Inklusion in Siegburg Schwierige Suche nach einem Job

Siegburg · Rollstuhlfahrerin Susanne Schmidt aus Oberpleis scheitert an nicht barrierefreier Behindertenwerkstatt in Siegburg. Einrichtung will die 34-Jährige einstellen, macht dann aber einen Rückzieher.

Susanne Schmidt ist auf ihren Rollstuhl angewiesen. Mit Hilfe des Rollators kann sie wenige Schritte gehen.

Susanne Schmidt ist auf ihren Rollstuhl angewiesen. Mit Hilfe des Rollators kann sie wenige Schritte gehen.

Foto: Laszlo Scheuch

Susanne Schmidt ist verzweifelt. Seitdem sie im Jahr 2007 ihre Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation abgeschlossen hat, ist sie auf Jobsuche. Dass sie immer wieder Absagen erhält, liegt für die 34-Jährige vor allem an ihrem großen Handicap: Sie ist körperlich behindert: „Ich habe von Geburt an Spina Bifida am Lendenwirbel, das ist ein offener Rücken und so etwas wie eine Querschnittslähmung“, erklärt sie. Weil sie zusätzlich Probleme mit ihren Knien hat, sitzt sie seit rund zwei Jahren im Rollstuhl. Nur mit Hilfe eines Rollators und viel Anstrengung kann sie heute wenige Schritte selber gehen.

Spätestens, wenn potenzielle Arbeitgeber von ihrem Handicap erführen, würden viele skeptisch und sähen von einer Einstellung ab, sagt sie. „Ich habe gefühlt tausend Bewerbungen geschrieben und immer wieder neue Anläufe gestartet. Häufig erhalte ich nicht einmal eine Reaktion.“ Ein Manko sei auch, dass sie ihre Ausbildung nicht mit Bestnoten beendet habe. „Ich musste während meiner Ausbildung an die Dialyse. Das hat sich negativ auf meine Leistungen ausgewirkt.“ In den letzten Jahren hat sie lediglich ein paar unbezahlte Praktika absolviert. Die sind, so Susanne Schmidt, gut gelaufen, führten jedoch auch nicht zur erhofften Festanstellung. „Ich will doch einfach nur arbeiten gehen“, sagt sie und wird hörbar lauter. Eine Mischung aus Zorn und Verzweiflung klingt in diesen Worten durch.

In ihrer Verzweiflung wendete sie sich an die Behindertenwerkstatt in Siegburg. Schmidt kostete dieser Schritt viel Überwindung: „Ich bin geistig doch komplett fit und für die Arbeiten dort schlichtweg überqualifiziert.“ Dennoch: Der Wunsch nach Arbeit führte die 34-Jährige „als letzten Ausweg“ in die Werkstatt. Und tatsächlich: Es sah so aus, als hätte ihre Odyssee in Siegburg ein Ende. Eine Mitarbeiterin sagte ihr vor Ort „quasi schon zu“.

Wenige Tage später folgte die Ernüchterung: „Sie teilte mir zu ihrem Bedauern mit, dass die Chefetage entschieden hat, dass man keine Rollstuhlfahrerin wolle.“ Weil es dort nur Treppen und keinen Aufzug gebe. Mit Hilfe, sagt Schmidt, wäre aber auch das für sie möglich gewesen. „Zu Hause habe ich ja auch Treppen“, sagt die 34-Jährige. Ihre Wohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses in Königswinter-Oberpleis kann sie nur mit Hilfe ihres Ehemannes betreten und verlassen. Die Suche nach einer behindertengerechten und bezahlbaren Wohnung sei ihre „zweite große Baustelle“.

Dass eine Behindertenwerkstatt nicht für Behinderte jeglicher Art ausgelegt ist, wurmt Schmidt. Sie findet es kurios, und es nimmt ihr zusätzlichen Mut: „Wo, wenn nicht dort, sollte man meinen, dass ein Haus behindertengerecht gebaut ist?“ Noch wütender macht Schmidt, dass dort auch im Rollstuhl sitzende Menschen arbeiten.

Jürgen Mohr, Leiter der Siegburger Werkstatt, erinnert sich: „Es ist tatsächlich so, dass wir die Dame nur nicht einstellen konnten, weil unser Haus nicht barrierefrei ist. Von unseren 220 Beschäftigten sind nur fünf körperlich beeinträchtigt, und die können Treppen steigen.“ Im Rollstuhl sitze in der Werkstatt nur eine Person. Sie sei ein Sonderfall und konnte bei Beschäftigungsbeginn noch laufen. „Als sie dann in den Rollstuhl kam, war für uns klar, dass es für sie bei uns weitergehen muss.“ Dass eine nicht barrierefreie Behindertenwerkstatt ein Widerspruch in sich ist, kann Mohr nachvollziehen. Das bedauert er, sieht aber Möglichkeiten bei den gemeinnützigen Werkstätten in Bonn. Deren Gebäude seien behindertengerecht.

Dort hat Susanne Schmidt noch nicht angefragt. „Ich möchte ja gar nicht unbedingt in eine Behindertenwerkstatt. Deshalb tue ich mich schwer, nach der Absage in Siegburg direkt bei der nächsten anzufragen“, sagt sie. Der Glaube an eine Arbeitsstelle in der Region verlässt sie immer mehr. Ihrem Schicksal ergeben möchte sie sich aber nicht. „Mein Mann und ich können uns gut vorstellen, nach Norwegen auszuwandern – dort ist alles sehr viel sozialer, und Behinderte werden ganz anders in die Arbeitswelt integriert.“ Das ist für die Eheleute keine Trotzreaktion, sondern eine ernsthafte Alternative. In Deutschland kann sie auf Dauer wohl nur ein fester Arbeitsplatz für Susanne Schmidt halten.

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