Fliegerangriffe in Siegburg Als die Bomben auf Wolsdorf fielen

SIEGBURG · Der 9. und der 10. März 1945 sind schwarze Tage in der Siegburger Stadtgeschichte. Damals, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden bei Fliegerangriffen mehr als 100 Menschen in Wolsdorf getötet. 70 Jahre ist das nun her.

 Schicksalshafter Ort: Barbara Clarenz (rechts) mit Mann Reiner am Riemberg. Sie wurde mit ihrer Familie bei Bombenangriffen im März 1945 verschüttet - und überlebte als eine der wenigen.

Schicksalshafter Ort: Barbara Clarenz (rechts) mit Mann Reiner am Riemberg. Sie wurde mit ihrer Familie bei Bombenangriffen im März 1945 verschüttet - und überlebte als eine der wenigen.

Foto: Archiv: Holger Arndt

Die Interessengemeinschaft Wolsdorfer Vereine 1966 gedenkt am morgigen Sonntag der Opfer. Um 9.30 Uhr beginnt in der Pfarrkirche ein Gottesdienst, anschließend ist ein Gedenkgang zur Hubertuskapelle mit Kranzniederlegung geplant.

Nachdem am 9. März schon zahlreiche Bürger bei Angriffen ums Leben gekommen waren, wurde am Tag darauf ein zum Luftschutzraum umfunktionierter Bierkeller zur tödlichen Falle. Allein dabei waren 59 Opfer zu beklagen. Nur sieben Menschen überlebten, darunter Barbara Clarenz (geborene Vollrath), die zum Zeitpunkt des Angriffs erst ein halbes Jahr alt war. Die Kriegserlebnisse kennt sie nur aus Erzählungen ihrer Mutter.

"So etwas begleitet einen sein Leben lang", sagt die heute 70-Jährige. Nachdem die Familie Vollrath Ende 1944 bei einem Bombenangriff auf Siegburg ihr Hab und Gut verloren hatte, wurde sie im ehemaligen Haus des Brauers Max Gumpert an der Hubertusstraße untergebracht.

Gumpert hatte dort vor dem Krieg das Ausflugslokal "Sieglinde" betrieben, bevor es von der Rheinischen Zellwolle AG (Phrix) erworben wurde. "Bei Fliegeralarm flohen wir in einen Nebenraum des alten Bierlagerkellers der Brauerei Gumpert hinter dem Haus", berichtet Barbara Clarenz.

Huberty Meier, die in der Nachbarschaft ein Modeatelier besaß, begleitete die Familie an jenem 10. März. Bei dem Angriff trafen drei Bomben den Bierkeller. "Meine Mutter wollte für mich einen Brei kochen, deshalb nahm mich Huberty Meier auf den Arm. Weil ich aber so sehr schrie, lief sie mit mir meiner Mutter entgegen. Hinter ihr brach alles ein, wir waren beide gerade noch dem Tod entkommen", so Barbara Clarenz.

"Aber wir waren verschüttet. Es schien aussichtslos, wieder ans Tageslicht zu kommen." Acht Stunden lang blieben sie eingeschlossen. Ihr Glück war, dass Huberty Meiers Mann nicht mit in den Keller gegangen war. Mit Helfern suchte er nach den Verschütteten. Mit bloßen Händen.

Vor Jahren stand Barbara Clarenz in Kontakt mit Peter Kurth, einem betagten ehemaligen Mitarbeiter des Siegkreises. In einem Brief schilderte er, wie er die Angriffe auf Wolsdorf erlebt hat. Die Kreisverwaltung hatte vor Ort eine Baracke bezogen. "Unter den Toten im zusammengestürzten Bierkeller waren viele Bekannte, derer ich mich noch erinnere", schrieb Kurth im Jahre 2002. "Bekannt waren mir auch dienstlich die SD-Offiziere, die auf NS-Widerstand, Untergrund und Kriegsstandrecht gedrillt waren." Kurth zufolge befand sich in dem Bierkeller eine Kommandostelle der Gestapo mit Funkanlage. "Möglicherweise war die das Ziel der Bombenangriffe."

Nach der Rettung hatte die Familie Vollrath zunächst keine Unterkunft. Sie kam im "Siegblick" unter. Zufall: Barbara Vollrath heiratete später in die Betreiber-Familie Clarenz ein und führte mit ihrem Mann Reiner bis 2000 das Hotel-Restaurant. Und noch ein Zufall: Auf der Suche nach einem Wohnhaus kaufte das Ehepaar Clarenz 1974 das ehemalige Gumpert-Haus nebst altem "Sieglinde"-Tanzsaal - ausgerechnet. Zum Grundstück gehört der ehemalige Bierkeller im Riemberg, der 1945 beim Luftangriff getroffen wurde. Längst ist er verfüllt, von außen ist nichts mehr zu sehen.

"Natürlich war das erst einmal merkwürdig. Aber für mich schließt sich damit der Kreis", sagt Barbara Clarenz, die im März 2014 beim Zeitzeugengespräch des General-Anzeigers zum Thema Kriegsende und Nachkriegszeit in Siegburg über ihre Erlebnisse berichtete.

Der 9. März 1945 in Wolsdorf: Bericht eines Zeitzeugen

Peter Kurth, ein ehemaliger Mitarbeiter des Siegkreises, war bei den ersten Bombenangriffen auf Siegburg-Wolsdorf am 9. März 1945 Augenzeuge. Er schrieb seine Erinnerungen später nieder.

"Den ersten großen Angriff am 9. März kurz vor 12 Uhr habe ich in Gumperts Bierkeller in grausamster Form erlebt. Aus dem von einem Dunstschleier verhüllten Himmel stießen amerikanische Flugzeuge aus den Wolken und warfen ihre Verderben bringende Last ab. In unmittelbarer Nähe des Bierkellers waren es Volltreffer. (...) Im Saal Kemp befand sich, dicht gedrängt untergebracht, eine große Zahl Zwangsarbeiter, vom Auffanglager der Deutschen Arbeitsfront (DAF) zusammengestellt. Ich meine, dass hier um die 40 Personen getötet wurden. Verletzte liefen schreiend auf den Straßen zwischen Trümmern herum. (...) Wir von der Kreisverwaltung und einige Wolsdorfer aus den Nachbarhäusern haben versucht, den Verwundeten zu helfen und die blutenden Wunden mit Kleidungszeug zum Stillen zu bringen. (...)

Die frühere Gastwirtschaft Gumpert, zwischenzeitlich von der Rheinischen Zellwolle gekauft, war jetzt Empfangs- und Gesellschaftshaus der Firma.

In dieses Gebäude hatte sich etwa ein Dutzend SD-Offiziere einquartiert. Sie waren die Musterknaben der Gestapo. Während der Bombenangriffe an diesem 9. März 1945 hatten sie ihre Behausung verlassen und sich in den Bierkeller geflüchtet. (...) Sie kontrollierten ausweismäßig alle Personen, trennten sie in zwei Gruppen nach In- und Ausländern (ohne Gefühl für die Verwundeten) und verwiesen die Letzteren ins Freie und zum Nachdruck mit Pistole in der Hand."

Info

Gedenken: Sonntag, 9.30 Uhr, Gottesdienst in der Pfarrkirche Wolsdorf, danach Gedenkgang.

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