GA-Serie "Siegburg im Wandel" Driesch ist der geheime Stadtteil von Siegburg

Siegburg · Wer auf den Driesch geht, bewegt sich zwischen Innenstadt und Brückberg. Es findet sich aber kein offizielles Ortsschild, da es sich um einen historischen Namen handelt. Ein Streifzug durch das beliebte Wohnviertel, das einst das Armenhaus der Kreisstadt war.

Früher, genauer gesagt im Jahr 1883, wurde auf der Köln-Altenkirchener Provinzialstraße ziemlich viel gebaut. Einer der Bauherren war ein gewisser Ferdinand Becker, seines Zeichens Schulrektor. Dieses Haus ist heute noch prägend für Siegburg. Es ist nämlich die Gaststätte „Zum Fass“, die inzwischen 123 Jahre alt ist. Verlässt man die Innenstadt über die Kaiserstraße, sieht man das prächtige Eckhaus schon von Weitem. Dort angekommen, befindet man sich auf dem Driesch – dem geheimen Stadtteil Siegburgs. Der Name „Driesch“ ist jedem Siegburger geläufig, und doch ist er keine offizielle Ortsbezeichnung.

Der Driesch ist – grob gesagt – das Gebiet zwischen dem historischen Zentrum und dem Brückberg. Ende des 19. Jahrhunderts erlebte das dünn besiedelte Gebiet einen Boom, weil auf dem Brückberg das Königliche Feuerwerkslaboratorium in Betrieb genommen wurde.

Zur Eröffnung ließ sich sogar der Kaiser in Siegburg sehen und fuhr in der offenen Kutsche durch die Straßen. „Daher wurde die Straße auch in Kaiserstraße umbenannt“, erklärt Bernd Ilbertz. Auch die umliegenden Straßen, wie die Luisen- und die Augustastraße, wurden nach Mitgliedern der kaiserlichen Familie benannt. 1927 kam Ilbertz' Familie aus Essen nach Siegburg und kaufte das Haus, um die Wirtschaft „Zum Fass“ weiterzuführen.

Bernd Ilbertz wurde 1948 geboren und hat schöne Erinnerungen an seine Kindheit auf dem Driesch. Das „Fass“ war schon damals die Anlaufstelle für die Bewohner des Drieschs. „Das war die Wirtschaft für das Viertel“, erinnert er sich. „Um 11 Uhr kamen meist die Handwerker vorbei, blieben eine Weile und kamen dann nach der Arbeit noch auf ein Feierabendbier.“

Das "Fass": Haus mit bewegter Geschichte

Die historische Bedeutung des Gebäudes kennt der Besitzer aus Erzählungen. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde der Saal im oberen Stockwerk von der Wehrmacht für Offiziere beschlagnahmt. Als der Krieg vorbei war, wurde derselbe Saal von amerikanischen Soldaten besetzt. „1945/1946 mussten sich alle Siegburger dort oben melden“, sagt Bernd Ilbertz. „Ich glaube, ganz Siegburg ist durch unser Treppenhaus gelaufen.“ Nachdem das Treppenhaus mühsam renoviert worden war, wurde aus dem Saal eine Wohnung. Und auch der Raum, in dem heute das Personalbüro untergebracht ist, hatte früher einen anderen Zweck: Es war das Postamt für den Stadtteil.

Heute ist steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Die Traditionspflege wird hier groß geschrieben. Der Driesch hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter zu einem florierenden Stadtteil entwickelt. Doch vermisst Bernd Ilbertz etwa „einen schönen Platz, wo sich Menschen begegnen können und Parkplätze.“

Auch Hans-Friedrich Krahforst ist auf dem Driesch groß geworden. Sein Vater hatte einen Dachdeckerbetrieb an der Johannesstraße, Ecke Minoritenstraße. Er erinnert sich gerne an seine Kindheit. Am Bahnübergang, wo das Luhmer Grietche – die Aggertalbahn – entlangfuhr, sind er und seine Freunde einer ganz besonderen Sportart nachgegangen. „Sobald die Schranken nach oben gingen, hängten wir uns dran“, sagt der 69-Jährige.

„Wir versuchten, vom höchsten Punkt abzuspringen.“ Auch als die erste Ampelanlage an den Übergängen in Betrieb genommen wurde, war das für die Kinder der Humperdinckschule ein absolutes Highlight. „Wir sind von der Schule aus immer wieder im Carré gelaufen, weil wir von den Fußgängerampeln so fasziniert waren“, erzählt er. „Früher war das für uns etwas ganz Besonderes.“ Auch der Alte Friedhof rund um die Johannes-Nepomuk-Kapelle war ein großer Spielplatz für ihn und seine Freunde. Für den Sohn eines Dachdeckers mehr als passend. „Nepomuk ist unter anderem der Schutzpatron der Dachdecker“, so Krahforst, den es selbst in ein ganz anderes Metier verschlug: ins Fahrschulgeschäft.

Alter Friedhof: Spuren der Vergangenheit

Noch heute findet man auf dem Friedhofsgelände Spuren der Vergangenheit. Einige Gräber sind dort mehr als hundert Jahre alt, die Inschriften sind zum Teil stark verwittert und kaum noch zu lesen. Warum die Kapelle dem Heiligen Nepomuk gewidmet ist, ist nicht urkundlich belegt. Eine Erklärung: „Da die Gegend früher nur von ärmeren Leuten bewohnt wurde, sollen dort auch die Siegschiffer gelebt haben“, sagt Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger. „Die haben den Heiligen Nepomuk verehrt, der als Märtyrer ertränkt wurde. Seitdem gilt er als Schutzpatron der Schiffer.“

Der alte Friedhof ist eine grüne Oase, ringsum sind die vielen Straßen dicht bebaut und bilden ein beliebtes Wohngebiet. Wer sich Zeit nimmt, findet sogar die Drieschgasse. An der Breite Straße, direkt zwischen einem Fitnessstudio und einem Wohnhaus befindet sich der schmale Durchgang. Er führt über die Gartenstraße bis hin zur Aggerstraße und ist etwa 128 Meter lang.

Doch woher kommt eigentlich der Name „Driesch“? „Das Wort Driesch lässt sich vom rheinischen Wort “drüsch„, also trocken ableiten“, erklärt Korte-Böger. Der Driesch befindet sich auf der ersten Siegterrasse, war also weit vom Grundwasser entfernt. Das Land war trocken und nicht besonders fruchtbar. „Da wuchs nicht viel, es galt als Arme-Leute-Land. Es gab dort einzelne Katen und kleine Hofanlagen mit etwas Vieh“, sagt die Archivarin. Im Stadtkern waren die Steuern hoch.

Wer sie nicht aufbringen konnte, musste auf Ländereien außerhalb ausweichen, bis Ende des 19. Jahrhunderts das Königliche Feuerwerkslaboratorium in Siegburg auf dem Brückberg in Betrieb genommen wurde und die Stadt wuchs: 1884 ging an der Kronprinzenstraße der Nordbahnhof (er hieß sogar „Driescher Bahnhof“) in Betrieb. Das Gebäude steht heute noch. Und 1906 wurde der Grundstein für die Sankt-Anno-Kirche gelegt, deren Turm heute noch ein Fixpunkt im Stadtbild ist.

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