Schauspieler loten die Facetten von Flucht aus Cityperformance "Fluchten" in Siegburg

SIEGBURG · Was es bedeutet, ständig weiterziehen zu müssen, haben die Besucher einer Cityperformance in Siegburg erfahren. Zusammen mit dem Ensemble Vielfach zogen sie bei "Fluchten" durch die Innenstadt.

 Eine beklemmende Atmosphäre herrschte in der Tiefgarage, wo Szenen aus "Nachtasyl" gespielt wurden.

Eine beklemmende Atmosphäre herrschte in der Tiefgarage, wo Szenen aus "Nachtasyl" gespielt wurden.

Foto: Paul Kieras

Die tatsächliche Flucht von einem Ort zu einem anderen, die Flucht vor der Realität oder auch vor sich selbst – all dies gebündelt war Thema einer Cityperformance des 22-köpfigen Ensembles Vielfach mit Laienschauspielern unter der Trägerschaft des Siegburger Kulturvereins facettenreich, der von Maria Havermann-Feye und Eva Barbara Klein geleitet wird. Sie waren auch für die Dramaturgie, Textbearbeitung und Regie der rund vierstündigen Veranstaltung an fünf verschiedenen Orten verantwortlich. Die Zuschauer wanderten nach einer Aufführung zur nächsten Spielstätte und sollten dabei „ein wenig nachempfinden können, wie es ist, ständig weiterziehen zu müssen“, erklärte Eva Barbara Klein.

Satirische Szenen

Die erste Station war im Stadtmuseum, wo eine Uraufführung satirischer Szenen unter dem Titel „Flüchtling@home“ nach dem gleichnamigen Theaterstück von Livia Huber auf dem Programm stand. Mara, Typ Luxusweibchen, Ehefrau von Stefan nimmt sich bei jeder Katastrophenmeldung in den Nachrichten vor, zu helfen, verwirft ihre guten Vorsätze aber wieder, sobald der allgemeine Hype nachlässt. Aktuell ist sie entsetzt über die Flüchtlingswelle. Ihr Mann Stefan über seine Frau: „Es fing mit dem Tropenholz an: Die armen Menschen, deren Wälder wir abholzen. Da hat sie unsere Teakmöbel vertickert. Das ging so lange bis wir ein neues Auto brauchten: Sonderedition mit Armaturenbrett aus Mahagoni. Dann kamen die armen unschuldigen Tiere: Da war sie zuerst Vegetarierin und dann Veganerin.“

Atmosphärisch dicht in Szene gesetzt war der zweite Teil des Abends. In der Tiefgarage des Rathauses war der verwahrloste Bahnübergang aus Maxim Gorkis Schauspiel „Nachtasyl“ arrangiert worden, wo Huren, Zuhälter, Hehler und gescheiterte Existenzen Zuflucht gefunden haben und ihren Träumen von einem besseren Leben nachhängen, aber zu schwach sind, um sich gegen die menschenunwürdigen Verhältnisse aufzulehnen. „Alle Menschen haben graue Seelen, alle legen gern ein bisschen Rot auf“, kommentiert ein Zuhälter zynisch den untauglichen Versuch der Gescheiterten, sich und anderen etwas vorzumachen.

Alltagsfluchten

Um Alltagsfluchten ging es auch im dritten Anlaufpunkt, einem leer geräumten Laden an der Ringstraße. Dort erwarteten die Zuschauer Bilder von der Hilfe für psychisch kranke Menschen „Köln-Ring“. Es ging an dieser Station um die Frage, ob der Lebensentwurf dieser Menschen eine Flucht vor der Realität ist, „oder berührt uns das Thema eher dadurch, dass psychisch Kranke vor den Symptomen einer Psychose fliehen“, hieß es dazu in der Ankündigung. Einige Jahrhunderte zurück ging es bei einer szenischen Lesung in der Bücherei R2, wo das Ensemble Goethes Geschichten aus der Novellensammlung „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ spielte. Eine Adelsfamilie flieht vor den Truppen der französischen Revolution über den Rhein. Immerhin hat man nicht alles verloren, Dienerschaft, Kutschen und etliches Gepäck ist geblieben. Jammern auf höchstem Niveau also. Mit einer Performance nach dem Drama „Die Schutzflehenden“ von Euripides und einem Aufruf eines Flüchtlings von heute zeigte das Ensemble, dass Krieg, Flucht und die moralische Verpflichtung zur Hilfe keine neuzeitlichen Erscheinungen sind. Der Abend endete mit dem Statement einiger Flüchtlinge, die zu den Akteuren gehörten: „Wir lehnen Krieg und Terror ab.“ Eine spannende, unterhaltsame, aber vor allem nachdenklich machende Inszenierung.

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