Pläne in Arbeit Rhein-Sieg-Kreis will mehr Radverkehr

RHEIN-SIEG-KREIS · Fehlende Radwege, keine Abstellmöglichkeiten, autofreundliche Verkehrsregelungen: Fahrradfahrer stoßen in der Region vielerorts auf schlechte Rahmenbedingungen. Der Rhein-Sieg-Kreis will das ändern.

Den Gedanken, mit dem Rad statt mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, hatte Beate Klüser schon länger. „Was mich daran immer gehindert hat, war der Berg“, sagt die Mitarbeiterin der Kreisverwaltung in Siegburg. Ihr Wohnort Weegen liegt auf den Höhen von Lohmar, da muss man als Radfahrer ordentlich strampeln. Und ein E-Bike wollte sich die 55-Jährige ob der Anschaffungskosten von mehr als 2000 Euro auch nicht gleich zulegen.

So kam ihr das Modellprojekt „Ein Rad für alle Fälle“ zupass, bei dem der Kreis in Kooperation mit dem Tourismusverband „Bergisch hoch 4“ Berufspendlern Pedelecs zur Verfügung stellt. Bei einem Obolus von fünf Euro pro Woche sollen die Pendler auf den Geschmack kommen. Der Versuch – jüngst mit dem Deutschen Fahrradpreis ausgezeichnet – fügt sich in die Bemühungen des Kreises ein, den Radverkehr zu stärken.

Dessen Anteil am gesamten Verkehr ist im Rhein-Sieg-Kreis bescheiden. Bei der jüngsten Erhebung, der Studie „Mobilität in Deutschland“ von 2008, machte er nur sieben Prozent aus. Mit 63 Prozent dominierten die Autofahrer. Die Daten der Folgestudie liegen dem Kreis noch nicht vor. Allerdings lassen eigene Zählungen an zehn Stellen im Kreisgebiet den Schluss zu, dass der Radverkehr zwischenzeitlich zugenommen hat. Den Topwert lieferte 2017 Königswinter, wo auf dem Rheinradweg 319.000 Radler gezählt wurden. Dieser ist für Freizeitradler wie für Berufspendler bedeutend. Vor allem durch den Vormarsch des E-Bikes entwickelt sich das Fahrrad immer mehr zu einem massentauglichen Verkehrsmittel für den Alltag. Der Antrieb eines Pedelecs unterstützt den Fahrer bei einer Geschwindigkeit von bis zu 25 Stundenkilometern.

"Handlungsdruck ist groß"

Nicht nur diesen Entwicklungen will der Kreis Rechnung tragen. „Der Handlungsdruck ist groß – durch die allgemeine Verkehrssituation, aber auch durch mögliche Diesel-Fahrverbote“, sagt Sven Habedank vom Referat für Wirtschaftsförderung und Strategische Kreisentwicklung. Er ist Experte für Radverkehr. Zu seinen Themen gehört nicht nur das große, regionale Radwegenetz, das erweitert werden soll.

Genau so wichtig sei die Nahmobilität, sagt Habedank. „Es wäre schon ein Erfolg, wenn man Verkehrsteilnehmer bei Distanzen von einem Kilometer zum Umsteigen bewegen könnte.“ Denn selbst fürs Brötchenholen setzt sich manch einer selbstverständlich ins Auto, obwohl der Weg ohne Weiteres per Rad oder zu Fuß zu bewältigen ist. „Gerade der übermäßige motorisierte Kurzstreckenverkehr ist das Kernproblem vieler Städte“, sagt die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte (AGFS).

Doch ist es nicht nur die Bequemlichkeit, die die Menschen vom Umsteigen abhält. Vielerorts stimmen die Rahmenbedingungen nicht. Es fehlen Radwege, sichere Abstellmöglichkeiten oder Regelungen wie Fahrradstraßen. Die Mängelliste, die der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) beim jüngsten Fahrradklimatest aufzeigte, reichte vom Zustand der Wege bis hin zu der Kritik, dass die Kommunen Falschparker auf Radwegen zu oft gewähren lassen. Das von der AGFS verliehene Gütesiegel „Fahrradfreundlich“ tragen lediglich die Städte Troisdorf, Lohmar und Meckenheim sowie der Kreis selbst.

Weniger Raum für Autos, mehr für Radfahrer

„Die Region insgesamt fahrradfreundlicher zu machen, ist ein Riesenprozess“, sagt Habedank. Die Infrastruktur muss ausgebaut werden, und das bei einem Flickenteppich von Zuständigkeiten. Und der Platz auf und entlang der Straßen ist endlich. Wer den Radverkehr stärken will, müsse dem Autoverkehr hier und da Raum nehmen, so der Planer. „Es läuft letztlich auf einen Verteilkampf hinaus.“ Dass der ganz große Wurf – Radschnellwege – kaum gelingen würde, merkte der Kreis schon 2013.

Damals scheiterte die interkommunale Bewerbung für den landesweiten Planungswettbewerb. Das Projekt war geschwächt, weil sich Sankt Augustin nicht beteiligte. Hinzu kam, dass die Standards für Schnellwege in der Region kaum erfüllt werden. Demnach muss die Fahrbahn vier Meter breit sein, plus zwei Meter Breite für Fußgänger. Selbst auf alten Bahntrassen wie in Siegburg, wo ein innerstädtischer Radweg gebaut wurde, sind solche Dimensionen nicht gegeben.

In den Kommunen gibt es inzwischen einige Überlegungen zu überörtlichen Strecken. Sankt Augustin hat seit 2017 ein Radverkehrskonzept, das auch die Hauptachsen in den Blick nimmt: etwa die zwischen Bonn und Siegburg. Der Radverkehr soll auf Augustiner Gebiet schneller und sicherer werden, zum Beispiel durch die Verbreiterung des Radwegs an der Stadtbahn 66, Schutzstreifen auf der B 56 in Mülldorf und das Entschärfen von Knotenpunkten. Linksrheinisch ist die Idee einer Radpendlerroute weit gediehen. Bornheim, Alfter und Bonn planen eine acht Kilometer lange Verbindung an der Stadtbahnlinie 18. 2019 soll Baubeginn sein, 2023 Fertigstellung. Die Baukosten liegen bei rund vier Millionen Euro.

ADFC legt Konzept für Radpendlerrouten vor

Es soll nicht die einzige linksrheinische Pendlerroute bleiben. Der ADFC hat ein Konzept erarbeitet, das er im April dem Kreis präsentiert. Demnach könnte ein Weg von Rheinbach über Swisttal und Alfter nach Bonn ausgewiesen werden. Er soll dort auf die künftige Route aus Bornheim treffen. „Der Aufwand wäre überschaubar, da die Wege vorhanden sind“, berichtet Georg Wilmers, verkehrspolitischer Sprecher des ADFC.

„Wir haben einen Weg von 16 Kilometern getestet, auf dem Radfahrer nur vier Ampeln passieren und an 22 Stellen abbremsen müssen.“ Zügiges Durchkommen sei die Hauptsache, so Wilmers. Dafür würden Radpendler auch Umwege in Kauf nehmen. Weitere Pendlerrouten sollen nach dem ADFC-Konzept von Meckenheim und von Wachtberg nach Bonn führen.

Zudem beteiligt sich der Kreis mit Niederkassel und Troisdorf an einer Studie für Pendlerroten in den Kölner Raum. Auch an den Kreisstraßen soll sich etwas tun. Das Straßennetz beträgt 257 Kilometer, aber nur 42 davon sind mit einem Radweg ausgestattet. Habedank arbeitet gerade an einer Bedarfsanalyse für Ausbauten. Dass das Netz gerade auf dem Land Lücken aufweist, zeigt das Projekt „Ein Rad für alle Fälle“. Dort unterzogen sich die bislang 59 Teilnehmer einer Befragung. Der Versuch, der auf Lohmar, Much, Neunkirchen-Seelscheid und Ruppichteroth beschränkt ist, läuft bis Jahresende. „Wir wollen die Erkenntnisse auch auf andere Kommunen übertragen“ erklärt Habedank.

Beate Klüser ist nach ihrer Teilnahme am Modellversuch jedenfalls überzeugt: Sie will sich ein eigenes Pedelec anschaffen. „Ich benötige mit dem Rad 30 Minuten zur Arbeit, mit dem Auto 20. Das ist kein großer Unterschied, außerdem habe ich dadurch Bewegung.“ Und auch der Berg ist dank Elektroantrieb kein Problem mehr.

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