Firma Cantulina Erinnerungen an eine "klingende" Firma

SIEGBURG · Unterm Dach eines Oberlarer Wohnhauses lebt sie weiter, die Cantulia. Die Siegburger Akkordeonfabrik existiert schon seit 1957 nicht mehr. Aber ihr letzter Auszubildender Reinold Meffert begeistert sich immer noch für die "Quetschbüggel". In seiner Heimwerkstatt repariert er in präziser Kleinarbeit Akkordeons, teilweise mit Originalmaterial aus den Beständen der Siegburger Firma.

Da gibt es beispielsweise noch Leder, das zum Abdichten der Stimmplatten benötigt wird. Die Cantulia ist ein Thema beim Zeitzeugengespräch des General-Anzeigers am Mittwoch, 27. Mai, ab 19 Uhr im Siegburger Stadtmuseum. Dann geht es um historische Unternehmen und Produkte aus der Kreisstadt. Auch Reinold Meffert ist zu Gast.

Der 77-Jährige machte einst sein Hobby zum Beruf. "Schon mit fünf Jahren hatte ich mein erstes Akkordeon", sagt er. "Mir war früh klar, dass ich beruflich mit Musik zu tun haben wollte." In Siegburg produzierte die Firma Cantulia seit 1937 Akkordeons. Die Manufaktur befand sich auf dem Gelände des Siegwerks, das damals Räumlichkeiten an externe Unternehmen verpachtete. Anfangs beschäftigte die Cantulia 50 Mitarbeiter. In den 50er Jahren waren es schon 250 "Cantulisten". Sie arbeiteten als Stimmer, Mechaniker, Tischler oder Belederer in der "klingenden Fabrik am Michaelsberg". Insgesamt 1400 Instrumente, die in aufwendiger Kleinarbeit hergestellt werden mussten, verließen monatlich das Werk.

Reinold Meffert lernte dort ab 1953 den Beruf des Harmonikastimmers, der am Ende des Produktionsprozesses maßgeblich für den Klang verantwortlich war. "Ich war nicht der Schnellste, aber der Genaueste", erinnert sich der Oberlarer, der 2013 seine Stimmbank dem Siegburger Stadtmuseum vermachte.

Die Aufträge seien aus ganz Deutschland gekommen, die Kunden hätten die Qualität der Instrumente geschätzt, berichtet Meffert. Ein strategischer Vorteil sei die Zusammenarbeit mit dem italienischen Instrumentenbauer "Scandalli" gewesen, von dem er ein Akkordeon besitzt. "Wir waren eine echte Konkurrenz für 'Hohner'", sagt Meffert.

Etwas wehmütig klingt er, wenn er vom Arbeitsalltag berichtet. Die Kameradschaft sei groß gewesen, viele jüngere Mitarbeiter seien bei der Cantulia beschäftigt gewesen. In seinem Fotoalbum sieht man die Kollegen während der Pause kollektiv in der Sonne liegen oder amüsiert beim Zeitunglesen.

"Wir waren wie eine Familie", erzählt Heinz Dohr aus Sommershof bei Uckerath. Er war in den 50er Jahren als Schreiner in der Akkordeonfabrik tätig. "Man ist morgens mit Freude zur Arbeit gegangen - allein schon wegen der Mädchen!" Doch dann kam zum Jahresende 1957 die Schließung der Canulia in Siegburg - ein Schock für alle Beteiligten. Zuvor hatte der große Instrumentenhersteller 'Hohner' die Cantulia Neuerburg Kommanditgesellschaft übernommen.

"Mein Traum ist es immer gewesen, die alten Kollegen noch einmal wiederzutreffen", sagt Dohr. Doch viele lebten inzwischen nicht mehr. Zu den wenigen "Cantulisten", die noch bekannt sind, gehören Gisela und Toni Koch aus Siegburg. Und natürlich Reinold Meffert, der nach seiner Cantulia-Zeit zu Klais Orgelbau in Bonn und später zur Firma Peter in Köln ging. Sein feines Gehör blieb sein Kapital. Etlichen Kirchenorgeln - auch in der Region - hat er in seinem langen Berufsleben den richtigen Klang verpasst. Als Akkordeonspieler blieb er stets aktiv. Früher mit seiner Band "Tipsy Boys", heute als Mitglied in zwei Akkordeonorchestern. "Ich spiele jeden Tag", sagt der 77-Jährige und hängt sich sein "Scandalli" um. Glenn Miller, Frank Sinatra. kölsche Stimmungslieder: Einem echten "Cantulisten" geht das alles leicht von der Hand.

Die Instrumente aus Siegburg sind auch heute noch unter Kennern hoch geschätzt und gefragte Liebhaberobjekte. Ihr Markenzeichen: Ein großes rotes "C" auf der Taste "C".

GA-Zeitzeugengespräche

Unter dem Motto "So hab' ich's gesehen" hatte die GA-Redaktion 2014 anlässlich der 950-Jahrfeier Siegburgs die Zeitzeugengespräche ins Leben gerufen. Bislang gab es drei Runden. Am Mittwoch, 27. Mai, geht es weiter mit dem Thema "Arbeitswelt anno dazumal".

Alles dreht sich um alte Siegburger Unternehmen und Produkte, aber um den Arbeitsalltag allgemein. Beginn ist um 19 Uhr, der Eintritt ist frei. Aus organisatorischen Gründen wird um Anmeldung gebeten: per E-Mail an siegburg@ga.de oder unter Tel. 0 22 41/1 20 12 00.

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