Siegburger Ensemble „Ensemble Vielfach" wirft einen Blick ins 22. Jahrhundert

SIEGBURG · Das „Ensemble Vielfach“ prangert auf der Siegburger Studiobühne in zehn unabhängigen Spielszenen soziale Kälte und Werteverlust an. Premiere ist am 20. Januar.

 Philipp Rakelmann (von links), Claudia Burghardt und Sven Berger sorgen in „Gottes Wege“ auch für viel Komik.

Philipp Rakelmann (von links), Claudia Burghardt und Sven Berger sorgen in „Gottes Wege“ auch für viel Komik.

Foto: Paul Kieras

Drei rot gekleidete Gestalten knüppeln mit Baseballschlägern auf ein am Boden liegendes Baby ein, dann verstummt sein Schreien. „Wenn wir es nicht tun, ist ein anderer bereit“, sagt einer aus der Gruppe. Das Töten dient der Gewinnung von „nützlicher Biomasse“. Natürlich ist kein kleines Kind auf der Bühne, das Wimmern kommt vom Band. Die gespenstische Szene ist im 22. Jahrhundert angesiedelt und wird in der Siegburger Studiobühne gezeigt. Denn dort finden zurzeit die Proben zum Stück „Eiszeit“ der Theatergruppe Ensemble Vielfach vom Verein „facettenreich“ unter der Leitung von Maria Havermann-Feye und Eva Barbara Klein statt.

Skrupel haben die Akteure des ersten Bildes nicht. „Man muss die natürliche Ordnung der Dinge akzeptieren“, stellt einer von ihnen nüchtern fest. Wirtschaftswachstum und damit Wohlstandswachstum sind das Thema. Und die Frage, auf wessen Kosten. Mitleid? Die „Menschlinge“ hätten selbst für ihren Untergang gesorgt, so die Kindsmörder. Beispielsweise durch Kriege, Atomkraft und Umweltzerstörung.

Inhaltliche Ausgangsbasis der zehn gezeigten Szenen bildet die sogenannte Gegen-Trilogie (Gegen die Demokratie, Gegen die Liebe, Gegen den Fortschritt) des katalanischen Autors Esteve Soler, der sich selbst in der Tradition des absurden Theaters sieht. Zwar haben die beiden Geschäftsführerinnen des Vereins nach eigenen Angaben sehr viel geändert, das Grundkonzept Solers bei der Inszenierung aber beibehalten.

Inszenierung läßt kaum Zeit zum Durchatmen

Hinter der komödiantisch überspitzten Maske der einzelnen Szenen verbirgt sich eine Wirklichkeit, „in der das mitmenschliche Zusammenleben von einer Art emotionaler Klimakatastrophe bedroht ist“, erklärt Klein und Havermann-Feye ergänzt: „Es ist die Eiszeit unserer Tage, traurig, grotesk und absurd.“ Immer mehr Menschen reklamierten den Schutz der Kultur des Abendlandes für sich, Werte wie Freiheit, Mitgefühl und Aufklärung blieben dabei auf der Strecke. Passend dazu die Szene „Oma so lieb“, in es um Gentrifizierung geht: Alles, was nicht gewinnbringend verwertet werden kann, wird entsorgt und so landet auch die Oma nebst all ihrem Plunder in der Tonne.

Die Inszenierung ist temporeich, die Szenenabfolge straff, es bleibt kaum Zeit zum Durchatmen. „Wenn du einmal im Jahr die Person, die am wenigsten arbeitet, im Beisein der anderen feierlich opferst (…), dann wirst du eine schlechte Arbeitskraft los und die Motivation der anderen wird besser“, lautet der bitterböse Vorschlag unter Freunden zur Förderung der Arbeitsmoral, bei dem dem Publikum das Lachen im Hals stecken bleibt, was laut Regie durchaus gewollt ist. Ebenso wie in der Szene, in der Eltern ihre Tochter an deren 16. Geburtstag erschießen. Problemlösung statt Rundumversorgung heißt das.

Ein großes Kompliment an die 13 Schauspieler, die alle Laien sind: Mit viel Leidenschaft und Hingabe gehen sie in ihrer jeweiligen Rolle auf, man spürt ihre Spielfreude. Der Text ist zum Teil völlig sinnfrei oder wird durch pantomimische Einlagen ersetzt. Bühnenbild, Requisiten und der Einsatz von Licht und Ton vervollständigen das Gesamtbild zu einer stimmigen Einheit.

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