter wissen, mit Händen und Füßen", berichtet Klaudia Swierzy. Einige hätten über SMS noch immer Kontakt zu Mädchen und Jungen, die Siegburg schon wieder verlassen haben. Sie erleben aber auch, dass Freude und Trauer eng beieinander liegen. Wie unlängst im Englischunterricht. Eben noch singt und tanzt ein Junge wie alle anderen. Im nächsten Moment bricht er in Tränen aus. Als Klaudia Swierzy den jungen Flüchtling anspricht, bricht es aus ihm heraus: "Der Junge da vorne erinnert mich an meinen Bruder", sagt er und ergänzt, dass er zusehen musste, wie dieser getötet wurde.

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