Schulfrieden von NRW Fast alle Hauptschulen im Rhein-Sieg-Kreis schließen

SIEGBURG · Viele Hauptschulen haben schon geschlossen, mit diesem Schuljahr laufen vier aus, drei weitere folgen in den kommenden zwei Jahren. Damit verbleiben ab dem Schulahr 2020/21 nur noch vier von einst 22 Hauptschulen im Rhein-Sieg-Kreis.

Die Wände sind kahl, die Regale leer, die Klassenräume verwaist. Die Schüler, die hier vor ein paar Tagen noch gelernt haben, halten seit Mittwoch ihre Abschlusszeugnisse in der Hand. Für sie beginnt ein neuer Lebensabschnitt – und mit ihnen endet im Schulzentrum Neuenhof die Zeit der Ganztagshauptschule Siegburg. Sie ist eine von vier Hauptschulen im Rhein-Sieg-Kreis, die zum Schuljahresende auslaufen. Drei weitere folgen in den kommenden zwei Jahren, damit verbleiben im Schuljahr 2020/21 nur noch vier von einst 22 Hauptschulen im Rhein-Sieg-Kreis.

Kartons dominieren seit Tagen das Büro von Anna-Maria Steinheuser. Die Container, gefüllt mit ausrangiertem Schulmaterial, sind schon abgeholt. Für die Schulleiterin ist es bereits das zweite Mal, dass sie eine Hauptschule bis zu ihrem Ende begleitet. Vor sechs Jahren war sie dabei, als die Türen der Siegburger Hauptschule „Innere Stadt“ für immer schlossen. Mit dem Schuljahr 2012/13 übernahm sie die Leitung der Hauptschule im Schulzentrum. „Nur wenige Monate später gab es die politische Entscheidung gegen unsere Schulform“, erinnert sich Steinheuser. Der Siegburger Rat besiegelte im Dezember 2012 das Ende der städtischen Hauptschule – und folgte damit dem Elternwillen zur Gründung einer Gesamtschule.

Schulfrieden von NRW

Eine Entwicklung, die seit dem sogenannten Schulfrieden von NRW viele Haupt- und auch Realschulen in der Region ereilt hat. 2011 verständigten sich SPD, Grüne und CDU in Düsseldorf darauf, Hauptschulen aus der Verfassung zu streichen. Die einst anerkannte Schulform hatte ein Imageproblem, galt als „Resteschule“, und immer weniger Eltern wollten ihre Kinder an einer Hauptschule anmelden. Stattdessen sollten vermehrt Sekundar- und Gesamtschulen gegründet werden, die auf ein längeres gemeinsames Lernen setzen. „Ich bedauere es sehr, dass kleinere Systeme sterben“, sagt Steinheuser. Dadurch gehe das Individuelle verloren. „Erziehungsarbeit ist Beziehungsarbeit“, sagt sie. Das habe sie als Hauptschülerin einst selbst erfahren. „Meine Lehrer haben mich an die Hand genommen und geprägt“, erinnert sich die heute 62-Jährige. Das sei in größeren Systemen schwierig.

Im Pädagogischen Zentrum laufen die Proben für die Entlassfeier. 85 Schüler zählt der letzte Jahrgang, eingeschult 2012, also mit Steinheusers Amtsantritt. „Der letzte Jahrgang ist etwas besonders“, sagt Steinheuser. Die Bindung zwischen den Jugendlichen und ihren noch zwölf verbliebenen Lehrern sei besonders eng. „Wir konnten uns sehr intensiv um alle kümmern“, sagt sie. Bis auf einen haben alle Schüler ihren Abschluss geschafft, 20 erlangten den mittleren Schulabschluss und sieben die Qualifikation für das Gymnasium. „Und alle sind versorgt“, freut sich die Schulleiterin, die ihren Schülern zum Abschluss den roten Teppich ausrollen will.

Ein ständiger Kampf

Der Abschied fällt ihr sichtlich schwer. Die verbreitete Stigmatisierung habe die Hauptschule nicht verdient. „Wir haben Eltern oft erst von unserer Arbeit überzeugen können, wenn ihre Kinder Schüler waren“, sagt Steinheuser. Eine Erfahrung, die ihr Kollege Peter Hauck teilt. Gegen die der Schulleiter der Geschwister-Scholl-Hauptschule in Meckenheim aber weiter kämpfen wird – und kann. Seine Schule ist eine von vier Hauptschulen, die bestehen bleiben. „Wir haben hier in Meckenheim zum Glück eine Sondersituation und die Politik auf unserer Seite“, sagt er. Mit Realschule und Gymnasium arbeite er am Campus Meckenheim eng zusammen. „Wir teilen uns die Ressourcen und haben eine hohe Durchlässigkeit“, so Hauck, der 2011 die Meckenheimer Garantie für Ausbildung (MEGA) initiierte, in der seine Schule mit Betrieben kooperiert.

Der Schulleiter ist überzeugt, dass der Erhalt der Hauptschule sinnvoll ist: „Wir sind ein kleines System und können Schüler individuell fördern.“ 300 Mädchen und Jungen besuchen seine zweizügige Einrichtung. „Wir müssen aber mehr als andere für uns werben und uns immer wieder aufs Neue beweisen“, sagt Hauck. Er greift zum Vergleich mit einem 100-Meter-Lauf: „Wir liegen am Start schon zehn Meter zurück.“ Ein ständiger Kampf, der sich aber lohne.

Für Anna-Maria Steinheuser hat der Kampf ein Ende. „Es fällt mir ausgesprochen schwer, loszulassen“, sagt sie. Bis zur letzten Minute haben sie und ihr Kollegium die Idee der Hauptschule hochgehalten. „Als feststand, dass wir auslaufen, herrschte eine große Unruhe“, sagt sie. Die habe sich gelegt, auch dank der Begleitung durch die Bezirksregierung Köln. Und sei dann einem besonderen Engagement gewichen. Noch vor zwei Jahren hat die Schulleiterin das pädagogische Konzept der Schule umgestellt, um Flüchtlingskinder besser integrieren zu können.

„Ich ziehe meinen Hut vor meinen Kollegen, die das alles mitgetragen haben“, sagt Steinheuser. Sie ist erleichtert, dass ihre Lehrer an Einrichtungen untergekommen sind, die sie sich ausgesucht haben. Sie selbst gehört ab dem neuen Schuljahr dem Schulleitungsteam der Gesamtschule in Lohmar an, das sie seit einem Jahr unterstützt. Und, was bleibt im Schulzentrum Neuenhof? Neben der Gesamtschule auch die Alexander-von-Humboldt-Realschule. Und über dem Portal der Schriftzug „Hauptschule“ – zumindest im Moment.

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