Mittelaltermarkt in Siegburg Als Lehrling auf Zeitreise

Siegburg · GA-Mitarbeiterin Sofia Grillo hat sich auf dem mittelalterlichen Markt in Siegburg nützlich gemacht: Sie hat einen Tag beim Drechsler ausgeholfen und viele neue Erfahrungen mit dem Material Holz gesammelt.

Der mittelalterliche Weihnachtsmarkt in Siegburg gilt alljährlich als Besuchermagnet. Unzählige Stände zeigen dort, wie früher im Mittelalter gespeist, gelebt und gearbeitet wurde. Die Besucher haben ihr Vergnügen an der nachgestellten Welt. Nur wie sieht es mit den Standbetreibern aus? Wie gestaltet sich ihr Alltag? Ich melde mich freiwillig zum Dienst als Gehilfin des Drechslers und wage eine kleine Zeitreise.

Drechslermeister Johannes Ulrich Brenner wartet schon auf seinen neuen Lehrling. Für einen Tag ist seine Werkstatt auf dem Markt mein Arbeitsplatz und Brenner mein Lehrmeister. Wie verlangt, erscheine ich im mittelalterlichen Arbeitskittel. Den habe ich mir für meine neue Rolle selbst genäht. Dazu eine braune Hose und braune Lederschuhe und fertig ist mein Kostüm. „Seid gegrüßt“, heißt es um zehn Uhr morgens, und das ist auch die erste Lektion meines Arbeitstages. Die Aussteller sprechen alle in alter Manier. Ein Mädchen ist die „holde Maid“ , ein Junge ist ein „Recke“. „Im Mittelalter sprach man blumig. Also lieber umschreiben als etwas direkt zu benennen“, gibt mir mein Lehrmeister mit auf den Weg.

Er bietet mir gleich das Du an. Er sei der Drechsler Johannes, ich der Lehrling Sofia. Fast alles am Stand von Johannes ist selbst gemacht. Das Zelt hat er sowohl genäht als auch konstruiert. Seine Geräte hat der gelernte Tischler ebenfalls selbst gebaut. Diese hat der 52-Jährige dem Mittelalter empfunden – oder vielmehr so gestaltet, wie es zur dieser Zeit gewesen sein muss. „Es ist nicht wissenschaftlich bewiesen, aber nach den Möglichkeiten, die die Drechsler damals hatten, musste es ähnlich wie bei mir gewesen sein“, erklärt Johannes. Die Gegenstände, die auf seinem Markt zu finden sind, decken das Zeitspektrum vom neunten bis zum 16. Jahrhundert ab. Johannes ist gut informiert: Er erzählt mir von unzähligen Büchern, in denen er recherchiert hat. Der Drechsler ist ein wandelndes Lexikon des Mittelalters.

Um 11 Uhr öffnet der Markt und prompt steht die erste Schulklasse vor dem Drechslerstand. Büttel Molinarius macht mit den Grundschülern eine Führung. „Seid gegrüßt, Drechsler Johannes“, schallt es aus rund 25 Mündern. Für die kleine Vorführung von Johannes werde ich nun ins kalte Wasser geworfen. Ich soll den Kindern zeigen, wie man einen eckigen Kanten Holz rund hobelt. Dafür setze ich mich auf die Ziehbank, nehme ein Hobelmesser in die Hand und spanne das Holz zwischen zwei hölzerne Balken der Bank. Nun soll ich das Messer flach über das Holz gleiten lassen, um so die Ecken abzuhobeln. Aller Anfang ist schwer. Wirklich gut stelle ich mich noch nicht an. Ich weiß nicht genau, in welchem Winkel ich das Messer halten und welchen Druck ich ausüben muss. Ähnlich geht es mir beim Drechseln.

Auch diesen Arbeitsschritt mache ich vor den Augen der Kinder zum ersten Mal. Ich stelle mich an die Werkbank. Mit dem Fuß bediene ich ein Pedal und bringe somit ein rundes Stück Holz zum Drehen. Daran soll ich ein Drechslermesser halten, um so dünne Linien in das runde Holz zu kerben. Johannes ist ein guter Lehrer. Zunächst führt er meine Hand, dann lässt er es mich alleine versuchen. Anfangs bin ich noch unsicher.

Ein kleines Wortgefecht für die Besucher

Während ich übe, haben Molinarius und Johannes ein kleines Wortgefecht und unterhalten damit die Grundschulklasse. „Wo haben Sie die Sonne gelassen Büttel“, fragt Johannes. Man sieht und hört ihm an, mit wie viel Leidenschaft er dabei ist. Seit 20 Jahren drechselt er hauptberuflich auf Mittelaltermärkten. Im Jahr ist er auf rund 30 Märkten in ganz Deutschland unterwegs. „Man hat damit vielleicht nicht das größte Einkommen, aber die Erfahrungen und Eindrücke sind mehr wert“, erzählt er. Erfahrungen sammele ich nun auch beim Drechseln. Aus meinem einfachen Stück Holz soll ein schmucker Kerzenständer werden. An verschiedenen Stellen mache ich Einkerbungen, an anderen wölbt sich das Holz rund nach außen. Mir macht das Handwerk richtig Spaß. Meine Erfahrungen soll ich nun an die Marktbesucher weitergeben. Johannes lässt an seinem Stand jeden mitarbeiten, der möchte. Viele Kinder kommen fast täglich zu ihm.

Der zwölfjährige Luca ist schon seit vier Jahren Dauerkunde bei Johannes. „Ich komme immer, wenn ich kann, mein Bruder bekommt seit dem immer etwas selbst gedrechseltes zu Weihnachten“, sagt der Siegburger. Unter Johannes' Anleitung bereite ich mit Luca sein Stück Holz und seine Werkbank vor. Schon beginnt der Schüler mit seiner Arbeit. Was es werden soll, weiß er noch nicht. Johannes hat Kunstpädagogik studiert. Für ihn war es sofort klar, dass er dieses Wissen auf seinem Mittelalter-Stand anwendet und den Kindern sein Handwerk näher bringt. Auch ich fühle mich von meinem Lehrmeister gut unterrichtet. Innerhalb weniger Stunden habe ich die Grundzüge des Hobelns und des Drechselns gelernt. Auch mein Lehrmeister scheint sehr zufrieden mit mir. Zur Verabschiedung heißt es auf dem Mittelaltermarkt „Gehabt euch wohl“. Für mich ist es kein Abschied auf Dauer, ich werde Johannes und seinen Stand noch mal besuchen und einem neuen Hobby nachgehen: dem Drechseln.

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